Er hat mit Kylie Minogue gearbeitet und war mit Rihanna auf Tour: Calvin Harris ist als Pop-Tausendsassa bei den Stars gefragt. Beim Melt-Festival habe ich ihn kurz vor seinem DJ-Set zum Interview getroffen. Er hat nicht seine Markenzeichen-Sonnenbrille auf (kein Wunder: Es regnet in Strömen). Stattdessen genießt Calvin Harris einen Drink in seiner Garderobe und spricht über seine Angst vor der Bühne, das Warten auf sein drittes Album und die Frage, ob man bloß einen Laptop braucht, um ein Popstar zu sein.
Schaut man in die Charts, auf MTV oder auf die Festival-Bühnen dieses Sommers, kann man überall beobachten: Die Grenzen zwischen Elektro, Pop und Indie verschwinden. Man könnte behaupten, Calvin Harris sei die Verkörperung dieses Trends. Würdest Du das als Kompliment auffassen?
Calvin Harris: Ich mag Elektro, ich mag Pop und ich mag Indie. Es freut mich also, wenn ich als die Verschmelzung von all diesen Stilen wahrgenommen werde. Aber anders könnte ich auch gar nicht arbeiten. Einfach immer bloß Dance-Music zu machen, das würde ich nicht aushalten. Und Elektro, je nachdem, was man darunter versteht, ist für mich ein totes Genre.
Hast Du ein Problem damit, wenn man Deine Musik einfach als Pop bezeichnet?
Harris: Nein. So haben die Leute meine Musik schon immer betrachtet. Meine erste Platte kam gleich in die Charts – natürlich wurde ich dann als Popkünstler betrachtet.
Und wie siehst Du Dich selbst?
Harris: Solange ich Hits mache, mache ich auch Pop. Das ist einfach die Definition von Pop. Aber mir ist wichtig, dass ich nicht bloß Futter für die Charts liefere. Pop kann man ja auch als einen sehr oberflächlichen Begriff verstehen. Und da meine ich, dass meine Musik schon etwas mehr zu bieten hat.
Vielleicht hat die Oberflächlichkeit auch einen technischen Hintergrund: Man kann heute Hits produzieren, ohne ein Virtuose sein zu müssen, sogar ohne ein Instrument zu spielen – solange man die Studio-Software beherrscht.
Harris: Das stimmt, das ist schon seit einer Weile so. Trotzdem gibt es auch noch den umgekehrten Fall. Ab und zu ragt jemand aus der Masse heraus, einfach weil er fantastisches Können hat. Bei Adele war das so. Sie kam an und hat mit ihrer Stimme einfach alle von den Socken gehauen. Aber so ein Talent ist selten, und es ist auch nicht unbedingt nötig. Ich bin eher ein Allrounder, ein Hans Dampf in allen Gassen. Es gibt kein Instrument, das ich außergewöhnlich gut beherrsche. Aber ein paar Dinge kann ich ganz ordentlich, und mein Talent ist es, daraus ein fertiges Produkt zu machen. Ich kann mich einfach allein in ein Zimmer setzen, und am Ende kommt eine Platte dabei raus. Für mich ist das ein riesiger Vorteil. Ich brauche keine schicken Klamotten und keine tolle Stimme für das, was ich tue. Eigentlich brauche ich nicht einmal eine Plattenfirma.
Jeder kann einen Hit machen, solange er ein Notebook hat – verlieren Popstars damit nicht ihren Zauber?
Harris: Ich glaube nicht. Man braucht nach wie vor das Können, man muss die Technik beherrschen und die Instrumente bedienen können. Und man braucht vor allem die Ideen. Ich liebe Musik, seit ich denken kann. Wenn man besessen genug ist von Musik, dann kann einem die Technik natürlich helfen, diese Begeisterung in eine Form zu gießen. Das heißt aber noch lange nicht, dass jeder einen Hit produzieren kann.
Du hast Hits für viele Popstars geliefert, vor allem für weibliche. Was Kylie Minogue oder Katy Perry von Dir wollen, ist klar: den Calvin-Harris-Sound. Aber was ziehst Du für Dich aus so einer Zusammenarbeit?
Harris: Ehrlich gesagt: Ich habe keine Ahnung, was ich mir davon erwarte. Am Anfang war ich einfach neugierig, wie es wohl sein würde, mit so berühmten Leuten zusammenzuarbeiten. Und heutzutage suche ich mir die Leute für meine eigenen Platten aus, die ich gerne haben möchte. Dann weiß ich genau, was ich mir von dieser Zusammenarbeit verspreche – und es ist mir egal, was die sich von mir erhoffen (lacht).
Hast Du bei diesen Kooperationen irgendetwas für Deine Arbeit oder sogar für Dein Leben gelernt?
Harris: Ja. Ich kann jetzt im Studio viel besser mit Leuten umgehen. Ich weiß, wie ich sie motivieren und das Beste aus ihnen herausholen kann. Davon hatte ich früher keine Ahnung. Und was Song-Strukturen angeht, habe ich mit Sicherheit auch Einiges mitgenommen. Früher hatte ich meistens einfach einen Loop, der mir gefallen hat, und daraus habe ich dann irgendwie ein Lied gemacht. Vor allem bei den Sessions mit Kylie konnte ich mir da von anderen Produzenten wie Biff Stannard eine Menge abschauen.
