Interview mit Austra

Katie Stelmanis hat das dritte Austra-Album schon zur Hälfte fertig. Foto: Berlin Festival/Stephan Flad
Katie Stelmanis hat das dritte Austra-Album schon zur Hälfte fertig. Foto: Berlin Festival/Stephan Flad

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Es ist diesmal eine kurze Tournee für Austra, aber der Zwischenstopp beim Berlin Festival 2014 ist für die drei Kanadier hoch willkommen, schließlich hat jeder ein paar Kumpels und Kollegen in der Hauptstadt, zudem gibt es bei schönstem Spätsommerwetter wahrlich schlimmere Aufgaben, als ein paar schicke junge Menschen auf der Main Stage zu bespaßen.

Ich treffe Sängerin Katie Stelmanis in ihrer Garderobe, frisch eingetroffen vom Konzert am Vorabend in Leipzig. Sie ist so klein und unscheinbar, dass man in ihr kaum die Frontfrau ausmachen kann, die später am Abend in einem goldenen Bolero-Jäckchen, mit roten Shorts, rotem Gondoliere-Hut und Monster-Stimme auf der Bühne stehen wird. Aber man erkennt in ihr im Interview problemlos eine Künstlerin mit sehr dezidierten Ansichten und einem Blick weit über den Tellerrand der eigenen Band hinaus. Wir sprechen über die Innovationskraft von Techno, den Konflikt in der Ukraine, die Unspielbarkeit einiger Olympia-Songs, ungeliebte Evanescence-Vergleiche und die nicht ganz unwichtige Frage, ob Austra (die Band) eigentlich Astra (das Bier) mögen.

Hi Katie, ich muss dich warnen: Ich bin in puncto Interviews vielleicht ein bisschen eingerostet, denn ich bin direkt aus dem Urlaub zu diesem Termin gekommen. Vor ein paar Stunden lag ich noch am Strand. Fühlt sich das Leben auf Tour für dich derzeit eher wie Urlaub an oder eher wie Stress?

Katie Stelmanis: Manchmal ist es anstregend. Aber bei dieser Tour merkt man das kaum, denn wird sind nur eine Woche in Europa unterwegs. Und als wir den kompletten Juli hier verbracht haben, war es auch angenehm: Wir hatten zwischendurch eine Woche frei in Italien, dann mal drei Tage hier frei, mal drei Tage dort – immer an Orten, die wir wirklich gerne haben.

Das klingt ja, als sei es tatsächlich eher ein Urlaub gewesen.

Stelmanis (schweigt, zögert)

Du kannst es ruhig zugeben, ich werde es eurer Plattenfirma nicht verraten!

Stelmanis (lacht): Sagen wir so: Es waren Arbeits-Ferien.

Was machst du, wenn ihr unterwegs ein paar Tage frei habt?

Stelmanis: Meistens ruhe ich mich einfach aus. Auf Tour verbringt man so viel Zeit im Bus oder mit Rumsitzen in irgendwelchen Clubs und Hallen, dass es wirklich schön ist, wenn man mal draußen sitzen kann, herumspazieren und genießen.

Bist du dann mit deinen Bandkollegen unterwegs oder bleibt jeder für sich?

Stelmanis: Mal so, mal so. Wir verbringen während der Tourneen so viel Zeit miteinander, dass wir uns außerhalb dieser Phasen eigentlich kaum treffen.

Ich muss noch einmal kurz meinen gerade beendeten Urlaub erwähnen: Ich hatte zwischenzeitig befürchtet, es nicht rechtzeitig nach Berlin zu schaffen, weil die Lokführer bei der Bahn und die Lufthansa-Piloten streiken. Nehmen wir mal an, es gäbe eine Internationale Pop-Star-Gewerkschaft, die mit Streiks ihre Ziele durchsetzen könnte: Was wäre das wichtigste Ziel, für das so eine Gewerkschaft kämpfen sollte?

Stelmanis: Ich denke, Pop-Stars sollten immer die Idee der Toleranz propagieren. Wenn wir ein Konzert spielen, dann soll das ein Ort sein, an dem es keine Einschränkungen gibt. Keinen Rassismus, keinen Sexismus, nichts von alldem. Popmusik und Musik insgesamt sollten eine Welt anstreben, in der sich alle gegenseitig lieben.

Ich gestehe: Das ist ein viel besseres Programm als das, was ich mir für diese Gewerkschaft ausgedacht hatte. Meine Idee war, sie könnte einfach ein paar Leuten verbieten, jemals wieder eine Platte zu veröffentlichen. Gibt es jemanden, den du gerne mit einem solchen Verbot bestrafen würdest?

