Hercules And Love Affair haben vor gut zwei Jahren mit Blind für reichlich Spaß auf den Tanzflächen der Welt gesorgt – mit der Unterstützung von Antony Hegarty, der dem Hit seine unnachahmliche Stimme lieh. Nun sind sie auf Tour als Vorband von The Gossip. Eine durchaus passende Konstellation. Schließlich geht es auch bei Hercules And Love Affair um Emanzipation von Schwulen und Lesben, um das Ausbrechen aus dem Außenseiterdasein – und um eine ordentliche Party. Bei der Show in Leipzig beweisen sie, dass sie tatsächlich die perfekte Vorgruppe für The Gossip sind.
Vor dem Konzert von Hercules And Love Affair in Leipzig habe ich Andrew Butler, den Produzent, DJ und Kopf der Band, backstage getroffen. Dort gab es zwar deutlich weniger Glamour als man das vermuten sollte, wenn Lagerfeld-Muse Beth Ditto die Garderobe nebenan hat (tatsächlich gab es fast nichts außer ein paar Koffern, weißen Tennissocken und ein paar Golfbällen). Aber es wurde trotzdem ein höchst interessantes Gespräch über griechische Götter, Sinead O’Connor und die Frage, wer eigentlich Disco das Hirn geraubt hat.
Hi Andy! Wenn Du Hercules And Love Affair jemandem beschreiben müsstest, der noch nie von Euch gehört hat, wie würdest Du das machen?
Butler: Hmm. Wir machen Tanzmusik, die zugleich künstlerischer Pop sein will. Wir legen Wert auf (überlegt lange) … Substanz, vor allem in den Texten, die bei uns möglichst emotional sein sollen. Es ist emotionale Dance-Pop-Musik.
Kannst Du auch damit leben, wenn man Euch einfach „Disco“ nennt?
Butler: Es gibt auf jeden Fall Elemente in unserem Sound, die sich auf Disco beziehen und von Discomusik inspiriert sind. Aber wir sind keine Discoband im Sinne von „get on the funk train“. Mit solchen Schubladen ist es ohnehin schwierig. Journalisten, Kritiker und Plattenfirmen brauchen sie, um die Musik besser verkaufen zu können. Aber wenn man bloß Musik macht oder bloß Musik hört, macht das wenig Sinn. Auch viele Discokünstler hatten so komplexe Einflüsse und einen so vielseitigen Sound, dass man das kaum mit einem Schlagwort charakterisieren kann.
Der Begriff wäre also zu eng gefasst?
Butler: Ja. Das Wort „Disco“ setzt schon für sich selbst genommen zu enge Schranken.
Trotzdem würde ich gerne versuchen, eine Parallele aufzuzeichnen: Disco ist Mitte/Ende der 1970er Jahre entstanden. Die Musik ist jetzt also Anfang 30 – genau wie Du. Und damit in einem Alter, wo man es mit Party, Clubbing und Tanzen in der Regel ein bisschen ruhiger angehen lässt.
Butler: So habe ich das noch nie betrachtet. Aber das ist ein interessanter Vergleich.
Das neue Album Blue Songs hat mich darauf gebracht. Es ist sehr tanzbar, klingt aber auch sehr clever und reif. Man könnte sagen: Hercules And Love Affair geben Disco das Hirn zurück.
Butler: Vielleicht. Womöglich liegt das daran, dass ich ein Kind der 1980er bin. Post-Punk, Postmoderne – da ging es immer darum, überall ein bisschen mehr Tiefgang hineinzubringen. Das merkt man auch bei Hercules And Love Affair. Wir waren immer ein bisschen persönlicher und ernsthafter als andere Bands. Auf der anderen Seite gibt es nichts im Leben, was mir so großen Spaß bereitet wie Tanzen und einfach zu guter Musik abzufeiern. Deshalb haben wir schon immer versucht, Dancemusic ein bisschen zu verändern. Zum Beispiel wollten wir nach dem ganzen Trend in Richtung Minimalismus in der vergangenen fünf Jahren unbedingt wieder den Gesang zurückbringen. Die Songs sollten eine Geschichte erzählen. Man soll hören, dass hinter dieser Musik echte Menschen stecken.
Das klingt, als ob Du mit vielem, was gerade als angesagte Dancemusic gilt, nicht viel anfangen kannst.
Butler: Das stimmt. Ich vermisse vor allem Subtilität. Viele Künstler verlassen sich viel zu sehr auf die neueste Technologie mit all ihren Möglichkeiten, irgendeinen verrückten Sound hinzukriegen, statt nach schönen Melodien oder interessanten Akkordfolgen zu suchen. Das gilt auch für Popmusik, die ja immer näher an die Dancemusic herangerückt ist. Dort beschränkt man sich auf das Offensichtliche. Mir fehlt da die Eleganz.
