Interview mit I Am Jerry

I Am Jerry Band Sprockhövel
Feras, Timm, Julian und Leo (von links) basteln gerade am Debütalbum. Foto: verstaerker.com/Christoph Voy

I Am Jerry gibt es zwar schon seit 2008, in der öffentlichen Wahrnehmung ist das Quartett aus Sprockhövel bei Bochum aber quasi noch im Embryo-Stadium einer Band: Gerade einmal zwei Lieder sind bisher draußen, die Arbeit am Debütalbum läuft, parallel sind die Jungs auf Promo-Tour, die sie heute erst nach Halle zu MDR Sputnik und dann zu unserem Gespräch ins Hotel Seeblick in Leipzig geführt haben. Die erste Frage stellen Julian (Gesang), Leo (Gitarre), Feras (Bass) und Timm (Schlagzeug) selbst: Kann man bedenkenlos ein Bier bestellten, das „Ur-Krostitzer“ heißt? Ich antworte als Bier-Banause, dem jedes Pils gleich schmeckt, dass ich immer das Bier bestelle, bei dem mir die Flasche am besten gefällt. I Am Jerry wagen sich dennoch an die lokale Spezialität, am Ende des Interviews lautet ihr Fazit: nicht zu wässrig, kann man trinken. Dazwischen reden wir über selbstgemachte Tarantino-Videos, das Etikett als „die neuen Kraftklub“ und die Frage, was man mit 90 fertigen Songs macht, wenn man endlich sein erstes Album aufnehmen darf.

Kennt ihr eigentlich Chris McClure?

Timm: Wer ist das?

Das ist der Typ auf dem Cover des ersten Arctic-Monkeys-Albums.

Julian: Der mit der Kippe!

Genau. Er hat zwar nichts mit Musik zu tun, aber seit er auf diesem Cover zu sehen war, hat er rund 3000 Twitter-Follower, manche Leute lassen sich sogar sein Gesicht tätowieren. Ich habe mich gefragt, ob ihr Fabian dasselbe antun wollt.

Julian: Krass, du bist der erste, der rausgefunden hat, dass das Fabian ist auf dem Cover von Vollkontakt!
Leo: Das wäre auf jeden Fall das beste Ergebnis, wenn sich Leute jetzt sein Gesicht tätowieren lassen.

I Am Jerry Vollkontakt
Das Cover zur Single „Vollkontakt“. Mit einem freiwilligen Probanden.

Wie kam es dazu? Wer ist Fabian? Und hat er bei diesem Bild freiwillig mitgemacht?

Julian: Fabian ist ein Kumpel von uns, mit dem wir schon sehr lange abhängen. Wir wollten für das Cover ein Motiv, das etwas mit dem Lied zu tun hat. Wir haben uns ganz viele Sachen überlegt, die am Ende aber alle nicht gut aussahen. Dann saßen wir abends ein bisschen gefrustet am Esstisch und hatten die Idee: Wir schreiben den Titel einfach mal Fabian auf die Stirn. Und das war es!

Leo: Die Grillz hatten wir ihm allerdings schon Jahre vorher geschenkt, zum Geburtstag.

Julian: Und da hatten wir als Joke immer schon gesagt: Damit kommst du irgendwann mal aufs Cover! Und jetzt haben wir das wirklich gemacht. Es ist ein endgeiles Cover mit einem sehr minimalistischen, aber einprägsamen Bild.

Man könnte eine Serie daraus machen.

Julian: Machen wir auch. Bei den nächsten Songs wird Fabian auch wieder auf dem Cover sein, mit dem Songtitel auf der Stirn und einer anderen Hintergrundfarbe. (Die Band zeigt mir ein paar Sticker mit den Motiven, die nach genau diesem Prinzip schon vorbereitet sind) Vor allem auf Vinyl sieht das extrem gut aus. Und nächstes Jahr bei den Festivals wollen wir ein riesengroßes Fabian-Banner haben, auf dem dann I Am Jerry steht. Stelle ich mir sehr prägnant vor.

Wenn man eure Videos oder das Instagram-Profil anschaut, sieht es so aus, als ob Grafik, Optik und Visuelles für euch als Band extrem wichtig sind. Denkt ihr das manchmal schon mit, wenn ihr Songs schreibt? Nach dem Motto: Wow, zu dieser Zeilen könnten wir im Video das und das machen…

Leo: Nein. Manchmal hat man so eine Idee, während man den Song macht. Aber darauf fokussieren wir uns nicht, das kommt dann eher zufällig. Der Song muss erst einmal für sich funktionieren.

Julian: Es kann sein, dass man im Studio eine Strophe nochmal anhört und denkt: Yeah, dazu könnte ich mir dies und jenes total gut vorstellen. Daraus entwickeln sich dann auch Ideen für Videos. Aber eigentlich sind wir mit der visuellen Komponente der Musik erst befasst, seit es darum geht, Dinge zu veröffentlichen. Vorher hat das für uns überhaupt keine Rolle gespielt, aber jetzt ist es sehr wichtig. Schließlich ist es das erste Mal. Erstes Cover, erstes Video. Da war es uns sehr wichtig, alles selbst in die Hand zu nehmen, damit es wirklich so wird, wie wir es haben wollen. So wie bei Vollkontakt, wo wir nicht einmal jemanden hatten, der die Kamera bedient hat, aber trotzdem ein cooles Video mit so einer Trash-Tarantino-Ästhetik hinbekommen haben.

Gilt das DIY-Prinzip auch für die Aufnahmen zu eurem ersten Album? Macht ihr da alles selbst?

