Künstler | Tribes | |
Album | Baby | |
Label | Island | |
Erscheinungsjahr | 2012 | |
Bewertung |
1, 2, 3, 4. Dann ein markerschütternder Schlagzeugwirbel und ein Gitarreninferno. Dann eine Strophe, die so ungestüm und frisch klingt, dass man sofort noch einmal nachrechnen will, wie lang das jetzt noch einmal genau her ist mit Alright und Supergrass (knapp 17 Jahre, ergibt das Nachrechnen). Dann ein Refrain, in dem sich „young“ auf „fun“ reimt. So klingt When My Day Comes, und der Song kann als Manifest dienen für den Sound, das Credo, das Lebensgefühl von Tribes.
Das Quartett aus Camden legt mit dem am Freitag erschienenen Baby ein Debüt vor, das die vier Buchstaben „R-O-C-K“ so stolz vor sich herträgt als wäre Billy Idol der Premierminister und die Lederjacke die offizielle britische Schuluniform. Es ist eine dieser Platten, bei denen man tatsächlich Lust bekommt, Schlagzeug zu lernen, oder die Gitarre wieder einmal rauszuholen oder in jedem Fall sofort einen ganzen Collegeblock mit möglichen Namen vollkritzeln für die Band, die man morgen gründen wird.
Wer das altmodisch findet, wird in den schwächsten Momenten von Baby durchaus bestätigt. Himalaya beispielsweise probt die große Geste samt „ohoho“-Chor und klingt am Anfang noch wie ein Bryan-Ferry-Schauermärchen. Dann bleibt der Rest aber hohl, und die wiederholt gestellte Frage „Does it move you / the state I’m in?“, muss man eindeutig mit „Nein“ beantworten. Auch Nightdriving ist viel zu konventionell und durchschaubar.
Aber Johnny Lloyd (Gesang, Gitarre), Dan White (Gitarre), Miguel Demelo (Schlagzeug) und Jim Cratchley (Bass) haben keinerlei Problem damit, nicht modern zu sein. Sie benennen völlig freiwillig Nirvana und REM als wichtige Einflüsse. Als sie im April 2011 ihre erste EP We Were Children veröffentlichten und dazu ein Video drehten, da filmten sie ganz selbstverständlich ihren eigenen Auftritt auf dem Dach eines Hauses. Sie waren mit den Kooks auf Tour, demnächst sind sie als Vorgruppe der Kaiser Chiefs zu sehen, und das ist genau das richtige Umfeld für Tribes, denen Refrains offensichtlich wichtiger sind als Coolness.
Baby beginnt trotzdem (nach einem Sound, der so klingt, als würden Tribes ihre Knochen strecken und die Muskeln lockern) sehr cool, erst knapp vor der Mitte wird der Opener Whenever richtig leidenschaftlich. Dafür klingt das folgende We Were Children (das ebenso wie das eingangs erwähnte When My Day Comes schon zuvor auf EP erschienen ist) von Anfang an wie ein Glaubensbekenntnis. Es braucht nicht viel Fantasie, und man kann eine ganze Arena mitsingen hören: „Unknown stranger, you’re just like me / these things happen, we were children in the mid-90s“.
Der Track zeigt die größte Stärke von Tribes: Wenn sie ein bisschen Tempo rausnehmen, sind die Songs auf Baby am besten. Corner Of An English Field ist so ein Fall, leicht melancholisch, mit reichlich Grandezza und toller Melodie wie die Balladen von Ash. Halfway Home wird dann noch ein wenig zarter und hat all die Beiläufigkeit (und den Klassizismus), die die Kooks oder die Courteeners in ihren besten Momenten einzufangen vermögen. Alone Or With Friends klingt dann dank seiner zwölfsaitigen Gitarre, LSD-Lyrik (mit all den üblichen Metaphern von Engeln und Donner, dem Universum und einer Symphonie) und dem seltsamen Stimm-Effekt verdammt nach Seventies. Der Refrain wäre selbst für Oasis, Aerosmith oder, jawohl, Barclay James Harvest nicht zu groß.
Die Single Sappho hingegen könnte nicht mehr Rock sein, wenn sie in alte Socken von Keith Richards eingewickelt wäre und nur gemeinsam mit einer Urinprobe von Jet verkauft würde. Das Schlagzeug am Anfang von Walking In The Street ist wohl das Virtuoseste, was Baby zu bieten hat, und auch dieses Lied hat wieder einen Refrain, zu dem sich betrunkene Männer wunderbar in den Armen liegen können. Der Rausschmeißer Bad Apple beweist, dass Tribes auch nichts gegen ein bisschen Pathos haben, sodass etwas Ähnliches wie eine Guns’N’Roses-Ballade dabei herauskommt.
Egal, wie oft man Baby hört: Man kann sich voll und ganz dem Urteil anschließen, das Paul Lester im Guardian gefällt hat, als er Tribes vor einem guten Jahr vorgestellt hat: „Most likely to: Entertain us. Least likely to: Change rock music forever.”
Direkt aus dem Tour-Kleinbus: Auch mit dieser Akustik-Performance von We Were Children sind Tribes ganz und gar Rock:
httpv://www.youtube.com/watch?v=tyDdSNHUCzI