Hingehört: Tim Buckley – „Tim Buckley“

"Tim Buckley" ist ein zerrissenes Werk.
Künstler Tim Buckley
Album Tim Buckley
Label Elektra
Erscheinungsjahr 1966
Bewertung ***

Neue Bob Dylans gab es in den 1960ern eine ganze Menge. Mit diesem Debüt wurde Tim Buckley einer von ihnen. Natürlich war das – wie so vieles in der Karriere des „experimentierfreudigsten Songpoeten seiner Zeit“ (Rolling Stone) – ein Missverständnis.

Tim Buckley wollte auf seiner ersten Platte bloß Liebeslieder singen, die er mit High-School-Freund Larry Beckett, der hier die Drums spielt, geschrieben hatte. Doch unter Mitwirkung von Hochkarätern wie Van Dyke Parks (Tasteninstrumente) und Jack Nietzsche (Streicherarrangements) entstand etwas ganz anderes. Eine Platte, die Buckleys Sinn- und Zielsuche noch schwieriger machte. Ein zerrissenes Werk.

Buckley wusste um seine Fähigkeiten und Stärken. Dennoch war er musikalisch lange orientierungs- und rastlos. Auf der anderen Seite hatte er auch das Ziel, seine Gefühle zu formulieren, den Hörer zu berühren. Dennoch zeigt Tim Buckley eine manchmal fast abstoßende Sterilität. Ähnlich wie bei einem Minnesänger, der eigentlich seinen Gefühlen freien Lauf lassen möchte, dem aber wegen der strengen Konventionen des Mediums jede persönliche Note verloren geht, bleibt sein Verlangen auf tragische Weise unerfüllt.

Buckley selbst nannte die Debüt-LP später einmal „naive and stiff“.
Das liegt zum einen an der Produktion, die Buckleys zerbrechlichen, privaten Kompositionen über weite Strecken schnurstracks zuwider läuft. Zum anderen an Buckleys fünfeinhalb-Oktaven-Stimme, die hier höchstens unter technischen Gesichtspunkten überzeugen kann. Tim Buckley singt nicht, als gelte es, Herzen zu bewegen, sondern als wolle er ein Expertengremium in der Musikhochschule überzeugen.

Deshalb hat die Platte ihre besten Momente, wenn Buckley seinen Tenor nicht zur Schau stellt. In der Strophe von Wings etwa, im Refrain von Valentine Melody, im entrückten Song Slowly Song oder im kompakten Song For Janie.

An anderen Stellen will er zu schnell zu viel. „Eine Gratwanderung zwischen introspektiven Song-Poemen und Jazz-Experimenten“ hat der Rolling Stone die Platte genannt – und nicht immer bleibt Buckley dabei weit genug entfernt vom Abgrund. In Strange Street Affair Under Blue ist das der Fall, das an die Doors erinnert, ohne allerdings Jim Morrisons stimmliche Intimität oder gar Bedrohlichkeit zu erreichen. Auch Aren’t You The Girl, She Is und der Rausschmeißer Understand Your Man bleiben überambitioniert und zerfasert.

Tim Buckley wusste selbst noch nicht so recht, was er mit diesem Sound erreichen wollte – und das Publikum wusste nicht, was es davon zu halten hatte. Wie hat doch der Rolling Stone beobachtet: „Tim Buckley, seiner Zeit künstlerisch weit voraus, war nicht für die 60er und 70er Jahre bestimmt. Und so haderte der begnadete Melancholiker mit sich und der musikalischen Selbstfindung zwischen Folk, Jazz und Free Form.“ Dieses Hadern sollte ihn sein ganzes Leben lang in Bewegung halten. Es ließ ihn zum Hoffnungsträger, zum Pionier, zum verkannten Genie und zum Taxifahrer werden. Und es ließ ihn an einer Überdosis Heroin sterben.

Tim Buckley spricht in einer Talkshow über Politik und den Vietnam-Krieg:

httpv://www.youtube.com/watch?v=p4CCuJblouo

Tim Buckley bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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2 Gedanken zu “Hingehört: Tim Buckley – „Tim Buckley“

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