Hingehört: You Say France & I Whistle – „Angry Men“

Provisorisch und doch rundum gelungen - das ist nur einer von vielen faszinierenden Widersprüchen auf "Angry Men".
Provisorisch und doch rundum gelungen – das ist nur einer von vielen faszinierenden Widersprüchen auf „Angry Men“.
Künstler You Say France & I Whistle
Album Angry Men
Label SPV
Erscheinungsjahr 2012
Bewertung ****

“Like The Cure, with more happiness; Shout Out Louds, with more energy; Vampire Weekend, with more rock; Arcade Fire, with more pop.” So klingen You Say France & I Whistle. Zumindest behaupten die fünf Schweden das auf ihrer Homepage – und wenn demnächst alle Bands derart treffende Selbstbeschreibungen ihres Sounds mitliefern sollten, dann dürfte schon bald der eine oder andere Blogger sein Handwerk aufgeben.

Denn in der Tat liefern You Say France & I Whistle mit Angry Men ein Debütalbum ab, das all diese Zutaten aufs Trefflichste vereint. Ganz klar wird deutlich: Diese Schweden haben kein Problem damit, eingängig zu sein, oder auch Pop, oder auch Mainstream. Ihre Lieder zierten schon die Werbekampagnen von Gap, Orbit, Coca Cola und McDonald’s – viel deutlicher kann man nicht machen, dass man nicht viel auf altmodische Indie-Glaubwürdigkeit gibt.

Trotzdem sind wir hier nicht in der Welt von Plastik, Bubblegum und permanenter Euphorie. You Say France & I Whistle sind mitreißend, tanzbar, plakativ – aber diese Musik hält sich doch immer ein Hintertürchen offen, um notfalls schnell aus der völligen (und flüchtigen) Glückseligkeit fliehen zu können. Zugleich hört man Angry Men die Frische eines Debütalbums an, merkt aber auch, dass hier keine Frischlinge am Werk sind (die Band wurde bereits 2006 gegründet, zwei EPs gingen dem Album voraus). Nicht zuletzt haben viele Momente auf dieser Platte etwas Provisorisches, trotzdem ist praktisch jeder Song rundum gelungen.

Dazu trägt vor allem die Vielzahl der Instrumente bei, die auch die Konzerte der Schweden zu einem höchst abwechslungsreichen Spaß macht. Schon der Opener Angry Men hat eine Kuhglocke und eine seltsame Tröte zu bieten, dazu die Kinderzimmer-Ausgelassenheit von Those Dancing Days und die Pop-Perfektion der Shout Out Louds. Attaboy punktet mit treibenden Drums und einer herrlich naiven Orgel. Der Text thematisiert wohl die Monotonie eines Jobs, der nicht Rockstar heißt, und auch sonst werden auf Angry Men immer wieder Konsumwahn und leerer Materialismus angeprangert, ohne dass hier irgendwo ein Oberlehrer lauern würde.

In Animal kommt erstmals die Stimme von Keyboarderin Ida Hedene prominent zum Einsatz, und ihr Wechselgesang mit Leadsänger Claes Carlström passt herrlich, um die Hin-und-Hergerissenheit des Songs zu illustrieren. Da ist eine Frau, die nicht mehr ganz nüchtern ist, aber mächtig angetan von einem jungen Herrn. Da ist dieser junge Herr, der langsam nüchtern wird, und dem dieser Flirt erst schmeichelhaft, dann aber zunehmend suspekt vorkommt. Schlauer und mit mehr Killer-Hooks hätten auch Franz Ferdinand diese prototypische Tanzflächenszene nicht vertonen können. OMG hat hingegen ein Arrangement und ein Gitarrenriff, das die Cribs neidisch machen dürfte.

Our Spiderweb klingt abwechselnd wie The Cure bei einer Strandparty mit Friendly Fires und wie die frühen Cardigans. Auch sonst sorgt vor allem Bassist Christian Wester immer wieder für eine gute Dosis Funk. Prom Queens beispielsweise profitiert enorm davon und vermischt die Disco-Affinität von The Virgins mit dem exaltierten Chaos, das Art Brut so gerne pflegen. Eddie Argos hätten sicherlich auch die zahlreichen Popkultur-Verweise im Text von Prom Queens gefallen, und die erste Textzeile: „Let’s go, let’s get it on / my dick is getting harder.“

When Lovers Die ist herrlich ungestüm und übermutig, This Is Sunday, Right? hat reichlich Punch, auch Cats ist ansteckend energisch und ein gutes Beispiel dafür, wie You Say France & I Whistle immer wieder Unbedingtheit mit Leichtigkeit vereinen – sogar so sehr, dass aus einem Kracher wie Cats am Ende plötzlich ein Walzer mit Akkordeon-Begleitung werden kann.

In I’m On Your Side werden Vampire Weekend mit den Pipettes vermählt – und das ergibt tatsächlich den ultimativen Pop, den man sich bei dieser Paarung vorstellt. Die Waffe im hauchzarten Where’s My Gun kann höchstens eine Spielzeugpistole sein, das Arrangement von Second Thoughts ist genauso clever wie der Text im Refrain: „I got second thoughts about thinking twice tonight.“

Mit Johnny Ulysses holen You Say France & I Whistle ausnahmsweise mal etwas weiter aus, auch der Rausschmeißer Take My Shoes klingt vergleichsweise komplex. „We all live in metaphors / impossible to paraphrase“, lautet hier die Erkenntnis. Das ist eindeutig der Beweis, dass You Say France & I Whistle auch ernsthaft sein könnten, wenn sie wollten. Aber Gott sei Dank gibt es dazu erst einmal keinen Grund.

You Say France & I Whistle sind gerade auf Tour durch Deutschland. Hier gibt es die fünf Schweden live zu sehen:

01.02. Münster – Amp

02.02. Stuttgart – Zwoelfzehn

03.02. München – Atomic Cafe

07.02. Heidelberg – Häll

08.02. Berlin – Comet Club

09.02. Haldern – Haldern Pop Bar

10.02. Bremen – Tower

11.02. Dortmund – 023

You Say France & I Whistle spielen Where’s My Gun live in leipzig:

httpv://www.youtube.com/watch?v=6bSurl62NOU

You Say France & I Whistle bei MySpace.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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