Interview mit Band Of Skulls

Band Of Skulls Russell Marsden, Emma Richardson Matt Hayward
„Unsere Band ist eine Mannschaftsleistung“, sagen Band Of Skulls. Foto: Andy Cotterill

Band Of Skulls scheinen die perfekte Band für das Pure & Crafted Festival in Berlin zu sein. Russell Marsden, Emma Richardson und Matt Hayward bieten kraftvollen, gerne bluesgetränkten Rock, tragen schon einmal Lederklamotten und sehen aus, als seien sie auch dem Whiskey nicht abgeneigt. Im Interview gestehen sie allerdings: Keiner von ihnen hat einen Motorradführerschein. Außerdem sprechen wir, kurz vor ihrem Konzert auf der Main Stage, über die Schwierigkeit von Albumtiteln, die Vorzüge des Busfahrens und die Frage, was passieren muss, damit man plötzlich ein Lied von Elton John göttlich findet.

Wie ihr bestimmt schon bemerkt habt, sind Motorräder eine ganz wichtige Sache beim Pure & Crafted Festival. Deshalb die erste Frage: Was ist euer liebstes Verkehrsmittel?

Russell Marsden: Ich glaube, wir sind ganz allgemein gerne unterwegs. Ich mag Flugzeuge und Busse. Wenn ich mich für eins davon entscheiden müsste, würde ich wahrscheinlich den Bus bevorzugen. Man kriegt da keinen Jetlag, trotzdem kommt man recht schnell von einer Stadt in die nächste. Man baut eine Beziehung zu diesem Fahrzeug auf, der Bus wird dein Zuhause. Und was mir am besten gefällt: Du wachst einfach morgens auf und bist woanders.

Matt Hayward: Ich mag Züge.

Emma Richardson: Ich auch.

Kann jemand von euch Motorradfahren?

Russell: Ich habe das als Teenager mal gemacht. Ein Freund von mir in Southampton hat sich alte Maschinen besorgt und sie zu Hot Rods umgebaut, komplett ohne irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen. Wir sind die Dinger dann immer rund um sein Grundstück gefahren, ohne Führerschein. Das war ziemlich spaßig. Ich hoffe, meine Mum erfährt jetzt nicht davon.

Wenn ihr ein Band-internes Motorradrennen austragen würdet, wer hätte da die besten Chancen?

Russell: Matt könnte gewinnen, weil er sehr gut darin ist, neue Techniken zu erlernen. Emma wäre die tollkühne Fahrerin, die nicht einmal weiß, wo überhaupt die Bremse ist. Zwischen den beiden wäre es also wohl ziemlich knapp. Aber ich würde wahrscheinlich verlieren.

Das Konzept des Pure & Crafted-Festivals – Musik alleine scheint nicht auszureichen, um Leute anzulocken, sondern muss mit Motorrädern und Lifestyle-Büdchen angereichert werden – erinnert mich an die Situation vieler Bands: Einfach nur Konzerte zu spielen und Platten zu machen, reicht nicht aus, um ein großes Publikum zu erreichen. Ihr selbst nutzt ja auch regelmäßig Kanäle wie Computerspiele, Fernsehwerbung oder Filmsoundtracks für die Verbreitung eurer Musik. Ist es nicht schade, dass man darauf angewiesen ist?

Matt: Das sehe ich nicht so. Vor 10, 15 Jahren gab es auf Festivals eigentlich immer nur ein Genre. Es war entweder ein Rock-Festival oder ein Dance-Festival. Das hat sich verändert. Heute werden ganz viele verschiedene Stile geboten, natürlich auch, um ein größeres Publikum anzulocken. Aber diese Vermischung verschiedener Genre ist eine gute Sache. Und Festivals wie Pure & Crafted sind klasse – du bekommst tolle Musik und auch noch etwas Spektakuläres anzuschauen. Die Musikindustrie – egal ob Festivalveranstalter, Bands oder Plattenfirmen – braucht solche Innovationen, wenn sie die Leute weiterhin begeistern will.

Russell: Wir haben in England so ein ähnliches Festival, da wird versucht, ein Musikfestival mit Promiköchen und gesunder Ernährung zu kombinieren. Da sind mir Motorräder deutlich lieber – die sind viel cooler.

Was hört ihr gerne für Musik, wenn ihr selbst fahrt?

