Siv Jakobsen – „The Nordic Mellow“

Künstler Siv Jakobsen

The Nordic Mellow Siv Jakobsen Kritik Rezension
Zwei Jahre nach ihrer ersten EP legt Siv Jakobsen ihr Debütalbum vor.
Album The Nordic Mellow
Label Sivmusic
Erscheinungsjahr 2017
Bewertung

„Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich auch das Traurigsein erlaubt“, sagt Siv Jakobsen. Welche Inhalte die Texte auf ihrem Debütalbum The Nordic Mellow haben, ahnt man bei solch einem Zitat schnell: unglückliche Liebe, Sehnsucht und Abschied sind wichtige Themen der Norwegerin.

Das galt schon 2015 auf den sieben Songs ihrer ersten EP The Lingering. Die Sängerin hat allerdings eine entscheidende Weiterentwicklung an sich beobachtet: „Es ist wie ein Blick auf dieselbe Lebensphase, aber von einem anderen emotionalen Standpunkt aus. Die erste Platte war eher geprägt von diesem andauernden Gefühl der Trauer und Hoffnungslosigkeit. Diesmal ist es eher frustriert und wütend geworden, obwohl es um dieselben Dinge geht. Es fühlt sich an, als hätte ich mich ein bisschen von ihnen wegbewegt und dadurch meine Perspektive verändert.“

Es gibt Lieder wie das vergleichsweise muskulöse und spontane Berry & Whythe auf dieser Platte, denen man diese Gefühle direkt im Sound anhört. Meist stecken sie allerdings in den Texten, am deutlichsten ist das in Change zu erkennen. In dem Lied, das dank des grandiosen Arrangements eine fast atemlose Spannung bekommt, droht Siv Jakobsen mit ihrer Fähigkeit zur Boshaftigkeit und ringt doch mit ihrer Entscheidung, all die gemeinen Worte lieber runterzuschlucken, zu denen sie imstande wäre. Es sind Bekenntnisse wie dieses, die The Nordic Mellow so eindringlich machen.

Zur Besonderheit dieser in London aufgenommenen und von Matt Ingram (Laura Marling) produzierten Platte gehören auch die wundervollen Streicher (arrangiert von Christian Li), aber vor allem ist es die Ehrlichkeit und Intimität der Lieder, die hervorsticht. „I’m on my own“, singt Siv Jakobsen an einer Stelle, aber ohne Larmoyanz – nicht nur, weil sich danach die Beteuerung „but I’m not alone“ anschließt. „I don’t love you like I used to / I love you too much“, endet ein anderer Song, und gerade deshalb wird diese Analyse einer nicht funktionierenden Beziehung noch schmerzhafter und noch mehr zur Gewissheit.

„Die Texte sind nicht immer autobiographisch, aber sie sind immer ehrlich, wahr und real – etwas, das ich in irgendeiner Weise wirklich gefühlt habe“, sagt die Norwegerin. Wie gut sie es versteht, sich notfalls auch nur in eine aufwühlende Situation hineinzuversetzen, zeigt etwa das eindringliche We Are Not In Love: Ist dieser Titel eine traurige Erkenntnis? Oder steht er für den Versuch eines Selbstbetrugs? Auch To Leave You illustriert diese Fähigkeit und zeigt zudem sehr schön den typischen Sound von The Nordic Mellow: Es gibt eine akustische Gitarre, die obligatorischen Streicher und ein paar sehr effektvolle Tupfer vom Bass. Die emotionale Zerrissenheit äußert sich dabei nicht in Rage, sondern in Flucht, Rückzug und Introspektion.

Crazy wird sehr intim, sanft und vorsichtig, in Shallow Digger sorgen ungewöhnliche Akkorde, plakative Percussions und ein paar asiatische Einflüsse für eine fast verwunschene Atmosphäre. Blanket wird beschaulich und extrem schön, mit ein paar Klaviertönen und ihrer herausragenden Stimme schließt Siv Jakobsen mit Space auf beinahe selbstvergessene Weise das Album ab.

Dass sie sich eigentlich auf das Singen konzentrieren wollte, weil sie mit ihren ersten Versuchen als Songwriterin während der Schulzeit wenig zufrieden war, kann man angesichts der Qualität ihrer zehn hier vertretenen Kompositionen kaum glauben. Erst, als sie am Berklee College of Music in Boston ein Seminar zum Songwriting belegte, änderte sich ihre Abneigung. „Gleich in der ersten Stunde wurde mir klar: Das ist genau das, was ich machen möchte. Da ging mir wirklich ein Licht auf“, erinnert sich Siv Jakobsen. Wenn man auf The Nordic Mellow erlebt, wie wichtig diese Ausdrucksform mittlerweile für sie geworden ist, um Gefühle, Konflikte und Erfahrungen zu verarbeiten, kann man nur froh darum sein. Und als Liebhaber von düsterem, eleganten und intensivem Folkpop natürlich auch.

Ziemlich einsam und frostig ist es im Video zu Like I Used To.

Website von Siv Jakobsen.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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