Künstler | You Me At Six | |
Album | Sinners Never Sleep | |
Label | Virgin | |
Erscheinungsjahr | 2011 | |
Bewertung |
Die Briten sind ein seltsames Volk. Sie hassen Maggie Thatcher – und sie wählen David Cameron. Sie haben beim Rugby in 9 von 13 WM-Finals gestanden, und hängen dennoch weiter der fixen Idee nach, stattdessen ausgerechnet Fußball zu ihrem Nationalsport zu machen. Sie lachen über The Darkness – und machen You Me At Six zu Rockstars.
Im vergangenen Jahr wurde das Quintett aus Weybridge bei den Kerrang!-Awards als beste britische Band ausgezeichnet. Sinners Never Sleep, ihr drittes Album (nicht schlecht für eine Kapelle, deren ältestes Mitglied gerade 22 Jahre alt ist) erreichte in den englischen Charts Platz 3, nachdem es schon der Vorgänger Hold Me Down in die Top5 geschafft hatte. Und all das mit einer Musik, die so erschreckend ernsthaft und anmaßend altmodisch ist, dass man sich nur wundern kann.
Sinners Never Sleep, das vor einer Woche auch in Deutschland erschienen ist, klingt wie die Musik einer Band, die mangelnde Körperhygiene gerne durch übermäßigen Jack-Daniels-Konsum ausgleicht. Man kann sich wunderbar ausmalen, wie bei den Aufnahmen mit Produzent Garth Richardson (Biffy Clyro, Gallows, Rage Against The Machine) in Los Angeles regelmäßig Worte wie „kernig“, „Power“, „ehrlich“ oder „fett“ gefallen sind – allesamt Begriffe, die aus dem Vokabular aller Musiker der Welt gestrichen werden sollten. Das Ganze ist so verbissen rechtschaffen, dass man auch gerne eine Südstaatenflagge an der Wand oder ein Altes Testament in der Bass Drum vermuten darf.
Entstanden ist dieses Machwerk aus dem Anspruch heraus, den Sound von You Me At Six weiterzuentwickeln. „Das Letzte, was wir tun wollten, war ein Pop-Punk-Album darüber zu schreiben, wie wir uns auf der Warped-Tour betrunken oder wie uns Mädels abserviert haben“, erklärt Drummer Dan Flint. Um zu beweisen, dass man mehr drauf hat, entstanden gleich zu Beginn die ambitioniertesten Stücke von Sinners Never Sleep. Eins davon ist Bite My Tongue, das wie Pearl Jam ohne deren Horizont beginnt und am Ende dank eines Gastauftritts von Olo Sykes (Bring Me The Horizon) beinahe Hardcore wird. Das Zweite ist der gut sechsminütige, weitgehend ereignislose Rausschmeißer When We Were Younger, in dem Sänger Josh Franceschi die Beziehung zu seinen Eltern thematisiert.
Das ist ein weiteres Problem an Sinners Never Sleep: die Texte. „Diese Band ist so etwas wie meine Therapie. Ich muss sie benutzen, um meine Probleme loszuwerden”, sagt Franceschi, ohne zu bedenken, dass es normalerweise wenig Spaß macht, andere Menschen bei medizinischen Behandlungen zu beobachten. Vor allem, wenn die Aussagen so plump sind wie hier. Immer wieder betonen You Me At Six, wie ehrlich sie es meinen, wie treu und aufrecht sie sind, in der Liebe, in der Freundschaft und natürlich in der Musik. „I’m married to the music / for better or for worse“, singt Franceschi tatsächlich in Bite My Tongue – das ist vielleicht nachvollziehbar, wenn man als 16-Jähriger begonnen hat, sich mit nichts anderem mehr als Musik zu beschäftigen. Aber es ändert nichts daran, wie langweilig, dumm und blasiert diese Beteuerungen sind.
Die Musik passt dazu. Der Opener Loverboy klingt, als versuchten die Red Hot Chili Peppers, sich 25 Jahre zurück in der Musikgeschichte zu beamen. Vieles ist so sehr gefangen in Standards und einem Klangkosmos, an dem die Fans der Band wohl vor allem schätzen, dass er „handgemacht“ ist, dass Sinners Never Sleep tatsächlich ein Werk von Billy Idol aus den späten 1980ern oder eben eine Platte aus der Blütezeit von The Darkness sein könnte. Wie Weezer ohne Klasse oder Blink-182 ohne Scheiß-drauf-Attitüde klingt Reckless. Dann schafft es Time Is Money (mit Parkway-Drive-Sänger Winston Smith) sogar, Plastik-Emo mit wildem Heavy-Grunzen zu vereinen.
Es gibt ein paar Lichtblicke: Jaws On The Floor hat einen netten Refrain und ein kompetentes Arrangement, wäre aber schon vor 20 Jahren ausgenudelt gewesen, wenn die durchaus geistesverwandten Gun diesen Song aufgenommen hätten. Wer Jimmy Eat World schon immer ein bisschen zu laut fand, der dürfte Gefallen an This Is The First Thing oder Little Bit Of Truth finden. Die Ballade Crash, irgendwo zwischen Snow Patrol und Incubus, ist ganz hübsch.
Mit Sinners Never Sleep liefern You Me At Six damit leider bloß einen weiteren Beweis, dass man Inspiration nicht mit Einsatz und Talent nicht mit Kompetenz ersetzen kann. „All I wanna do is write a song / but everything I say just comes out wrong“, heißt es in Little Bit Of Truth – wie wahr.
Sehr subversiv: You Me At Six covern Lady Gagas Poker Face:
httpv://www.youtube.com/watch?v=EF64Xriq1Qo