Künstler | Tommy Finke | |
Album | Unkämmbar | |
Label | Noteworks | |
Erscheinungsjahr | 2013 | |
Bewertung |
„Es gibt sie noch, die guten Dinge. Und die guten Dinge sind oft die einfachen Dinge, also zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug und ein brunftiger Sänger.“
Dieser Satz steht in Sommerfest, dem aktuellen Roman von Frank Goosen. Ein Protagonist namens Stefan denkt sie, der in dem Buch zurück in seine alte Heimat im Ruhrpott kommt. Man kann daraus schließen: Frank Goosen mag einfache, ehrliche, authentische Musik. Und er liebt den Ruhrpott.
Frank Goosen mag auch Tommy Finke, und zwar aus genau denselben Gründen: „Nennen wir ihn ‚Songwriter’, weil das cool und modern und leicht melancholisch klingt – und all das passt auf Finke wie Arsch auf Eimer, wie man in seiner Bochumer Heimat sagen würde“, schreibt Goosen in einem Begleittext zum dritten Album des Musikers. Und er gerät sogar noch mehr ins Schwärmen: „Traurig können viele. Das Einzigartige an Tommy Finke ist diese Mischung aus Melancholie und Abgeklärtheit.“
Man kann gut verstehen, was er meint, wenn man Unkämmbar hört, eben jenes Album von Tommy Finke. Da ist einer zu hören, der das Herz ganz sicher am rechten Fleck hat, der keine Eitelkeit kennt und keine faulen Tricks. Live tritt Finke gerne nur mit Gitarre und Mundharmonika auf, und wer sich musikalisch derart nackt ausliefert, der muss seine Lieder und sein Publikum schon sehr, sehr lieben. Passend dazu betrachtet Tommy Finke als seine größten Erfolge „alle bisherigen Veröffentlichungen. Denn darum geht es doch am Ende: Dass die Leute etwas von mir hören, dass ich spannendes Feedback auf meine Musik bekomme und mich mit den Menschen austausche.“
Genau das ist die Stärke, aber zugleich auch die Schwäche von Unkämmbar: Diese Lieder sind sagenhaft ehrlich und kennen keine Angst vor Peinlichkeit. Aber ihnen fehlt etwas Gefährliches, Verrücktes, Unberechenbares. Es gibt einige Stellen auf dieser Platte, in denen man sich wünschte, Tommy Finke könne zugeben (oder wenigstens so tun als ob), dass er auch ab und zu mal ein Arschloch ist.
Wenn er in Weltkrieg zum Schunkelrhythmus und Glockenspiel die Zeile „Ich warte auf den Weltkrieg“ singt, dann sieht man ihn mit einer Blume im Haar und Peace-Zeichen vor sich, und das passt nun einmal nicht. Schon zu Beginn in L. ♥ L. möchte man ihn am liebsten in die Arme nehmen und trösten, so brav und putzig ist dieses Lied, das zu akustischer Gitarre und Cello eine schöne Kettcar-Atmosphäre verströmt und vage an die Thematik von Die Ballade von Wolfgang und Brigitte (Wir sind Helden) erinnert. Skeptic bestätigt später, dass die alte Weisheit nach wie vor gültig ist, wonach „gut gemeint“ etwas anderes ist als „gut“.
Unkämmbar (mit der Benennung von Alben hat es Tommy Finke nicht so, seine beiden bisherigen Werke hatten mit Repariert, was euch kaputt macht! und Poet der Affen ebenfalls völlig misslungene Titel) hat durchaus seine Momente. Gelegentlich gibt es eine richtig gute Idee, aber das reicht nicht. Vor allem, weil sich Tommy Finke mit Vorliebe an universelle Themen wagt. Mit 17 in Hamburg handelt beispielsweise vom Tod seines Vaters und lässt ganz am Ende des Albums die Streicher ins Rampenlicht. „Ich schreibe gern Songs mit einem großen Thema. Themen, mit denen sich jeder identifizieren kann, die viel mehr in der Seele liegen als im Kopf“, sagt er – aber leider verhebt er sich dabei meist.
Das liegt zum einen an der bereits erwähnten Harmlosigkeit, die hier regiert. Zum anderen fehlt dem Bochumer, der in seiner Heimatstadt elektronische Komposition studiert hat, oft das Rüstzeug, um mit seinen eigenen Ambitionen (zu seinen Vorbildern zählt er beispielsweise Rio Reiser) Schritt halten zu können. In Haldern setzt er auf etwas Mumford & Sons-Stomp und ein ohoho-Finale, muss aber die Wörter „brauchst“, „Gruß“ und „Kind“ plötzlich singen, als hätten sie zwei Silben, weil das Metrum sonst nicht passt. Die existenzielle Frage Wer hat mich gemacht? klingt bei ihm, als würde er ein lapidares „Hey, wie geht’s?“ singen. Sag ihnen, dass du sie liebst ist so blutleer, dass man sich fast ein bisschen Pathos à la Tote Hosen wünscht, um dem Lied und all seinem herbeigesehnten Himmelssturm ein wenig Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Heimathafen kommt deutlich zu nah an peinliche Schlager-Gewässer. Unrasiert & fern der Heimat soll Urlaubsfeeling suggerieren, aber es klingt nicht, als berichte Tommy Finke da von einem eigenen, unvergesslichen Erlebnis am Strand, sondern bloß von einem Diavortrag, den er gesehen hat. Die erste Single Canossa ist mit Disco-Beat und Sportfreunde-Zwangszuversicht ebenfalls pseudo-unbeschwert. „Es geht darum, etwas einzufordern, was einem versprochen wurde, dafür aber sich selbst eine Schuld einzugestehen. Letzten Endes wird nichts durch Wunder gelöst, nur durch handeln. Aber handeln ist ohne Konsequenzen kaum möglich“, erklärt Tommy Finke dazu.
Man würde ihm wünschen, dass er für solche Gedanken irgendwann die passende Form findet. Tommy Finke ist bestimmt ein lieber Kerl. Aber diese Lieder sind nicht so besonders wie die von Olli Schulz, nicht so eingängig wie die von Fabian von Wegen und nicht halb so schlau wie die von Gisbert zu Knyphausen.
Das Video zu Heimathafen kann den Schlagerverdacht keineswegs ausräumen:
httpv://www.youtube.com/watch?v=EBp67iNEZfg