Russell: Normalerweise mache ich einfach das Radio an. Vor allem in Amerika ist das meistens eine gute Idee. Es gibt da wirklich eine umwerfende Radiolandschaft. Die Auswahl ist riesig und die Sender sind viel weniger auf ein bestimmtes Format festgelegt als in England. Im Autoradio können sogar Lieder toll klingen, die du vorher eigentlich immer kitschig fandest. Du fährst durch eine andere Landschaft, während so ein Lied läuft, und auf einmal klingt es fantastisch, als könnte es dein Leben verändern. Du hast ein Erweckungserlebnis, zu Elton John! (lacht)

Emma: Ich mag es, dass man im Auto der Musik wirklich konzentriert zuhört. Wenn mir eine lange Autofahrt bevorsteht, greife ich immer eine Platte ganz zufällig aus meiner Sammlung heraus und dann höre ich sie die ganze Fahrt lang, immer und immer wieder. Auf diese Weise lernt man ein Album wirklich gut kennen. Und es gibt nicht viele andere Situationen im Alltag, in denen man so gezielt auf die Musik achten und sie intensiv genießen kann.

Fällt euch ein Künstler ein, dessen Musik im Auto viel besser klingt als anderswo?

Emma: Wenn es eine interessante Landschaft ist, dann passt Scott Walker ziemlich gut, vor allem, wenn man schnell fährt.

Matt: Queens Of The Stone Age. Die sind ja auch in ihren Videos permanent am Autofahren. (lacht)

Dann lasst uns ein bisschen über das neue Album reden. Im Pressetext dazu heißt es, ihr seid diesmal viel fokussierter. Das finde ich ziemlich verwunderlich. Normalerweise neigen Bands bei ihrem vierten Album ja dazu, von ihrem ursprünglichen Sound abzuschweifen und ganz viele Dinge auszuprobieren.

Russell: Wir haben ganz viele Dinge ausprobiert, um ehrlich zu sein. Aber inmitten all dieser Experimente sind die Songs trotzdem noch sehr prägnant. Es gibt viele neue Ideen auf der Platte, weil wir auch viel unterschiedliche Einflüsse haben. Wenn man sein erstes Album macht, greift man oft nur eine dieser verschiedenen Facetten heraus und zeigt sich so der Welt. Dann versucht man, sich weiterzuentwickeln, ohne die Leute zu verprellen, die man schon begeistert hat. Wir waren überglücklich, dass wir überhaupt ein Album machen konnten, beim zweiten Album wirkte dann alles etwas verworren, das ist für viele Bands eine sehr schwierige Etappe. Das dritte Album hat dann alles vereint, was wir bis dahin geleistet hatten. Aber wenn man das einmal geschafft hat, liegt wenig Reiz darin, es noch einmal zu machen. Vielleicht sind wir der Musik aus dieser Phase ein bisschen überdrüssig geworden. Gerade deshalb war es uns so wichtig, jetzt anders zu klingen als auf den ersten drei Alben. Wir wollten unsere Grenzen erweitern, wir wollten alles auf einmal zeigen, was uns ausmacht. Künftig könnten wir dann vielleicht einzelne Platten machen, die einzelne Aspekte unseres Sounds betonen. Ich fände es schön, wenn wir mehr Musik in kürzerer Zeit veröffentlichen könnten.

Wäre das dann auch noch im Album-Format?

Russell: Nicht unbedingt, wir sind da ziemlich offen. Wer weiß schon, in welcher Form die Leute in ein paar Jahren gern ihre Musik hören wollen?

Wenn es euch darum ging, euren Sound zu erweitern, ist der Albumtitel offensichtlich ironisch gemeint. By Default, also im Standardmodus, zu arbeiten, war ja demnach genau das, was ihr nicht wolltet.

Russell: Das stimmt, der Titel ist ein bisschen als Witz gemeint. Es ist immer ein bisschen schwierig, einen passenden Titel für etwas zu finden, das schon hinter einem liegt. Man hat sich zwei Jahre lang sehr intensiv mit dieser Musik beschäftigt, und dann soll man eine einzelne Formulierung oder ein einzelnes Wort festlegen, das all dies zum Ausdruck bringt. Das ist nicht ganz einfach.

Wie werdet ihr euch eigentlich einig über solche Fragen, über Albumtitel, neue Richtungen oder Texte? Ihr schreibt ja alle an den Songs mit, da stelle ich mir diese Debatten ziemlich schwierig vor.