Wer ist daran Schuld?
Butler: Das ist schwer zu sagen. Ich denke, dass die Technologie wirklich eine große Rolle spielt. Es ist heute wirklich einfach geworden, Musik zu machen. Man muss nicht mal mehr Akkorde oder Harmonien kennen – das übernehmen inzwischen Computer. Ich habe noch Klavierspielen gelernt, eine ganz klassische Ausbildung, und auch die elektronische Musik habe ich dann auf komplett analogem Equipment für mich entdeckt. Deshalb schätze ich diese Dinge viel mehr, und ich lege mehr Wert auf so etwas. Aber bei Progressive House oder schon lange vorher bei Eurodance wurde die Musik immer mehr in eine überzogene, einfache, hirnlose Richtung getrieben.
Aber es gibt sicher auch ein paar aktuelle Künstler, die Du gerne magst?
Butler: Klar. (überlegt lange) Ich liebe Inflagranti, ein Duo aus der Schweiz. Es gibt auch ein paar neue Techno-Produzenten, die mir gefallen. Und eine Menge Deep-House-Sachen. Eigentlich jeder, der das macht, was wir auch tun: den Geist des Songs wieder in die Dancemusic zu bringen.
Wie läuft es bei Dir ab, wenn Du an neuen Stücken arbeitest? Vor allem, wenn es eine Kollaboration ist wie bei Step Up auf dem neuen Album, mit Kele Okereke von Bloc Party?
Butler: Das kommt drauf an, mit wem ich zusammenarbeite. Normalerweise ergibt sich das dann von selbst. Kele ist ein gestandener Musiker, er hat eine wunderschöne Stimme, die mich an viele meiner Lieblingssänger aus den 1980er Jahren erinnert, und er schreibt selbst Songs. Ich käme nie auf die Idee, so jemandem einen fertigen Song vorzusetzen und dann zu sagen: Los, jetzt sing einfach dazu. Ich will schließlich möglichst viel von dem ganzen Talent nutzen, das er mitbringt. Bei Step Up war es so, dass ich eine grundlegende Vorstellung von dem Song hatte und ein paar Ideen für den Text. Gemeinsam mit Kele habe ich das dann weiterentwickelt.
Ist das eine typische Arbeitsweise?
Butler: Nicht unbedingt. Wenn ich mit jemandem arbeite, der viel weniger Erfahrung hat, dann mache ich viel konkretere Vorgaben. Aber es geht immer darum, dass man sich gemeinsam wohlfühlt bei der Zusammenarbeit. Und dass man offen bleibt für die Ideen des anderen. Ich bin zwar der ausführende Produzent und ich habe das letzte Wort. Aber manchmal muss ich mir auch sagen: Andy, Deine Idee war wirklich nicht so gut. Es geht nicht um Dich, sondern um den Song. Und wer letztlich die gute Idee hat, wie man diesen Song noch besser machen kann, ist egal.
Wie entscheidest Du, mit wem Du zusammenarbeiten möchtest? Geht es in erster Linie um die Stimme?
Butler: Die Stimme ist sehr wichtig. Aber da muss noch eine Menge dazu kommen: Charisma, Persönlichkeit, Selbstbewusstsein, Einzigartigkeit und eine gewisse ästhetische Feinfühligkeit.
Gibt es jemanden für die Zusammenarbeit Deiner Träume? Den ultimativen Partner?
Butler: Für viele von den Künstlern, mit denen ich gearbeitet habe, trifft das schon zu. Das hätte ich mir nie träumen lassen. Es gibt natürlich auch darüber hinaus ein paar Sänger, die ich ganz spannend finde. Aber ich weiß nicht genug über sie, um wirklich entscheiden zu können, ob das gut zu Hercules And Love Affair passen könnte. Ich würde zum Beispiel für mein Leben gerne mit Sinead O’Connor arbeiten. Aber ich müsste erst mehr erfahren über ihr Leben, ihre Persönlichkeit, bevor ich sicher sein könnte, dass das Sinn macht.
Hast Du beim Komponieren oft schon eine ganz bestimmte Stimme im Kopf, von der Du weißt: Das würde perfekt passen?
Butler: Das kommt vor, auf jeden Fall. Es gibt ein paar Stücke auf der neuen Platte, die einfach nur diese eine Stimme hätte singen können. Painted Eyes ist wie gemacht für Aerea. Unser Cover von It’s Alright passt perfekt zu Kim Ann. Manchmal passt es aber auch aus anderen Gründen. Zum Beispiel bei Blind. Mit Antony habe ich damals in erster Linie zusammen gearbeitet, weil wir so gut befreundet waren.
