Künstler | Ihsahn | |
Album | Ámr | |
Label | Spinefarm Records | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Ich habe ungefähr so viel Ahnung von Black Metal wie vom Teppichknüpfen. Als Außenstehender nimmt man dieses Genre vor allem als einen Hort von geistig verwirrten Chaoten wahr, die selbst innerhalb der Metal-Szene als Spinner gelten. Verurteilte Mörder wie Hendrik Möbius und Varg Vikernes beziehen sich auf diese Musik, auch die Nähe zu rechtem Gedankengut ist gefährlich groß.
Ihsahn, als Frontmann von Emperor für viele Jahre eine prägende Kraft der Szene in seiner norwegischen Heimat und darüber hinaus, ist auch nicht frei von solchen Vorwürfen. Der Schlagzeuger seiner Band wurde wegen eines Ritualmordes verurteilt, zwei weitere Emperor-Mitglieder saßen im Gefängnis, weil sie Kirchen angezündet haben. Auch Ihsahn selbst wurde dieses Delikts überführt. In einer wissenschaftlichen Studie zu Black Metal erklärt er seine damaligen Beweggründe. „Kirchen zu verbrennen, war ein symbolischer Akt. Es ging darum, zu beweisen, dass einige Menschen in Norwegen ganz entschieden gegen das Christentum waren. Es hat meine persönlichen Gefühle zum Ausdruck gebracht, und es hat sie gestärkt. Es war noch ein weiterer Schritt, um sich vom Alltag der normalen Leute zu distanzieren, für mich, und für viele andere Menschen.“
Jemanden mit einer solchen Biograpie als „Norway’s foremost musical extremist” zu bezeichnen, wie Ihsahn im Presse-Info zu Ámr genannt wird, ist wohl nicht zu weit her geholt. Umso erstaunlicher ist, wie vergleichsweise konventionell der Mann, der bürgerlich Vegard Sverre Tveitan heißt, auf seinem siebten Soloalbum klingt.
When You Are Lost And I Belong ist ein Lied wie aus dem Hardrock-Theater, wenn auch eher in einer Inszenierung von Manowar als von Alice Cooper. Marble Soul hat eine brutale Strophe, der Refrain hingegen ist fast harmlos und mit einer beinahe ESC-tauglichen Melodie ausgestattet. Auch Wake setzt auf dieses Rezept: Wild in der Strophe, während der Refrain auch hier 1:1 von weitaus softeren Bands in der Kategorie von Judas Priest oder Iron Maiden vorstellbar wäre. Samr würde man selbst mit dem Wort „Ballade“ nicht unrecht tun. Neben dem Gesang gibt es in der Strophe nur einen sehr reduzierten Bass und ein paar Trommelschläge, der Refrain könnte dann jeden Meat-Loaf-Fan glücklich machen.
Natürlich gibt es auch weniger leicht Verdauliches, insgesamt deckt Ihsahn eine erstaunlich große Bandbreite dessen ab, was man mit Gitarre, Schlagzeug, Bass und reichlich schlechter Laune fabrizieren kann. In Rites Of Passage ist Progressive Metal mit einem hohen Anteil an Keyboards. Arcana Imperii setzt auf ein klassisches Black-Metal-Riff, der Gesang wechselt vom obligatorischen Growling zwischendurch in erstaunliche Klarheit, auch das Beinahe-Kinderspielzeug-Keyboard könnte für einstige Fans von Emperor ein Schock sein.
Die Gitarre darf in One Less Enemy von Anfang an ins Rampenlicht und bleibt dann dort auch, die Double Bass prägt das Schlagzeugspiel, dazu gesellt sich ein recht pompöser Chor. “The world I used to see / no longer part of me”, leidet Ihsahn darin. Ähnlich gelagert ist der Text von Twin Black Angels, der ihn beinahe als Romantiker zeigt, in jedem Fall sind da die Sehnsucht nach Spiritualität und Ursprünglichkeit sowie die Ablehnung der Beliebigkeit der Moderne auszumachen, die vielleicht die prägendsten Elemente des Genres sind.
Lend Me The Eyes Of The Millennia steht am Beginn von Ámr, mit erstaunlich vielen Keyboards und erstaunlich wenig Gitarre – was er mit den Augen aus Jahrtausenden erblickt, scheint jedenfalls nicht sonderlich erquicklich zu sein. Den Abschluss des Albums bildet der Bonus Track Alone, die Vertonung eines Gedichts von Edgar Allan Poe. Klavier und Synthiestreicher prägen darin zunächst den Sound, bevor mit pompösen Drums und seinem verzweifelten Geschrei der Text beginnt. Zwischendrin bekommen die Gitarren, akustisch und elektrisch, natürlich auch noch einen gebührend prominenten Auftritt. Insgesamt wird das Stück gut 11 Minuten lang, und es ist nicht ganz auszuschließen, dass diese Ästhetik dem Dichter gefallen hätte.
Auch für Nicht-Fans ist es somit insgesamt interessant zu sehen, was Ihsahn alles kann, und wie weit sein musikalischer Horizont auf Ámr reicht. Nicht zuletzt zeigt die Platte: Der einstige Kirchenverbrenner darf wohl als domestiziert gelten.