Stelmanis (lacht): Es müsste jemand sein, mit dem ich wirklich ein ernstes Problem habe, was die Weltanschauung angeht. Vielleicht jemand wie dieser Typ, der mit Rihanna zusammen war. Der Typ, der sie verprügelt hat.

Chris Brown?

Stelmanis: Genau, ihn würde ich verbieten. Die Leute sollten aufhören, seine Platten zu kaufen – er ist ein Frauenschänder.

Du machst keinen Hehl aus deinen Überzeugungen, auch in politischer Hinsicht. Angesichts deiner lettischen Wurzeln: Beunruhigen dich die Schlagzeilen aus der Ukraine oder die Pläne der NATO, zusätzliche Truppen im Baltikum zu stationieren, um die baltischen Staaten vor Russland zu beschützen?

Stelmanis: Das ist alles schrecklich. Ich habe noch Verwandte in Lettland, Tanten und Cousins großväterlicherseits. Ich kann dem aktuellen politischen Geschehen nicht so gut folgen, weil ich so viel unterwegs bin, aber mir erscheint das alles verrückt. Auch die Sachen, die im Nahen Osten passieren. Ich habe gerade mit meinen Bandkollegen darüber gesprochen, die Rückkehr des Rassismus in Europa. Der Nationalsozialismus liegt zwar schon 70 Jahre zurück, aber kaum geht es mit der Wirtschaft bergab, schon fangen die Leute wieder an, die Juden zu beschuldigen. Das passiert immer und immer wieder, wie ein Kreislauf, der beweist, dass die Menschen nichts dazulernen. Es ist fürchterlich.

Glaubst du, dass du als Künstlerin etwas dagegen tun kannst?

Stelmanis: Zumindest sind wir alle gerade in einer ziemlich einzigartigen Situation: Die ganze politische Propaganda funktioniert nicht mehr so gut, weil wir jetzt Werkzeuge wie Twitter und Facebook haben, um sie zu entlarven. Die jüngsten israelischen Angriffe auf Palästina waren ein gutes Beispiel dafür, weil sie so unglaublich gut dokumentiert wurden. Es gab Tonnen von Bildern, und am Ende konnte niemand mehr daran zweifeln, wie sehr die Palästinenser in diesem Konflikt leiden. Wir haben jetzt Zugriff auf solche Informationen, aber das ist in gewisser Weise auch eine Überforderung. Es läuft so viel Scheiße in der Welt ab – die Leute, die etwas dagegen tun wollen, wissen gar nicht, wo sie anfangen sollen.

Es wäre also am besten, wenn man erst einmal eine Sache rauspickt und die geregelt bekommt?

Stelmanis: Es ist immer einfacher, wenn man eine einzige Sache hat, mit der man sich identifizieren kann. Zum Beispiel hat die ganze Occupy-Bewegung wirklich etwas in Gang gesetzt. Man muss sich hinter so einer Idee versammeln, und meiner Ansicht nach passiert genau das gerade in Amerika. Egal ob man nach Ferguson schaut, auf die Kriminalität mit Schusswaffen oder die Machenschaften der Ölindustrie – den Leuten wird langsam klar, dass sie im Wesentlichen einen Klassenkampf ausfechten. Und so ist es in vielen Regionen der Welt.

Dann lass uns, ganz anderes Thema, nach Leipzig schauen. Ihr habt gestern Abend dort gespielt und ein Freund von mir hat mir berichtet, ihr hättet sehr geschwärmt, die Stadt sei eine eurer liebsten Stationen auf dieser Tour. Das erzählst du doch jeden Abend, oder?

Stelmanis: Nein, überhaupt nicht. Wir mögen Leipzig wirklich sehr gerne. Wir haben dort einige unserer besten und größten Shows gespielt. Ich habe viel über Leipzig gehört, Leute behaupten, es sei das neue Berlin. Ich weiß nicht, ob da was dran ist. Aber im Gegensatz zu anderen Städten in Deutschland, wo das Publikum oft reserviert oder langweilig ist, drehen die Leute in Leipzig immer durch.

Damit sind wir bei der dämlichsten Frage des Interviews angelangt. Der Laden, in dem ihr gestern gespielt habt, das Täubchenthal, schenkt als Bier eine Marke namens Astra aus. Bei nur einem Buchstaben Unterschied zu eurem Bandnamen ist es natürlich meine journalistische Pflicht, ein für allemal zu klären: Trinken Austra gerne Astra?

