Interview mit Grillmaster Flash

Grillmaster Flash Leipzig
Die Kippe ist auch im Interview mit Grillmaster Flash ein wichtiges Utensil. Foto: Fleet Union/Hannes Rademacher

Vielleicht ist das nicht lustig, aber der Mann, in dessen Personalausweis Christian Wesemann als Name steht, hat nichts dagegen: Zum Interview gehen wir zunächst an den Bratwurstgrill. Schließlich hat sich der 35-Jährige als Künstlername „Grillmaster Flash“ ausgesucht, und das kommt tatsächlich von einer Vorliebe fürs Grillen, wie er erzählt. „Mit 15 findet man solche Spitznamen noch lustig, und dann wird man sie nicht mehr los. Und jetzt ist daraus ja irgendwie auch eine Marke geworden“, sagt er. Die Marke dürfte gestärkt werden durch das vor knapp drei Wochen veröffentlichte Album Stadion, das bei Grand Hotel van Cleef erscheint und von Grillmaster Flash gerade mit einer Tour im Vorprogramm von Kettcar und Madsen unter die Leute gebracht wird. Morgen steht das Konzert im Werk 2 in Leipzig an, den Tag davor nutzt der Musiker für Interviews.

Mit der Bratwurst auf dem Weihnachtsmarkt in Halle, wo ich ihn nach einem Interview bei MDR Sputnik empfange, ist er zufrieden („Im Norden bekommt man keine ordentliche Bratwurst, da gibt es irgendwo eine magische Grenze oberhalb von Hessen und Thüringen“, lautet seine Erfahrung), das Beck’s, das wir später in der Bahn auf dem Weg nach Leipzig trinken, kommt zwar aus seiner Heimatstadt Bremen, behagt ihm aber nicht ganz („Ich bin kein Beck’s-Trinker. Haake ist mir lieber, das ist das Bier aus Bremen, das schon immer für den lokalen Markt gebraut wurde“, klärt er auf). Um ihn in Plauderstimmung zu bringen, wäre allerdings ohnehin gar kein Alkohol nötig gewesen. Zwischen ein paar selbst gedrehten Zigaretten erzählt Grillmaster Flash über traumatische Konzerterinnerungen bei den Scorpions, die prägende Kraft der Provinz, die anstehenden Shows mit Madsen und den Wert von Entscheidungsfreiheit. Und vor allem reden wir über Musik, Musik, Musik.

Ich würde zu Beginn gerne deinen Künstlernamen in drei Fragen zerlegen, in umgekehrter Reihenfolge. Okay?

Grillmaster Flash: Können wir gerne machen.

Was hat dich zuletzt richtig geflasht?

Was mich auf jeden Fall doll geflasht hat, war ein Springsteen-Konzert in Berlin. Ich habe ihn da zum ersten Mal gesehen, bei der River-Tour im Olympiastadion. Das war wirklich cool. Ich hatte vorher schon viele gute Konzerte gesehen, aber das war noch einmal sehr besonders.

Wer ist dein Master? Also jemand, der ein großes Vorbild für dich ist?

Da gibt es viele. Bruce Springsteen ist vielleicht einer davon. Was ich in jedem Fall schätze, ist Ausdauer, also Leute, die schon richtig lange dabei sind und auch ein paar Tiefs erlebt haben. Das braucht man im Musikgeschäft. Ich finde Bands immer geil, die eine Haltung haben, denen es auch egal ist, wenn es gerade mal nicht läuft. Wie bei den Donots in den Nullerjahren, da waren sie eine Weile weg vom Fenster, und dann kam mit der deutschen Platte wieder die Aufmerksamkeit. Da waren sie raus aus dem Tief, in das sie gekommen waren, obwohl sie ja zwischendurch nicht schlechter waren. Davor habe ich viel Respekt, wenn Leute diesen Ehrgeiz haben und auch bei Rückschlägen nicht aufstecken.

Das klingt ja auch bei Jonny gibt nicht auf an, einem Song auf deinem neuen Album über einen Protagonisten, der ewig auf den großen Durchbruch als Rockstar hofft, auch wenn er es bisher bloß zu Auftritten im Freizeitheim gebracht hat.