Gibt es noch jemanden, bei dem Du richtig Bammel vor einer Zusammenarbeit hättest?
Harris: Bestimmt. Man weiß das ja nie so genau, bevor man die Leute dann wirklich trifft. Egal, wie groß der Name ist – ob man dann wirklich eingeschüchtert ist, merkt man erst bei der ersten Begegnung.
Wer hat Dich denn bisher am meisten nervös gemacht?
Harris: Wahrscheinlich Chad Hugo. Ich verehre ihn so sehr! Ich habe jahrelang wie besessen seine Musik gehört, am liebsten mit Kopfhörern, um richtig tief darin eintauchen zu können. Es gibt nicht viele Leute, deren Musik mir so viel bedeutet. Wenn man so jemanden dann trifft, ist das schon etwas Besonderes.
Wie geht es mit Deiner eigenen Musik weiter? Die Fans warten schon eine ganze Weile auf das dritte Album. Wann ist es fertig?
Harris: Vielleicht nächstes Jahr, im Frühjahr. Ich würde sagen: Momentan ist das Album zur Hälfte fertig.
Aber das letzte Album Ready For The Weekend ist schon zwei Jahre alt. Mit Feel So Close erscheint in dieser Woche die zweite Vorab-Single für die neue CD. Warum dauert es denn dann noch so lange?
Harris: Wahrscheinlich wird es sogar noch eine dritte und vierte Vorab-Single geben, bevor das Album fertig ist.
Macht das denn Sinn? Wenn man das im März erschienene Awooga noch zu den vier Singles dazu rechnet, kennen die Fans ja dann schon das halbe Album, wenn es rauskommt.
Harris: Es wird dann eben eine Greatest-Hits-Platte (lacht). Ich habe damit kein Problem. Ich mache gerne Singles, dann kommt das Album raus, aus dem man vielleicht noch eine zusätzliche Single auskoppelt, und dann geht es wieder von vorne los.
Wäre es für Dich auch eine Option, nur noch Singles zu veröffentlichen und ganz auf Alben zu verzichten?
Harris: Nein, Alben sind wichtig. Meiner Ansicht nach müssen sie zwar kein Gesamtkunstwerk mehr sein oder einen tollen Spannungsbogen haben. Das hat sich erledigt, spätestens seit iTunes. Die Leute hören Alben heute wie eine Compilation, vor allem bei Dance-Music. Aber Alben geben dem Werk eines Künstlers ein bisschen mehr Bedeutung und Tiefgang als eine Single. Und ein Album ist immer eine gute Möglichkeit, ein bestimmtes Kapitel in der Karriere zusammenzufassen.
Was konkret fehlt denn noch für das dritte Album? Arbeitest Du gerade am Gesang, an den Beats, am Mix?
Harris: Es fehlen mehr Songs. Ich habe einfach noch nicht genug beisammen. Und ich versuche noch, für einige der Stücke die passenden Sänger zu finden.
Hast Du schon bestimmte Leute im Kopf?
Harris: Ja, aber da bleiben sie auch! Ich werde keine Namen nennen, bevor die Leute nicht bei mir im Studio waren und wirklich gesungen haben. Wenn ich Sänger anfrage und vorab zu viel darüber verrate oder Gerüchte streue, dann macht es die Sache nicht gerade einfacher. Vor allem bei ganz großen Namen.
Wie wichtig ist es bei Deiner Musik, genau die richtige Stimme dafür zu finden? Denkst Du das beim Komponieren schon mit?
Harris: Auf jeden Fall. Man hat immer die ideale Stimme für einen bestimmten Song im Kopf. Aber wenn diese ideale Stimme eben Bono oder Madonna ist, dann wird es natürlich manchmal schwierig, das auch umzusetzen.
Falls es vom Original eine Absage gibt: Wer wäre denn der zweitbeste Bono der Welt?
Harris: Das kann ich jetzt nicht beantworten. Das wäre gemein. (Überlegt eine Weile) Wahrscheinlich wäre ich ein guter Bono-Ersatz.
Wärst Du denn ein guter Frontmann? Viele Künstler, die eher Produzent als Interpret sind, haben ja Probleme, wenn sie plötzlich eine Bühne ausfüllen müssen.
Harris: Das stimmt. Mir geht es auch so. Ich lege lieber als DJ vor 15.000 Menschen auf als dass ich live vor 100 Menschen spielen muss. Ich kann das auch nicht richtig erklären. Wahrscheinlich kann man sich als DJ besser hinter seinem Pult verstecken. Man fühlt sich geschützt. Es ist nur der halbe Körper zu sehen, und deshalb ist es nur halb so schwer. Wenn wir live spielen, ist da eine ganze Band hinter mir, das Publikum vor mir, und das Einzige, was mir Halt gibt, ist ein Mikrofonstativ. Das ist nicht viel. Aber ich bin sehr dankbar, dass es zumindest das gibt: Mich würden keine zehn Pferde da raus auf die Bühne kriegen, wenn ich mich nicht wenigstens an diesem Stativ festhalten könnte.
Vorab-Single Nummer 2 von vielleicht 4: Das Video zu Feel So Close:
httpv://www.youtube.com/watch?v=WK87_vzi4Gg
Eine leicht gekürzte Version dieses Interviews gibt es auch bei news.de.
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