Stelmanis (lacht): Ich kann das nicht beantworten, ich trinke kein Bier.

Verdammt, du hast mir gerade meine vorbereitete Schlagzeile ruiniert: „Austra hassen Astra!“

Stelmanis: Tut mir leid. Wenn du irgendwann mal einen Wein entdecken solltest, der „Astra“ heißt, helfe ich gerne weiter.

Okay, danke. Einmal abgesehen vom Bier- und Weinangebot: Was macht eine Stadt für dich lebenswert?

Stelmanis: Das ist eine gute Frage, denn ich bin in diesem Punkt wirklich gerade hin- und hergerissen. Ich weiß nicht so recht, wo ich mich niederlassen und Wurzeln schlagen soll. Eine Stadt muss auf jeden Fall bezahlbar sein. Man muss sich den Raum leisten können, um Musik und Kunst zu machen – damit scheidet ein teures Pflaster wie New York schon mal aus. Man braucht eine Community, Menschen, mit denen man verbunden ist. Und ich mag es, wenn ich auf gutes Essen und gute Freunde zugreifen kann.

Stimmst du dich mit deinen Bandkollegen ab, wenn es um die Wahl deines Lebensmittelpunkts geht? Es wird ja für eine Band nicht gerade einfacher, wenn alle in unterschiedlichen Städten leben.

Stelmanis: Stimmt, das ist schwierig. Bei uns ist es schon so, denn ich bin nach Montreal gezogen und die anderen leben noch in Toronto. Aber bei unserer seltsamen Arbeitsweise fällt das nicht so sehr ins Gewicht. Wenn ich etwas komponiere, muss das ohnehin voll und ganz von mir ausgehen. In dieser Hinsicht ist es sogar gut, dass ich jetzt ein bisschen isoliert bin. Wenn ich in Montreal bin, mache ich eigentlich nichts anderes als komponieren.

Wenn ich mich nicht täusche, hattest du bei Olympia, eurem aktuellen Album, aber noch betont, dass es im Vergleich zu eurem Debüt viel mehr eine Platte der gesamten Band sei.

Stelmanis: Richtig. Ich habe die Songs geschrieben bis zu einem Punkt, an dem ich keine Ideen mehr hatte. Dann habe ich sie den anderen in der Band präsentiert und sie haben in gewisser Weise die Lücken gefüllt. Ich wollte sie bewusst in diesen Prozess einbeziehen. Aber ich glaube nicht, dass ich das noch einmal so machen werde. Natürlich werden die anderen beteiligt sein, wenn es ans Beats-Basteln und die Produktion geht. Aber abgesehen davon sehe ich das Komponieren nun als meine Angelegenheit.

Gibt es denn, außer der neuen EP Habitat, schon fertiges Material?

Stelmanis: Wir arbeiten schon an einem dritten Album und haben schätzungsweise die Hälfte geschafft. Es wird sicher irgendwann im nächsten Jahr erscheinen. Ich habe diesmal viel auf Tour geschrieben, was ich bisher nie probiert hatte.

Kann es vielleicht auch an deiner Ausbildung im klassischen Gesang liegen, dass du so gerne alleine arbeitest? Da ist man ja auch komplett auf sich gestellt: Es gibt nur dich und deine Stimme, die kann alles gewinnen oder alles verlieren, und all die Verantwortung liegt bei dir allein.

Stelmanis: So habe ich das noch nie betrachtet. Aber meine klassische Ausbildung umfasste ja noch viel mehr Dinge. Ich habe alleine gesungen, aber auch in einem Chor. Und ich habe Klavier gespielt, was für mich die schwierigste Art des Musizierens war. Da ist man wirklich ganz allein auf sich gestellt, das ist viel beängstigender als Singen.

Aber du spielst doch jeden Abend auf der Bühne Klavier! Wenn du so einen Horror davor hast, müssen wir wohl davon ausgehen, dass es gar nicht angeschlossen und für das Publikum gar nicht zu hören ist?

Stelmanis (lacht): Die Sachen, die ich heutzutage spiele, sind eher einfach. Als ich 19 war, war ich eine viel bessere Pianistin als heute.

Es muss ohnehin schwierig sein, die Lieder von Olympia live zu spielen. Du hast immer wieder betont, wie viel Wert ihr bei dieser Platte auf Details gelegt habt – und diesen Sound genau so auf der Bühne zu reproduzieren, erst recht bei einem Festival, ist wahrscheinlich kaum möglich.