Stimmt. Johnny hat zwar keinen Erfolg, jedenfalls keinen messbaren, aber er gibt die Hoffnung nicht auf. So etwas braucht man als Musiker: eine Grundüberzeugung. Sonst funktioniert es nicht. Das ist ja bei Schriftstellern und Künstlern allgemein der Normalfall, dass man gar nicht wahrgenommen wird von der breiten Öffentlichkeit. Es gibt ja ganz viele Leute, die richtig gut sind, aber kaum ein Publikum finden. Wobei das durch Social Media ein bisschen besser wird: Die Chance, überhaupt gehört zu werden, steigt. Gleichzeitig ist alles viel mehr fragmentiert und die Chance, richtig groß zu werden, ist für Bands sicherlich geringer geworden.

Kommen wir nach dem Flash und dem Master zum Grill. Vielleicht kennst du das Konzept eines Comedy Roast: Da liegt man im übertragenen Sinne auf dem Grill und ist umgeben von Leuten, die einen verbal runtermachen, vor Publikum. Natürlich funktioniert das am besten, wenn Leute dich richtig gut kennen und wissen, wo du angreifbar bist. Wer wäre denn so eine Person, die dich richtig gut grillen könnte?

Da fällt mir mein Kumpel Matthias ein, mit dem ich auch viele der Songs für die erste Platte geschrieben habe. Er ist einer meiner besten Freunde, aber gleichzeitig auch jemand, mit dem ich es nicht allzu lange aushalte. Weil er jemand ist, der Grenzpunkte sucht. Ich bin meistens nicht schlagfertig genug, um cool damit umzugehen und suche dann lieber für eine Weile ein bisschen Distanz.

Du bist zwar ein Solokünstler, aber auch oft mit Band unterwegs, live und im Studio. Wie wichtig ist dir dieses Bandgefühl?

Ich habe wirklich schon viele Tourneen alleine gemacht, weil man da eben flexibler ist und nicht so einen großen logistischen Aufwand hat. Aber ich wöllte nie ganz alleine eine Platte aufnehmen, so Liedermacher-mäßig. Eine große Band-Produktion macht mehr Spaß, und man kann da natürlich auch musikalisch komplexere Sachen machen. Auf Tour ist es auch schöner, wenn man seine Leute um sich hat, vertraute Gesichter und Weggefährten. Ich könnte mir deshalb auch keine beliebigen Musiker mieten als Begleitband. Ich will da schon Leute haben, die ich auch kenne, und die auch kreative Sachen mitentscheiden können. Dann können sich alle natürlich auch besser mit dem Ergebnis identifizieren und haben im besten Fall das Gefühl: Das haben wir zusammen gemacht.

Das neue Album heißt Stadion. So nah wie jetzt als Support auf Tour mit Kettcar und Madsen wirst du vielleicht nie mehr an ein Stadionkonzert rankommen, oder?

Wir spielen vor 2000-4000 Leuten, das ist natürlich ein Traum. Aber da darf man sich nicht dran gewöhnen. Unsere eigene Tour beginnt im Januar, da werden es dann wieder 50 bis 100 Leute sein. Für uns ist das ein Glücksfall, und ich habe zum Glück auch keine Angst vor so großen Hallen. Ich habe genug Erfahrung auf der Bühne, um zu wissen, dass ich da nicht mehr verkacken kann. Wir müssen sehen, wie viele von den Fans, die uns jetzt als Support erleben, wir für uns gewinnen können. Meine Haltung ist: Wir können da nichts verlieren.

Wie kam die Support-Tour zustande?

Unser Label-Chef von Grand Hotel van Cleef hat bei Madsen angefragt. Die haben sich das angeschaut und fanden unser Package gut. Das ist für uns natürlich ideal, weil wir wissen: Die Band hat Bock auf uns, die haben sich uns ausgesucht. Das ist dann viel lockerer und nicht so Business-mäßig. Es läuft auch wirklich super, so wie vorher mit Kettcar auch.

Morgen steht die Show in Leipzig an. Merkst du bei Auftritten in Ostdeutschland, dass du hier in AfD-Hochburgen bist?

Nein. Ich glaube auch, dass die eigentlichen Hochburgen da eher im Umland sind, nicht in den Städten, wo ich jetzt spiele.

Im neuen Lied Pommes thematisierst du ja ein Aufeinandertreffen mit einem besorgten Bürger. Könntest du dir vorstellen, ein direkt politisches Lied zu machen. Agitation im Sinne von: Geht wählen, und zwar am besten Partei X oder Kandidat Y?

Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Grundsätzlich finde ich schon, dass Musik ein gutes Medium für politische Botschaften ist. Es gibt viele Bands, die zwar nicht explizit über Politik singen, bei denen man aber trotzdem eine bestimmte Haltung merkt. Ich habe eigentlich kein bestimmtes Ziel, wenn ich ein Lied schreibe. Solche Aufrufe würde ich wahrscheinlich eher in die Ansagen zwischen den Liedern packen. Pommes war da eine Ausnahme und beruht übrigens auf einer wahren Begebenheit. Ich habe diesen besorgten Bürger im McDonalds im Hamburger Hauptbahnhof getroffen, nachts um 4 Uhr. Erst machte er den Eindruck, er wolle nett schnacken, aber dann driftete er immer weiter in sein rechtes Geschwafel ab. Da hatte ich dann schnell genug davon.

Ist der Aufruf zur Party oder zum Hängen mit den Jungs, wie die neue Single heißt, in diesem Sinne auch eine politische Botschaft?

Vielleicht. Ein wichtiges Thema für mich ist auf jeden Fall: Autonomie, Entscheidungsfreiheit, Individualität. Das finde ich wichtig, und ich finde auch wichtig, dass Popmusik für solche Werte eintritt. Ein Song ist ein tolles Format, um den Leuten zu verklickern: Es gibt keinen Zwang, in die Leistungsgesellschaft einzutreten. Natürlich muss jeder seine Miete zahlen, aber man sollte doch die Möglichkeit haben, sich einen eigenen Weg auszusuchen und das zu machen, was man möchte. Man ist gar nicht so sehr gefangen, wie man vielleicht denkt. Bei mir war das genauso: Ich habe mein Studium über den Haufen geworfen, weil ich gemerkt habe, dass ich das eigentlich gar nicht will. Sondern etwas ganz anderes. Auch darin steckt wieder diese Idee vom Durchhalten: Wenn man etwas gut kann und das gut funktioniert, dann soll man es machen, ohne Hintertür. Einen Plan B habe ich gerade nicht. In der Situation, in der ich gerade bin, muss man das schon zwei, drei Jahre durchziehen.

Was sind da die nächsten Schritte?

Im Januar/Februar startet unsere eigene Tour. Danach können wir vielleicht noch einmal als Support unterwegs sein und dann gehen die Festivals los. Da will ich so viel wie möglich mitnehmen. Der große Vorteil bei Festivals ist ja: Wo ein Festival ist, sind Leute. Wenn du in einem Club spielst, ist nicht klar, ob auch Leute kommen. Und spätestens Ende des Jahres müsste ich dann anfangen, ein neues Album zu schreiben.

Was steht am Beginn eines Songs, wenn du komponierst?

Die Themen sind eigentlich immer sehr ähnlich: Liebesgeschichten, Coming-of-Age, Umbrüche in jeder Art und Weise. So etwas finde ich spannend, auch weil in solchen Situationen eben Probleme entstehen und wir dann kreativ werden müssen, um sie zu lösen. Das muss dann auch gar nicht unbedingt autobiographisch sein. Oft will ich einfach eine Geschichte erzählen.

Was magst du am Konzept „Stadion“? Es gibt ja Leute, die Konzerte dort prinzipiell doof finden: zu unpersönlich, schlechter Sound, viel zu bombastisch.

Ich finde das Prinzip auch nicht per se klasse und kann diese Vorwürfe verstehen. Es muss halt jemand sein, der weiß, wie ein Stadionkonzert geht. Etwa Bruce Springsteen: Da fühlst du, dass er dich anspricht, auch als Teil einer großen Menschenmenge. In letzter Zeit habe ich auch Iron Maiden oft live gesehen. Die spielen für 20.000 Leute, und sind heute vielleicht noch besser als früher. Das ist mega fett. Ich habe sie kürzlich in Italien gesehen, das war der Wahnsinn, total heftig. Vielleicht liegt das auch ein bisschen am Publikum. Dass die Leute alle durchdrehen und zwischendurch einfach Fußballlieder singen vor lauter Euphorie, erlebt man in Deutschland ja sehr selten.

Deutschland ist auch nicht gerade für seine Offenheit gegenüber Humor in der Musik bekannt. Ist das ein Vorwurf, den du – vielleicht auch wegen des Künstlernamens – oft hörst: Ist ja albern!

