Hingehört: Those Dancing Days – „Daydreams & Nightmares“

Zuckersüß darf man jetzt nicht mehr sagen. Deshalb: "Daydreams And Nightmares" ist richtig gut.
Zuckersüß darf man jetzt nicht mehr sagen. Deshalb: „Daydreams And Nightmares“ ist richtig gut.
Künstler Those Dancing Days
Album Daydreams & Nightmares
Label Wichita
Erscheinungsjahr 2011
Bewertung ***1/2

Nach ihrem spektakulären Debüt In Our Space Hero Suits (2008) hätten Those Dancing Days genau drei Platten machen können. 1. Noch einmal genau dasselbe Album, voller Killer-Refrains und jugendlichem Leichtsinn. Das hätte ihnen vielleicht ein paar neue (womöglich oberflächliche) Fans eingebracht, aber auch den Vorwurf, berechenbar und eindimensional zu sein. 2. Ein komplett anderes Album, düster, komplex und 72 Minuten lang. Das hätte vielleicht dafür gesorgt, dass noch ein paar mehr Musikkritiker feuchte Träume von den fünf jungen Schwedinnen haben, aber auch alles pulverisiert, wofür Those Dancing Days bisher standen. 3. Ein Album irgendwo dazwischen, mit eingängigen Liedern, aber auch Ecken und Kanten und einer deutlich hörbaren Weiterentwicklung.

Those Dancing Days haben Variante 3 gewählt. Und zwar aus Versehen. „Eigentlich hatten wir keinen bestimmten Plan, wie die neuen Lieder klingen sollten. Es ist einfach passiert”, erzählt mir Schlagzeugerin Cissi Efraimsson im Interview über das heute erscheinende Daydreams & Nightmares. ”Wahrscheinlich hat sich unser Sound einfach verändert, weil wir nun ein bisschen älter sind. Wir haben neue Erfahrungen gemacht, und wir haben eine ganze Menge Konzerte gespielt. Wir sind selbstbewusster geworden, würde ich sagen. Das wirkt sich natürlich auf die Musik aus.”

Auch Keyboarderin Pyk Wirström sieht in der Erfahrung aus zwei Jahren auf Tour den Grund für die Weiterentwicklung des Sounds von Those Dancing Days: ”Wenn du auf der Bühne stehst, dann willst du immer so viel wie möglich von allem. Und diesmal wollten wir auch im Studio so viel wie möglich von allem.”

Das führt bei Daydreams & Nightmares, entstanden unter der Regie von Produzent Patrik Berger (Robyn, Roman Fischer) zu einer neuen Bandbreite und Vielfalt, ohne die alten Stärken von Those Dancing Days über Bord zu werfen. „Wir kommen, wir kommen, wir kommen“, scheint die Botschaft von Reaching Forward zum Auftakt zu sein. Das Clevere daran: Es bleibt bei der Ankündigung. Das Lied verströmt viel Energie und den unvergleichlichen Optimismus in der Stimme von Sängerin Linnea Jönsson, doch Reaching Forward bleibt ein einziger langer Anlauf, weil das Schlagzeug im Refrain nur die Toms benutzt statt auf einen naheliegenden Bumm-Tschak-Rhythmus zu setzen. Das ist durchaus selbstbewusst – und baut viel Spannung auf für das, was folgt.

Dream About Me ist fast eine Ballade und erinnert mit dem feinen Harmoniegesang und seiner Eighties-Gitarre an die Bangles, Help Me Close My Eyes gönnt sich ein bisschen Entspanntheit und bleibt doch packend. Fuckarias hat eine geheimnisvolle Düsternis, ganz am Ende sorgt Orlando Weeks von den Maccabees im bezaubernden Duett One Day Forever für eine besondere Dynamik. Fast immer machen Those Dancing Days im Refrain (Gott sei Dank) keine Experimente, nehmen sich aber in den Strophen die Freiheit, sich auszutoben und zu zeigen, dass sie inzwischen viel mehr drauf haben als zuckersüßen Indiepop.

Den gibt es freilich auch noch. I’ll Be Yours wird mit einer Orgel aus dem Kinderzimmer völlig betörend und klingt am Schluss wie eine außer Kontrolle geratene Pyjama-Party.  Den patentierten Drive aller Produktionen von Max Martin (Katy Perry, Kelis) hat Can’t Find Entrance. Gegen Ende von Daydreams & Nightmares glänzen Those Dancing Days mit When We Fade Away (elegant, luftig, toll), Keep Me In Your Pocket (so zackig, dass es sich fast selbst über den Haufen rennt) und I Know Where You Live, Part 2 (Joy Division mutieren zu purer Lebensfreude).

„Ich würde mich freuen, wenn diesmal mehr über die Musik geschrieben wird und nicht mehr darüber, wie alt wir sind oder was wir für Klamotten tragen”, wünscht sich Efraimsson. Those Dancing Days liefern mit Daydreams And Nightmares auf jeden Fall genug Gesprächsstoff, um diesen Wunsch wahr werden zu lassen.

Erst soll man nicht mehr „putzig“ zu ihnen sagen, und dann machen sie so ein Video zu I’ll Be Yours. Das ist nicht fair!

httpv://www.youtube.com/watch?v=ipuXl9XfUhE

Those Dancing Days bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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