Künstler | Hookworms | |
Album | Microshift | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Auf einen Stimmeffekt, den sie gerne einsetzen, spielt der Titel des dritten Albums von Hookworms an. Natürlich kann man bei Microshift auch vermuten, die Band aus Leeds habe im Hinterkopf die Hoffnung, der eine oder andere Kritiker käme angesichts der Platte zum Fazit, sie sei eben nicht nur eine minimale Verschiebung im Sound des Quintetts, sondern ein riesiger Evolutionssprung. Nehmen wir es vorweg: So ist es.
Nach dem Debüt Pearl Mystic (2013) und dem 2014 folgenden The Hum haben sich Hookworms drei Jahre lang Zeit gelassen für die Arbeit an Microshift. Zum Teil war das eine ganz bewusste Entscheidung, um einen völlig neuen Ansatz zu finden, wie MB sagt (alle bei Hookworms geben nur ihre Initialen preis): “Nach acht Jahren in dieser Band konnten wir nicht einfach noch eine Psych-Rock-Platte machen.“ Statt der Orgel, die so etwas wie ihr Markenzeichen ist, und dreckigen Gitarren gibt es deshalb diesmal mehr Synthies, Loops, Samples und Drumcomputer.
Die Idee von „Rockband macht auf Elektronik“ klingt wenig originell, doch sie ist bei Hookworms recht organisch gewachsen. Eine wichtige Inspiration dabei waren die Konzertelebnisse, die es etwa bei gemeinsamen Festivalauftritten mit Richard Formby (Produzent der Spaceman 3) oder den Techno-Machern Karen Gwyer und Container gab. “Wir hatten zum ersten Mal ernsthaft Synthesizer, Samples und Drumcomputer in unseren Livesound eingebaut statt nur der üblichen Drone-Effekte. Als wir gehört haben, wie kraftvoll diese Instrumente über eine richtige PA klingen, begleitet von echtem Schlagzeug, hat uns das die Augen geöffnet“, sagt MB. Gitarrist EO bestätigt, wie wichtig diese Begegnungen waren: „Es war ein Privileg, auch auf der neuen Platte mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten. Bei einigen Songs haben sie uns an Orte geführt, die wir sonst nie erreicht hätten.“
Ganz freiwillig war die lange Entstehungszeit von Microshift allerdings auch nicht. Hookworms mussten nach dem zweiten Album eine US-Tour wegen Visaproblemen absagen, ihr Live-Toningenieur starb, 2015 wurde zudem ihr Studio überschwemmt und sie mussten eine Crowdfunding-Kampagne starten, um es gemeinsam mit vielen Freiwilligen wieder aufbauen zu können. Boxing Day ist der Song, in dem sie diesen Vorfall verarbeitet haben, er klingt ein wenig wie Hot Chip, die sich gelegentlich einer fehlgeleiteten Jazzkapelle erwehren müssen. Anderswo, etwa in Ullswater mit seiner sehr coolen Synthie-Sequenz, einem noch cooleren Beat und einem perfekten Zusammenspiel von Repitition und Variation, klingen LCD Soundsystem an.
Opener steht zwar nicht an erster Stelle der Tracklist, dennoch führt der Titel nicht ganz in die Irre: Der Track entstand bei der ersten Session von Hookworms mit Formby, aus der eigentlich bloß eine EP werden sollte. Der mehr als 8 Minuten lange Song holt weit aus, ist schön und komplex und deutet damit an, was passieren könnte, wenn die Shout Out Louds mehr auf ein Opus Magnum aus wären als auf 3-Minuten-Glück. Auch Negative Space gönnt sich viel Anlauf und handelt von der Art von Trauer, die zum Abgrund werden kann. „My guts explode“, wiederholt Sänger MJ mehrfach – was man hört, ist aber nicht die Detonation, sondern der Druck davor, die Spannung, nicht die Erlösung. “In gewisser Weise handeln alle unsere Platten von psychischen Problemen. Zu einem großen Teil geht es diesmal um Verlust, aber auch um das Erwachsenwerden, um die Fähigkeit, deine Macken und die Vergänglichkeit von Intimität zu akzeptieren.”
Wie das klingt, zeigt etwa Static Resistance mit einem sehr entschlossenen Rhythmus und der zentralen Zeile „I’m facing down / I’m feeling awful.“ Shortcomings behandelt Körperkult und Unwohlsein in der Öffentlichkeit und offenbart ebenfalls eine Nervosität, die erstaunlich einnehmend ist. Die Warnung „Don’t wait for me“ in Each Times We Pass scheint er aus einer Wolke heraus auszusprechen, der Song, bei dem Alice Merida Richards (von Virginia Wing, mit denen Hookworms auch schon auf Tour waren) mitwirkt, bleibt luftig, aber nicht ungefähr.
Die besondere Stärke von The Soft Season, das sehr feinfühlig beginnt, dann im Refrain schön und erhebend wird, um danach kurz in den Orbit entschwinden zu wollen, ist das Zusammenspiel der Stimmen von MJ und MB. “Ich denke, wir haben uns immer irgendwie angezogen und abgestoßen. Hier kommt das allerdings deutlicher zum Vorschein als jemals zuvor“, sagt MB zu dieser Technik. „Wir ergänzen unsere positiven Seiten und gleichen unsere negativen Seiten aus. Man kann wohl sagen, dass Hookworms ohne die Ideen von MJ ziemlich langweilig oder unhörbar wären, und ohne mich wären seine Songs nicht schräg und interessant genug“, beschreibt er die Rollenverteilung.
Microshift ist in der Tat all dies: eingängig, experimentell und ereignisreich. Auch jenseits der Oberfläche passiert immer irgendwo irgendwas, die früheren Stärken des Quintetts sind erhalten geblieben, viele neue Elemente hinzugekommen. Wie gesagt: ein Evolutionssprung.