Carsten Friedrichs ist so etwas wie Stammgast im Ilses Erika. Als er noch Sänger von Superpunk war, hatte ich ihn hier schon einmal zum Interview getroffen. Nun gastiert er mit seiner nicht mehr ganz so neuen Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen im ehrenwerten Lieblingsclub. Vor der Show in Leipzig spreche ich mit ihm und Bandkollege Gunther Buskies (zugleich Chef von Tapete Records) über die Bedeutung von Erfolg, die schrecklichen Folgen des Rauchverbots und Gründe fürs Aufhören. Und darüber, wie es sich in der Nachbarschaft von Markus Lanz lebt.
Ich würde gerne mit einem Spiel beginnen. Es heißt „Gewöhnlich oder Gentleman?“ und hat vier Runden. Ich nenne einen Namen und ihr dürft entscheiden, in welche der beiden Kategorien die Person passt. Bereit?
Carsten Friedrichs: Sehr gut, kann losgehen.
Dann fangen wir an. Heinz Strunk – gewöhnlich oder Gentleman?
Friedrichs: Gentleman. Ich kenne ihn nicht näher. Aber er ist Literat, immer im Anzug, also Gentleman.
Bruno Labbadia?
Friedrichs: Hmm, gewöhnlich ist ja auch nicht schlecht, oder? (lacht) Er macht einen höflichen Eindruck, hat Manieren. Also würde ich auch sagen: Gentleman.
Friedrichs: Eher gewöhnlich. Der Name ist witzig, als ich den zum ersten Mal gehört habe, musste ich sehr lachen. Aber die Musik sagt mir nicht so viel. Schlager oder Schlagerparodien sind nicht ganz so mein Geschmack. Und sich nach angeschwollenen Geschlechtsteilen zu benennen, ist auch nicht sehr Gentleman-mäßig.
Markus Lanz?
Friedrichs: Sehr gewöhnlich. Dieses Anbiedern, diese dummen Fragen und das blöde Grinsen – das ist eindeutig gewöhnlich.
Gunther Buskies: Markus Lanz ist in Hamburg übrigens unser direkter Nachbar. Seine Fernsehstudios sind genau neben unserem Büro. Aber wir kennen ihn nicht persönlich.
Friedrichs: Der wird uns jetzt Mores lehren, wenn er die shitesite liest!
Damit ist das Spiel geschafft und wir können über eure Musik reden. Vor 20 Jahren wurden Superpunk gegründet, ihr seid also sehr lange dabei. Was ist der größte Unterschied zwischen heute und damals, wenn ihr auf Tour seid?
Friedrichs: Da fallen mir zwei Sachen ein. Auf unserer ersten Superpunk-Tour waren am zweiten Abend null zahlende Gäste. Das war am 3. Januar 1999, in Kassel. So was hatten wir seitdem zum Glück nicht mehr. Die zweite Sache: Das Rauchverbot hat dazu geführt, dass die Läden mittlerweile echt übel riechen. Wenn man reinkommt, ist das irgendwie ein anderer Muff. Früher roch es nach Qualm und Parfüm, jetzt riecht es oft nach Abort. Sonst hat sich nicht viel verändert: Krach, Elektrizität, Warten – das werden wohl noch in hundert Jahren die wichtigen Elemente im Tourleben sein.
Gibt es etwas, das du heute viel besser kannst als damals?
Friedrichs: Ja. Wenn ich sagen würde, ich würde viel besser singen, wäre das gelogen. Aber Texten kann ich jetzt viel besser. Ich halte auch öfter den Rhythmus mit meiner Rhythmusgitarre, da habe ich sehr lange gebraucht, bis das einigermaßen im Lot war.
Ist Erfahrung grundsätzlich hilfreich, um ein besserer Songwriter zu sein?
Friedrichs: Ich glaube schon. Je älter man wird, desto mehr Musik hat man als Musikfan gehört, und dieser Input ist natürlich eine Bereicherung, man entdeckt da ganz andere Sachen. Als ich 18 war, kannte ich vielleicht 100 Bands, jetzt kenne ich 500 – und denen kann man auch mal auf die Finger gucken. Andererseits ist man mit dem Älterwerden vielleicht auch irgendwann leer, es fällt einem nichts mehr ein…
… oder man verliert die Unmittelbarkeit und Energie, die man in jungen Jahren hatte?
Friedrichs: Das spielt bei uns keine so große Rolle, denke ich. Ich bin Popmusikfan und Popmusiker, bei mir drückt sich das eher vermittelt aus. Auf der Bühne bloß rumzubrüllen, das habe ich nie gemacht.
Und beim Schreiben? Feilst du sehr lange an den Texten oder können sie sich auch einfach mal ganz direkt Bahn brechen?