Matt: Niemand ist bei uns auf ein Instrument festgelegt und niemand nimmt seine eigene Rolle zu wichtig. Alle sind gleichberechtigt, das ist ganz entscheidend. Dann nehmen wir alle Ideen, schmeißen sie in einen Topf und verschmelzen sie.

Emma: Letztlich muss alles im Dienste des Songs stehen. Wir alle merken, wenn etwas richtig gut ist oder weniger gut. Wenn man sich so lange kennt wie wir, entwickelt man da einen ziemlich zuverlässigen Instinkt.

Russell: Auch die spontane Inspiration ist wichtig. Du kannst nicht sagen: Okay, heute werde ich den Text für diesen oder jenen Song schreiben. Du brauchst erst einmal eine Eingebung, und wenn die da ist und sie allen gefällt – dann hat man’s.

Was würdet ihr sagen: Ist es wichtiger, dass ihr euch einig seid, was gut klingt? Oder ist es wichtiger, sich einig zu sein, was nicht funktioniert?

Russell: Wahrscheinlich ist es wichtiger, sich über die schwächeren Momente einig zu sein. Natürlich wissen wir es immer zu schätzen, wenn jemand eine gute Idee hat. Aber hilfreicher ist es wahrscheinlich, dass wir uns einig, wenn eine Idee nicht so prall ist. Weil unsere Band eine Mannschaftsleistung ist. Wenn du einen Song live spielst, dann willst du stolz darauf sein und wirklich dahinter stehen. Für jeden von uns ist das wirklich elementar. Wir streben danach, dass sich jeder in der Band in gleicher Weise mit den Liedern identifizieren kann.

Wie versucht ihr, die anderen beiden Bandmitglieder zu überzeugen, wenn ihr eine Idee für einen Song habt?

Matt: Da gibt es verschiedene Taktiken, die wir erprobt haben. (lacht) Eine Methode ist es, die anderen beiden abzufüllen und sie dann von deiner Idee zu begeistern. Eine andere beliebte Variante ist es, deine Idee ständig irgendwo reinzuschmuggeln. Du spielst sie einfach die ganze Zeit, wenn wir proben oder beim Soundcheck, ganz leise im Hintergrund. Dann stellst du sie offiziell vor und die anderen beiden denken dann vielleicht: Wow, das ist ja genial, geht sofort ins Ohr! Was man auf keinen Fall machen sollte, ist hereinzuplatzen mit der Ankündigung: „Ich habe gerade den geilsten Scheiß geschrieben, den ihr jemals gehört habt!“ Dann hat man schon verloren. Aber, um ehrlich zu sein: Ganz oft sind wir uns wirklich schnell einig, was eine gute Idee ist und was eine blöde Idee ist.

Russell: Das stimmt. Wir sind selbst unsere härtesten Kritiker. Wenn ich die anderen beiden in der Band von einem Einfall überzeuge, kann ich ziemlich sicher sein, dass es wirklich eine gute Idee ist, die auch bei unseren Fans gut ankommen wird.

Zum Schluss würde ich gerne eure Meinung zum Breit erfahren. Was denkt ihr, wie diese Entscheidung euch als Band beeinflussen wird?

Russell: Nun, es beeinflusst uns jetzt schon, und zwar als Menschen. Wenn du plötzlich merkst, dass die Zukunft ganz anders aussehen wird als du es dir immer vorgestellt hast, dann fühlst du dich ziemlich frustriert und ohnmächtig. Vielen jungen Leuten in England geht es gerade so. Das ist wirklich erschütternd, erst recht, wenn man sich klar macht, dass da einfach bloß ein politischer Trick schief gelaufen ist. Die Abstimmung war ein einziger Fehler, es gab überhaupt keinen Grund dafür, außer politische Grabenkämpfe. Für uns wird sich der Brexit wahrscheinlich so bemerkbar machen, dass die ganze finanzielle Seite etwas komplizierter wird. Die größte Auswirkung wird der Brexit aber meiner Meinung nach auf junge Bands in England haben: Für sie dürfte es viel schwieriger werden, mit ihrem Album in Europa auf Tour zu gehen. Umgekehrt, für Bands vom Festland, die in England auftreten wollen, vielleicht genauso. Wir werden eine Menge spannende Underground-Künstler verpassen, auf beiden Seiten. Ich hoffe inständig, dass wir diese Entscheidung eines Tages rückgängig machen können. Wir fühlen uns noch immer als Europäer, und so werden wir uns auch weiter verhalten.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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