Künstler | Wir sind Helden | |
Album | Tausend wirre Worte | |
Label | EMI | |
Erscheinungsjahr | 2011 | |
Bewertung |
Durchaus mutig ist das. Wir sind Helden, eine Band, deren erste Single sich immerhin nach allgemeiner Einschätzung gegen den Konsumwahn wandte, bringen ein Best-Of-Album raus. Nach nur vier regulären Longplayern, zudem nur wenige Monate nach dem Erscheinen des letzten Albums Bring Mich Nach Hause.
„Ausverkauf!“ wird jetzt mancher rufen, der in Wir Sind Helden die Gralshüter des aufrechten, konsensfähigen, politisch korrekten deutschen Liedguts sieht. Doch man kann die Gemüter schnell beruhigen. Zum einen ist Tausend wirre Worte das wohl erste Best-Of-Album, das vier Wochen nach dem Weihnachtsgeschäft erscheint. Zum anderen bietet die Doppel-CD mit insgesamt 40 Liedern reichlich value for money. Zumal noch eine DVD mit rund zweieinhalb Stunden Spielzeit obendrauf kommt, die alle Videoclips (teilweise mit Making Of und Audiokommentar) und die Doku Tausend Wirre Bilder enthält, auf der die Helden ebenfalls ihre erfreuliche Tendenz zu großer Selbstironie und geringer Eitelkeit pflegen (unter anderem sind die drei Kerls in der Band nackt in der Dusche zu sehen). Und schließlich beweist auch diese Werkschau, dass es nach wie vor niemandem im Lande gibt, der Intelligenz so gut mit Charme verbindet und Pop so gekonnt auf die richtige Seite der Oberfläche bringt.
Natürlich lässt CD1 daran keinen Zweifel, denn der erste Silberling, betitelt als „Lieblingslieder“ enthält sattsam bekannte Klassiker aus dem Helden-Werk. Trotzdem wartet auch diese Zusammenstellung mit ein paar Überraschungen auf. So ist beispielsweise keine einzige der drei Singles vom etwas missverstandenen 2007er Album Soundso enthalten – womöglich ein Fingerzeig, dass Wir sind Helden diese Phase ihrer Karriere im Rückblick auch selbst nicht als allzu strahlend empfinden. Das hatte auch Jean-Michel Tourette im Interview im Sommer beim Highfield schon angedeutet. „Bei Soundso haben wir mit ein paar Texten und musikalischen Kapriolen unbewusst vielleicht versucht, ein paar Leute abzuschütteln. Wir haben ganz viel im Studio gefrickelt und uns sehr genau mit allen Details beschäftigt“, hatte er mir damals erzählt. Das dritte Album nimmt dafür auf der DVD breiten Raum ein, die insgesamt wenig Glamour, aber dafür spannende Einblicke in die Chemie der Band liefert.
Auch der Fan-Liebling Aurelie fehlt, dafür gibt es eine sehr geschmackvolle Auswahl von hübschen Albumtracks wie Echolot (Judith: „Dieses Lied war für mich wie ein kleiner Voodoo-Zauber.“) oder The Geek (Pola: „Noch heute diskutieren wir heftig über den Unterschied zwischen Geek und Nerd. Ich glaube, man kann das so erklären: Der Nerd ist im Schachclub und steht danach mit den Anderen in der Raucherecke. Der Geek ist im Schachclub und wird in der Pause verkloppt.“)
CD2 wird deutlich spannender, denn darauf haben Wir Sind Helden ihre B-Seiten versammelt. Und das liefert durchaus erstaunliche Erkenntnisse. Das Quartett aus Berlin führt noch einmal seine ungeheure stilistische Bandbreite vor. Es gibt Synthie-Pop, der putzig wäre, wenn der Refrain nicht das böse Wort „ficken“ enthalten würde (Popstar). Eine wirre Space-Polka (Replikanten) und Ragtime-Wunschträume (das Demo von Gekommen um zu bleiben). Eine House-Interpretation eines modernen Big-Band-Versuchs (der Moonbootica-Remix von Gekommen um zu bleiben). Ein Experiment, das nur aus verstörten Keyboardtönen und ganz viel großartigem Herzschmerz zu bestehen scheint (Kompass). Und einen Sommerhit, der zu Reggae-Rhythmen das Fernweh verteufelt (Friede, Freude, Lagerfeuer).
Zudem beweisen Wir sind Helden ihre Live-Qualität (die wuchtige Heldenzeit, das fast nur auf ein Xylophon und Streicher reduzierte Außer Dir, das bezaubernde Halt Dich an Deiner Liebe fest) und zeigen, dass sie auch mit weniger bekannten Liedern wie Streichelzoo oder Alphamännchen in der Lage sind, perfekt die Befindlichkeit der Generation Neon einzufangen.
Nicht zuletzt tragen sie mit den zunächst dämlich wirkenden fremdsprachigen Versionen ihrer eigenen Lieder zu einem besseren Helden-Verständnis bei. Diese Musik wird viel zu oft auf die (zugegebenermaßen großartigen) Texte von Judith Holofernes reduziert. Wenn sie plötzlich Französisch (T’es comme ca), Japanisch (Sa Itte Miyo) oder Chinesisch (Kaputt) singt, dann tritt viel deutlicher die musikalische Klasse dieser Songs in den Vordergrund, ihre cleveren Rhythmen, ihre tollen Melodien und ihre enorme Verspieltheit.
Mit ganz viel Stolz filmen sich Wir sind Helden dann auch auf der Bonus-DVD gegenseitig bei Auftritten in Paris, London oder Amsterdam. Auch hier wird deutlich, wie glücklich sie sich schätzen, diese Band zu sein. Wir sind Helden wissen genau, dass sie angesichts der Naivität ihrer Anfangstage großes Glück hatten, es so weit zu bringen. Andererseits sind auf Tausend Wirre Bilder aber auch genau jene frühen Jahre erstaunlich gut mit Videoaufnahmen dokumentiert – das legt den Verdacht nahe, dass manch einer damals schon ahnte, dass hier etwas ganz Großes im Entstehen ist.
Unterm Strich zeigt Tausend wirre Worte, dass es mit guten Liedern genauso ist wie mit guten Menschen: Es ist egal, in welchem Kontext man sie antrifft. Und es kann nie genug davon geben.
Nicht auf dieser Werkschau, aber trotzdem eine Entdeckung wert: Wir sind Helden spielen Leonard Cohen und singen Hallelujah:
httpv://www.youtube.com/watch?v=_QR2WB2Gyfk
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