Ja, auch gerade heute wieder in einer Rezension in der Visions. Aber ich frage mich: Wo ist das Problem, wenn Sachen albern sind? Wenn Bands guten Humor in ihren Texten und in ihrer Musik haben, dann kann ich das wertschätzen. Es gibt natürlich auch Spaß-Bands, die überhaupt nicht lustig sind, das ist manchmal ein schmaler Grat. Aber nehmen wir beispielsweise Die Ärzte: Ich habe gerade wieder ein paar Alben von denen aus den 90ern gehört. Das ist teilweise extrem heftiger Quatsch, was die gemacht haben, aber geil. 17 Songs, nur Kracher. Richtig vielseitig und originell. Das ist eine Band, die sich vor nichts scheut und keine Grenzen anerkennt. Ich vermute: Wenn Die Ärzte heute so eine Platte wie Bestie in Menschengestalt oder Planet Punk machen würden, würde das keiner gut finden. Denn der Umgang mit Humor in Musik hat sich verändert, es gibt viel weniger Freiräume dafür. Die Ärzte sind allerdings immer schlauer gewesen als alle anderen, gleichzeitig haben sie wenig Angriffsfläche geboten, weil sie sich ja selbst immer verarscht haben. Einfach eine coole Band.

Du kommst zwar aus einer Großstadt, aber vieles in deinen Liedern preist die kleine Welt, die unmittelbare Umgebung, wie in der Provinz. Steckt darin nicht auch ein konservatives Element?

Das ist wertfrei. Ich erzähle davon, was ich erlebt habe. Ich sage nicht unbedingt: Das ist geil gewesen, das ist cool.

Aber es wird cool dadurch, dass du einen Song drüber machst.

Es wird aufgewertet, das stimmt. Aber darum geht es mir nicht. Ich will mich selber beschreiben. Ich will erklären, was ich tue. Und das hat einfach etwas damit zu tun, wo ich herkomme. Ich singe darüber, wie Leute vielleicht ganz wenig vorfinden und versuchen, daraus das Maximale zu machen. Das sind natürlich Lebensräume, die ein bisschen klischeehaft sind, aber es gibt da nun einmal Sachen, die überall gelten. Auf dem Dorf sind andere Dinge wichtig als in der Stadt. Schützenfest, die Bushaltestelle, an der kein Bus fährt, das Schrauben am Mofa. Ich finde das als Thema für einen Song interessant. Es ist so, als vergewisserst du dich über deine eigene Person und gleichzeitig eröffnest du wahrscheinlich anderen Leuten eine neue Perspektive.

Das neue Album orientiert sich sehr deutlich am Rocksound der späten 1970er und der 1980er Jahre. Was reizt dich an dieser Ära?

Damals wurde einfach richtig viel geile Musik aufgenommen, gerade im Rock- und Alternative-Bereich. Ich mag diese Klangästhetik, dass die Sachen nicht so breitbeinig, dick und komprimiert klingen. Cheap Trick, Blondie, Replacements: Das ist geil, sowohl vom Songwriting her als auch von der Soundästhetik. Das haben wir als Richtwert für die neue Platte genommen. Natürlich habe ich diese Zeit nicht selbst erlebt, aber ich kann es jetzt in der Retrospektive entdecken. Mir ist ja egal, aus welcher Zeit ein Song stammt, solange er gut ist.

Im Lied Sottrum singst du vom „gut sortierten CD-Regal, von AC/DC bis ZZ Top“. Gibt es etwas in deinem eigenen Plattenschrank, das dir heute peinlich ist?

Nein, peinlich ist mir eigentlich nichts. Natürlich gibt es Sachen, die ich heute nicht mehr gut finde. Aber Musik ist da eben an die Zeit geknüpft, in der man sie entdeckt hat. Als ich 13, 14 Jahre alt war, hatte ich Gitarrenunterricht bei so einem Metal-Typen. Der hat mich mit 13 auch auf mein erstes Rockkonzert mitgenommen, zu den Scorpions. Die habe ich dann sehr viel gehört, bis mir aufgefallen ist, dass alle anderen die uncool finden. Trotzdem kann ich zu der Aussage stehen: Die Scorpions haben ein paar gute Songs gemacht. Und natürlich bewegt mich das noch, wenn ich diese Lieder heute höre. Da sind diese Teenager-Jahre einfach enorm prägend. So stark identifiziert man sich später wahrscheinlich nie mehr mit Musik. Dafür höre ich heute Sachen, die mich damals überhaupt nicht interessiert hätten. Das ist wahrscheinlich das Schöne am Älterwerden: Man hat einen viel größeren Horizont.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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