Friedrichs: Früher habe ich meine Songideen immer auf Zettel geschrieben – und die Zettel natürlich verloren. Oder manchmal auch viel später erst wiedergefunden. Seit es diese praktischen Computer gibt, habe ich nichts mehr verloren, und das ist dem Arbeitstempo sehr zuträglich.
Wie viel Material ist noch auf der Festplatte?
Friedrichs: Das sind ja nur Textfragmente. Oft ergibt es sich, wenn mir etwas Neues einfällt und ich da reinschaue, dass es gut mit einer älteren Idee zusammenpasst und zu einem Song wird. Oder Gunther schreibt eine Musik und ich merke: Mensch, das könnte doch zu diesem Text passen, das machen wir jetzt mal zu Ende. Das kann ganz schnell gehen, oder auch ein paar Wochen dauern.
Wie oft entdeckst du alte Ideen und sagst: Mein Gott, was ist das denn für ein Mist, was hat mich da denn geritten?
Friedrichs: Relativ selten. Früher hatte ich mehr Scheiß. Jetzt habe ich wohl ein gutes Gespür entwickelt, so etwas schon vorher auszufiltern. Das kommt dann gar nicht auf den Rechner.
Die nächste Frage hast du schon ein wenig beantwortet, ich würde es trotzdem gerne genau wissen: Stell dir vor, du stehst an einem Kontrollpult mit zwei Knöpfen. Wenn du den einen drückst, weißt du im nächsten Moment alles über Musik, das ganze Wissen des Universums zu diesem Thema ist dann in deinem Kopf. Wenn du den anderen drückst, wird dein gesamtes bisheriges Wissen über Musik gelöscht, du kannst bei Null anfangen. Welchen würdest du drücken?
Friedrichs: Ich bin ein wissbegieriger Mensch, also würde ich wahrscheinlich den Knopf drücken, wo ich alles weiß. Das wäre doch ein Traum! Ich könnte dann jedes Instrument spielen – ich kenne keinen Musiker, der da widerstehen könnte.
Fällt dir jemand ein, der diesem Ideal nahe kommt?
Friedrichs: Gunther Buskies zum Beispiel! Der spielt fast alles.
Buskies: Naja. Aber ich weiß nicht alles, das ist der Unterschied. Ich habe viel mehr Zeit damit verbracht, Musikinstrumente zu erlernen, als Musik von anderen Bands zu hören. Da habe ich einige Lücken. Und ich bin auch kein begnadeter Keyboarder. Aber von Carsten habe ich gelernt, dass Virtuosität gar nicht so wichtig ist. Es geht darum, sich selbst nicht ganz so wichtig zu nehmen, ein gutes Gefühl rüberzubringen und letztlich dem Song und der Band zu dienen. In der Liga der gewöhnlichen Gentlemen spielen einige von uns Instrumente, die sie vorher nicht gespielt haben. Aber das fällt gar nicht ins Gewicht.
Friedrichs: Wenn man eine gute Idee hat und geschmackssicher ist – das ist die halbe Miete. Eigentlich sind es sogar schon 90 Prozent.
Carsten, du hast ja auch einen Job bei Tapete Records. Wie ist das eigentlich, jetzt mit dem eigenen Chef auf Tour zu sein?
Friedrichs (nach sehr langer Pause): Gut. (lacht) Gunther ist ein Gentleman. Und weißt du, was ein Gentleman ist? Einer der Akkordeon spielen kann, aber es nicht spielt. Das hat Tom Waits mal gesagt, glaube ich.
Buskies: Wir haben auf Tour auch eher ein Kollegen-Verhältnis. Wenn überhaupt, dann ist in der Band eher Carsten der Chef. Wenn es darauf ankommt, hat er das letzte Wort. Und das ist auch wichtig. Man braucht jemanden, der stilsicher ist und dabei die Herde zusammentreibt.
Braucht man, um spannende Musik zu machen, den Glauben daran, noch irgendwann das ganz große Publikum erreichen zu können?
Friedrichs: Ich glaube nicht. Ich würde mich gegen den ganz großen Erfolg nicht wehren. Aber man braucht nicht den Glauben daran, um Feuer zu haben. Lou Reed hat bestimmt nicht erwartet, seine Sachen würden durch die Decke gehen, als er die Platten mit Velvet Underground gemacht hat. Aber es war einfach geile Musik. Ich habe immer Musik gehört und gemocht, die keinen großen Erfolg hatte. Das waren oft ganz obskure Sachen, und das war mir scheißegal. Television Personalities fand ich früher ganz toll, die haben vor 150 Leuten gespielt, während zu so einer Scheiße wie Sting 5000 Leute gegangen sind. So geht es mir jetzt auch als Musiker: Ich bin froh, dass ich Platten rausbringen kann und dass ein paar Leute kommen, wenn wir spielen. Über mehr habe ich mir wirklich nie Gedanken gemacht.
