Das Werk des polnischen Schriftstellers Stanisław Lem hat zuletzt mehrfach sehr prominent den Weg auf die Kinoleinwand gefunden. Steven Soderbergh hat 2002 seinen Roman Solaris aus dem Jahr 1961 verfilmt, mit George Clooney in der Hauptrolle und einem Budget von 47 Millionen Dollar. The Congress von Ari Folman hat nur ein Sechstel davon gekostet, aber 2013 viel Lob bei den Filmfestspielen in Cannes eingeheimst, ebenfalls mit einem Stoff des polnischen Autors als Ausgangsmaterial. Es gibt auch eine Futurama-Folge, die auf einer Idee von Lem beruht.
In dieser sehr prominenten Reihe kann Ijon Tichy: Raumpilot nur in einem Aspekt mithalten: Auch diese Fernsehserie geht auf Erzählungen von Lem zurück, genauer gesagt auf dessen 1957 veröffentlichte Sterntagebücher. Doch die Fernsehserie (die hier rezensierte erste Staffel mit sechs Folgen à 15 Minuten war 2006/07 im ZDF zu sehen, die zweite Staffel mit sechs weiteren Folgen à 25 Minuten folgte 2010/11 bei ZDFneo) ist weit davon entfernt, mit Hollywood-Standards oder internationalem Flair zu glänzen. Als die Macher der Serie ihre Idee erstmals umsetzten, war das noch ein studentisches Projekt an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Oliver Jahn, der zugleich die Titelrolle spielt, Dennis Jacobsen und Randa Chahoud, die gemeinsam für Regie und Drehbuch gesorgt haben, konnten danach zwar eine Finanzierung ergattern, die sie immerhin ins bundesweite Spätabendprogramm gebracht hat. Doch der Low-Budget-Charakter ist Ijon Tichy: Raumpilot in der ersten Staffel erhalten geblieben, und das ist natürlich gut so.
Denn die charmant improvisierte Herangehensweise passt bestens zu ihrem Titelhelden, und die liebevollen Details der Ausstattung gehören zu den größten Stärken dieser Science-Fiction-Satire. Ijon Tichy schlurft am liebsten in Jogginghose und Unterhemd durchs Bild und ist froh, wenn er alles, was irgendwie nach Arbeit riecht, der eigens dafür geschaffenen holografischen Helferin namens „analoge Halluzinelle“ (Nora Tschirner) aufhalsen kann. Das Innenleben seiner Rakete hat erstaunliche Ähnlichkeit mit einer schlecht aufgeräumten 70er-Jahre-Studentenbude, von außen sieht das Raumschiff aus wie ein Küchengerät. Unter anderem in Gags wie der Startvorrichtung via Türklinke oder dem Autopilot mittels Besenstiel verstecken die Macher viele clevere Anspielungen auf die Ausstattung von Filmen und Serien, die als Benchmark in diesem Genre gelten, und verleihen diesen sechs Folgen zugleich ein sehr hohes Maß an Eigenständigkeit und Charakter.
Noch mehr gelingt das durch den von Stanisław Lem erschaffenen Antihelden. Ijon Tichy hat nichts von der draufgängerischen, todesmutigen Abenteuerlust, die Kosmonauten sonst so gerne zugeschrieben wird. Die Action, die es in dieser Serie gibt (und die für den Plot der jeweiligen Folgen sorgt), wird von ihm nicht gesucht und ist schon gar nicht mit einer bedeutenden Aufgabe wie der Erkundung fremder Galaxien oder der Rettung der Welt verbunden. Vielmehr will er eigentlich bloß seine Ruhe haben, und wenn es einmal Aufregung gibt, stößt sie ihm zu, oft als Resultat seiner eigenen Tollpatschigkeit. Er muss sich nach einem Flug durch eine Zeitschleife mit sich selbst herumschlagen (also mit seinem Ich aus einer anderen Zeit), will einen Wettbewerb für den besten Roboter des Universums gewinnen oder wird zur Rechenschaft gezogen, weil er seinen Müll einfach auf einem fremden Planeten deponiert hat. Schon diese Themen zeigen, wie groß die Lust auf Absurdes, Skurriles und Schräges in diesen jeweils viertelstündigen Episoden ist.
Ebenso schlau wird die vermeintlich generalstabsmäßige Planung von Weltraum-Missionen und die angebliche technische Perfektion von Reisen ins All persifliert, wenn Ijon Tichy seine Rakete stets nur behelfsmäßig mit dem repariert, was ohnehin gerade zur Hand ist, wie ein Hippie seinen alten VW-Bus. Das Beste an der ersten Staffel sind aber die Frotzeleien zwischen Ijon Tichy und der ebenfalls zur Imperfektion neigenden Halluzinelle, die bald einen ebenso störrischen Eigensinn entwickelt wie ihr selbstverliebter und unbelehrbarer Schöpfer. Wenn er ihr mit seinem osteuropäischen Akzent vorwirft „Hast du Schuldigkeit für Landung in Bruch!“ und sie klammheimlich die Herrschaft im Raumschiff übernimmt, während der selbst ernannte „Held von Kosmos“ sich noch immer am Ruder wähnt, oder wenn sie sich süffisant und unnachgiebig angiften wie eine ins All verlegte Variante von Al und Peggy Bundy, ist das auch ein schöner Seitenhieb auf die übliche Rollenverteilung der Geschlechter außerhalb der Erdatmosphäre. So wird die Serie erstaunlicherweise sowohl zum Schmankerl für Science-Fiction-Freund*innen, für die es viele Zitate und Anspielungen gibt, als auch für Zuschauer*innen, die dieses Genre eigentlich stets ein bisschen albern fanden.
Bestes Zitat: „Ganze Planet ist blöd wie Esel schlau.“