Live werden die Stimmen der Gastsänger oft durch andere Stimmen ersetzt. Macht das die Konzerte besonders schwierig für Hercules And Love Affair? Oder profitierst Du von Deiner Erfahrung als DJ, der genau weiß, wie er mit einer tanzwütigen Menge umzugehen hat?
Butler: Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen. Ich bin so gerne mit dieser Band zusammen, wir sind wirklich ein klasse Team. Ich bin gerade mit einigen meiner absolut besten Freunde unterwegs und wir feiern jeden Abend auf der Bühne eine Party – was kann es besseres geben? Das Entscheidende ist: Diese Leute, die für mich wie eine Familie sind, haben mir geholfen, meiner Musik eine Form zu geben, und sie bringen sie ganz wundervoll auf die Bühne. Das ist der Vorteil: Bei Hercules And Love Affair sind wir ein Team – als DJ muss man alles ganz alleine hinbekommen. Das macht es viel schwieriger, das Publikum wirklich zu fesseln. Vor allem, wenn man als DJ so arbeitet wie ich. Ich will nicht nur den Lady-Gaga-Remix spielen, auf den alle warten, sondern auch etwas Überraschendes einbauen, was die Perspektive der Leute ein bisschen erweitert. Wenn das klappt, ist es riesig. Aber es ist verdammt schwer.
Wie kommen die Songs vom neuen Album bisher an?
Butler: Sehr gut. Wir spielen jeden Abend mindestens vier neue Stücke, und die Leute reagieren wirklich fantastisch. Obwohl die Platte noch nicht einmal draußen ist, singen sie schon die Texte mit.
Eigentlich sollte Blue Songs schon im September erscheinen. Jetzt ist die Veröffentlichung für Ende Januar 2011 geplant. Wie kam die Verzögerung zustande?
Butler: Das ist ganz einfach zu erklären: Ich bin nicht eher fertig geworden. Ich musste noch vieles abmischen und ich war noch nicht ganz zufrieden mit dem Ergebnis.
Es hatte also nichts mit dem Wechsel der Plattenfirma zu tun? Warum habt Ihr Euch von DFA getrennt?
Butler: Das war ein bisschen unglücklich. DFA gehört zum Emi-Konzern, und die haben gerade eine ganze Menge auf den Kopf gestellt und versucht, sehr viel Geld einzusparen. Deshalb hatte auch DFA kein so großes Budget mehr. Sie mussten sich letztlich entscheiden: Bringen wir das nächste Album von Hercules And Love Affair raus oder lieber das nächste Album von LCD Soundsystem? Und weil LCD Soundsystem nun einmal die Band von James Murphy ist, der DFA mit gegründet hat, war die Entscheidung ziemlich klar. Es war wirklich schade, aber wir sind einander nicht böse.
Ein bisschen passt die Trennung auch. Schließlich bist Du auch von New York zurück nach Denver gezogen.
Butler: Stimmt. DFA sind extrem auf New York konzentriert. Und wir sehen uns nicht mehr so sehr als New-York-Band. Warum auch? Hercules And Love Affair sind eine sehr internationale Band. Das Management sitzt in England. Das neue Album ist in Los Angeles, Wien, San Francisco, Mexiko und Sydney entstanden. Einer unsere Sänger wohnt in Berlin, der andere in Barcelona, einer in San Francisco, einer in Chicago. Und ich wohne jetzt in Denver. Damit komme ich gut klar. Ich finde es angenehmer, dass wir einfach eine Band sind – und nicht eine Band aus Brooklyn.
Haben Dich mit dem Weggang aus New York auch die Tagträume verlassen? Du hast einmal gesagt, dass Du Dir beim Spazieren durch die Stadt manchmal vorstellst, wie antike Götter plötzlich erscheinen. Und auf dem neuen Album gibt es keinen Song mehr, der nach einer Gottheit benannt ist.
Butler: Es gibt aber trotzdem Lieder, die von den Göttern handeln. Zum Beispiel Falling, das eigentlich nur ein Stück griechischer Mythologie erzählt, aber aus einer ungewohnten Perspektive. Es geht um Theseus und eine wirklich tragische Geschichte, die mich schon immer fasziniert hat. Theseus zieht aus, um den Minotaur zu bekämpfen. Dann kommt er zurück nach Athen. Mit seinem Vater hatte er vereinbart, dass er ein bestimmtes Segel aufzieht, um zu signalisieren, dass er den Kampf gewonnen hat und noch am Leben ist. Er vergisst aber, das Segel aufzuziehen. Sein Vater, der lange auf ihn gewartet hat, sieht nun das falsche Segel und denkt, sein Sohn sei tot. Er stürzt sich eine Klippe hinunter. Das Lied erzählt die Geschichte aus der Sicht des Vaters. Es gibt noch ein paar andere Stellen auf dem Album, die sich auch auf die Antike beziehen. Aber die Bezüge sind diesmal ein bisschen indirekter.
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