Ist da nicht ein Widerspruch? In eurer Musik steckt ja durchaus so etwas wie ein Sendungsbewusstsein, die Botschaft: Leute, dies ist die wahre Musik, der gute Geschmack, das richtige Gefühl! Da müsstet ihr doch auch anstreben, dass möglichst viele Leute das begreifen?
Friedrichs: Stimmt. Wahrscheinlich ist es so, dass ich einfach ein riesiger Popmusikfan bin und das Bedürfnis habe, das weiterzugeben. Da ist sicher auch ein bisschen Angeberei dabei: Man will zeigen, was man alles kennt und entdeckt hat. Aber das soll ja keine Geschmacksdiktatur werden. Es wäre bestimmt nicht sehr spaßig, wenn Krethi und Plethi denselben Geschmack hätten.
Dass ihr den guten Stil und den richtigen Geschmack so hochhaltet, habe ich in einem Text mal als „Notwehr“ bezeichnet. Man ist ja normalerweise umgeben von sehr viel Hässlichkeit. Kann man das so sehen?
Friedrichs: Ja, auf jeden Fall. Man erschafft sich mit Popmusik ja auch ein eigenes Universum, mit eigenen Referenzen und Bezugssystemen. Das Schöne an Popmusik ist ja, dass sie über das Elend hinausweist: Es könnte besser sein – das ist für mich das Wesen von Popmusik. Und nicht dieser Befindlichkeitskram, diese Jack-Wolfskin-Tristesse, die einen so erschlägt.
Wäre es für euch denkbar, dieses Sendungsbewusstsein auch auf Politik zu übertragen und einen explizit politischen Song zu machen? Der Gedanke, die Menschen auf das Schöne und Richtige hinzuweisen, wäre dort ja auch gut aufgehoben, erst recht in Zeiten wie diesen.
Friedrichs: Gute Frage. Ein Stück wie Die Gentlemen-Spieler ist ja auf seine Art schon politisch. Aber die meisten explizit politischen Songs, die ich kenne, sind scheiße. Politik ist eben meist sehr komplex, und wenn man das auf vier Zeilen runterbricht, klingt es oft nach einfachen Lösungen – und einfache Lösungen sind meistens reaktionär. Oder man biedert sich mit so etwas an oder erreicht eh nur die Leute, mit denen man schon einer Meinung ist. Deshalb ist das schwierig. Aber ich würde nicht ausschließen, ein richtig politisches Lied zu machen. Wenn ich mal einen richtig guten politischen Song höre, den noch keiner kennt, dann klaue ich die Idee. (lacht)
Wenn ihr eine Platte aussuchen könntet, die ihr euren Kindern ans Herz legt, damit aus ihnen etwas wird: Welche wäre das?
Buskies: Das ist schwer. Ich höre so viele verschiedene Sachen, auch für Tapete Records und das Bureau B, da ist es fast unmöglich, eine auszuwählen.
Friedrichs: Ich habe keine Kinder. Ich glaube auch nicht, dass Musik so viel Macht hat, einen Menschen gut oder schlecht zu machen. Aber wenn ich Kinder hätte, würde ich ihnen die Ramones vorspielen. Das würde denen bestimmt gefallen.
In euren Songs thematisiert ihr immer wieder auch das Älterwerden, wie in Baby, ich bin zu alt…
Friedrichs: … da war ich ja noch jung, als ich das gesungen habe! (lacht)
Meistens geht ihr ja ironisch mit diesem Thema um. Was müsste passieren, damit ihr wirklich in den Ruhestand geht?
Friedrichs: Altwerden ist in der Popmusik die Königsdisziplin. Es ist schwer, das in Würde zu schaffen. Ich weiß nicht, was in drei Jahren sein wird oder ob ich noch Lust darauf habe, wenn ich 50, 60 bin. Es kann passieren, dass ich es irgendwann sein lasse, wer weiß? Als Jugendlicher habe ich mit großer Begeisterung ein paar Jahre lang Fußball gespielt, aber irgendwann hatte ich keine Lust mehr – das hätte ich mir auch nie vorstellen können. Bei der Musik ist das bisher noch nicht passiert. Und mit unserer Musik und in unserer Subkultur ist das Älterwerden vielleicht auch etwas einfacher. Als Metal-Band oder Punk-Band ist es sicher viel schwerer, das nicht albern erscheinen zu lassen. Auch einen 60-jährigen Rapper kann ich mir nicht gut vorstellen.
Buskies: Man sieht das ja auch bei vielen Künstlern unseres Labels. Leute wie Bid von The Monochrome Set, Andreas Dorau, Bernd Begemann – die haben noch unglaublich viel Bock auf neue Songs. Die haben vielleicht auch mal ihre Durchhänger, aber kriegen das insgesamt ganz gut hin.
Friedrichs: Stimmt, und die sind alle älter als wir. Es klingt stumpf, aber es ist so einfach: Solange es Spaß macht, werde ich Musik machen.