Stelmanis: Stimmt. Wenn ich Olympia kategorisieren müsste, würde ich sagen, dass es ein klassisches Studioalbum ist. Wir haben einen ganzen Monat im Studio verbracht und rumprobiert. Wir haben viel mehr auf spezifische Sounds und die Produktion geachtet als auf den grundsätzlichen Vibe. Deshalb funktionieren einige dieser Lieder auf der Bühne einfach nicht, und deshalb spielen wir nur ungefähr die Hälfte davon auch live.

Wirst du dann beim nächsten Album mehr auf Live-Tauglichkeit achten, also beim Komponieren und Aufnehmen schon die Bühnen-Situation im Hinterkopf haben?

Stelmanis: Auf jeden Fall habe ich ein paar wichtige Erkenntnisse beim Auflegen gewonnen. Ich bin in letzter Zeit viel als DJ unterwegs und das hat mich stark beeinflusst. Bei Dance Music ist der Raum zwischen einzelnen Klängen viel wichtiger als die Klänge selbst. Das zu erkennen, hat mir wirklich weitergeholfen, wenn es ums Schreiben neuer Songs geht.

Ich würde gerne noch mehr über die Einflüsse des neuen Albums herausfinden, aber zuerst noch über Einflüsse sprechen, die man Austra bisher so unterstellt hat. Euer Sound wurde mit Leuten wie Giorgio Moroder, Kate Bush, Depeche Mode oder gar Evanescence verglichen. Einige dieser Parallelen erscheinen mir ziemlich abwegig. Was war in deinen Augen der schrägste Vergleich?

Stelmanis: Die Sache mit Evanescence war reichlich seltsam, das hat mich echt gestört. Ich will gar nichts gegen Evanescence sagen, aber sie haben einfach nichts mit unserem Sound zu tun. Wahrscheinlich ist es so, dass man als Frau im Musikgeschäft immer mit anderen Künstlerinnen verglichen wird.

Stimmt – es gibt Heerscharen von Sängerinnen, die angeblich „wie Kate Bush klingen“.

Stelmanis: Genau das meine ich. Sobald man mit Beats arbeitet und eine besondere Stimme hat, wird man automatisch mit Kate Bush oder Björk verglichen.

An deiner Stelle hätte ich gerne rausgefunden, wer die Sache mit Evanescence in die Welt gesetzt hat, und dann Kontakt aufgenommen, um herauszufinden: Wie kommt man bloß auf so einen Scheiß?

Stelmanis: Ich kenne sogar die Journalistin, die das im NME geschrieben hat. Als ich das gelesen habe, dachte ich nur: „Was? Das kann nicht sein!“ Aber ich habe sie nicht darauf angesprochen, ich mache mir nicht so viel daraus. Das ist eher witzig.

Gab es auch mal den umgekehrten Fall, dass jemand eine Parallele zu Künstlern gezogen hat, die du noch gar nicht kanntest, die du erst durch diesen Hinweis entdeckt hast und die sich letztlich als schmeichelhafter Vergleich erwiesen haben?

Stelmanis: Bei Kate Bush war das so. Ich kannte sie gar nicht, aber Leute haben andauernd behauptet, die hätte uns beeinflusst. Also habe ich mich ein bisschen mit ihr beschäftigt und festgestellt: „Wow, das ist ziemlich cool.“

Wer oder was wird denn ein wichtiger Einfluss für das dritte Austra-Album?

Stelmanis: Der wichtigste Einfluss wird Techno und Dance Music. Das ist einfach die aufregendste Musik, die ich derzeit kenne. Es kommt vor, dass ich irgendwelchen Techno aus Berlin höre und mich nur wundern kann: Wie zur Hölle kriegen die diese Geräusche hin? Das ist das Inspirierendste, was ich mir vorstellen kann.

Wenn du im Tourbus schreibst, muss es aber ziemlich schwierig sein, so eine Technoclub-Atmosphäre zu erzeugen, die Euphorie auf der Tanzfläche um 5 Uhr morgens.

Stelmanis: Das ist gar nicht so schwierig, wie du denkst (lacht). Außerdem erlebe ich Dance Music kaum als Euphorie auf der Tanzfläche, Clubbing ist nicht so mein Ding. Ich erlebe Dance Music eher zu Hause und bin dort oft genauso umgehauen von der Erkenntnis: Wow, das ist ein wirklich kranker Beat.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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