Julian: Wir haben ein Homestudio bei uns im Keller mit ganz viel Equipment. Da ist jahrelang immer unser Weihnachtsgeld reingeflossen. Dort produzieren wir den größten Teil vor. Dann wird das nochmal ein bisschen schicker gemacht, auch das Schlagzeug wird im Studio in Bochum nochmal richtig aufgenommen. Mit Markus Schlichtherle, der beispielsweise die letzte Platte von Callejon gemacht hat. Sein Studio ist voll mit alten Instrumenten, ein Paradies für Musik-Nerds! Das passt wunderbar für uns, weil man dann leichter kreativ sein kann und in so eine Wohlfühl-Musik-Stimmung gerät. Es gibt ja auch Studios, wo alles steril ist mit der neusten Hightech-Ausstattung. Da fehlt ein bisschen die Seele.

Bandfoto I Am Jerry
Killjoy Youth hieß eine der früheren Inkarnationen von I Am Jerry – das sieht man. Foto: verstaerker.com/Christoph Voy

Man findet noch nicht allzu viel zu I Am Jerry im Netz, aber immerhin die Kategorisierung „die neuen Kraftklub, die neuen Bilderbuch“ bei Noisey. Könnt ihr mit dieser Schublade etwas anfangen? Oder ist das eher ein schiefer Vergleich?

Leo: Es ist klar, dass die Leute erst einmal anfangen zu vergleichen, wenn etwas Neues kommt. Es kann schon sein, dass es da an manchen Stellen auch Ähnlichkeiten gibt. Aber das liegt wahrscheinlich einfach daran, dass wir dieselben Sachen wie diese Bands feiern.

Julian: Ich denke auch, dass da der Zusammenhang herkommt. Und immerhin ist es ja das richtige Etikett, das ist eine Ecke, in der wir uns wohlfühlen können. Es wäre viel schlimmer für uns, wenn da stehen würde: „Die neuen Revolverheld“. Aber man muss natürlich sagen, dass die Leute erst zwei Lieder von uns kennen. Natürlich kann man anhand dieser zwei Lieder versuchen, uns in eine bestimmte Schublade zu stecken. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass sich einige wundern werden, was da noch so kommt. Das hat sicher auch etwas mit dem Faktor Zeit zu tun: So viel wissen die Leute eben noch nicht über uns.

Was man allerdings überall findet, ist das Gründungsjahr 2008 und der Hinweis, dass I Am Jerry damals schon 50 Konzerte pro Jahr gespielt haben. Wie habt ihr das gemacht? Für Profimusik oder wenigstens einen Führerschein wart ihr da ja noch viel zu jung.

Leo: Daddy hat uns da immer gefahren.

Julian: Die Geschichte reicht aber noch viel weiter zurück. Seit 2008 gibt es uns als I Am Jerry, aber auch davor haben wir schon unter zig anderen Namen zusammen Musik gemacht. Und ganz am Anfang haben wir mit unserem Vater in einer Coverband gespielt. Wir machen wirklich schon lange Musik. Schon immer.

Seit 2008 habt ihr Einiges erlebt: Den Auftritt bei Rock am Ring 2011 als Gewinner eines Bandcontests, jetzt einen Vertrag mit Warner Music, zuletzt Auftritte bei Circus Halligalli und beim Reeperbahnfestival. Was war das spektakulärste Erlebnis bisher für euch als Band?

Alle zusammen: Rock am Ring.

Feras: Da waren einfach 3000 Leute vor der Bühne, mit denen hatte niemand gerechnet. Das war der Wahnsinn. Es waren mehr Leute bei uns als vor der Center Stage.

Julian: Das war ein irres Erlebnis. Wir haben aber auch darauf hingearbeitet: Wir haben gespart, damit wir unsere Sachen im Studio aufnehmen können. Wir haben versucht, ins Radio zu kommen. Wir haben Leute genervt, die bei dem Band-Contest für uns gevotet haben. Aber im Endeffekt hat sich das krass für uns ausgezahlt. Rock am Ring war für uns der Türöffner in dieses Geschäft und hat ganz viele Leute auf uns aufmerksam gemacht, die uns seitdem gefördert haben.

Wart ihr überrascht, als so eine Tür auf einmal aufging? Oder hattet ihr von Anfang an das Ziel Rockstar?

Julian: Ich kann da nur für mich sprechen, da war schon immer klar, dass ich Musiker werden will. Und dann stehst du auf einmal bei Rock am Ring, hast dein Abitur in der Tasche und hast den Kontakt zu Warner. Da war klar: Wir machen jetzt unser Musik-Ding! So eine Chance hat man wahrscheinlich nur einmal im Leben.

Seitdem habt ihr euch aber ganz schön viel Zeit gelassen – ein Album gibt es noch nicht. Dabei müsst ihr doch, wenn ihr seit 2008 zusammen spielt, einen Arsch voll Songs haben, oder?

Julian: Oh ja. Das dürften so 80, 90 fertige Songs sein. Aber die kommen nicht aufs Album. Man muss sich das so vorstellen: Die Entwicklung, die andere Bands über so einen Zeitraum in der Öffentlichkeit durchleben, haben wir im stillen Kämmerlein durchlebt. Wir haben auch Lieder totgespielt, nicht jeden Abend im Konzert, sondern unendlich oft im Proberaum, bis wir sie selbst nicht mehr hören konnten. Das war ein wichtiger Teil unserer Entwicklung und hat uns geholfen, unseren Stil zu finden.

Aber die alten Songs drücken nicht mehr aus, wer ihr jetzt seid?

Julian: Genau. Wir haben dazugelernt. Vor allem haben wir gelernt, was wir nicht wollen. Sachen, die wir zwar könnten, die aber nicht unser Ding sind. Das war eigentlich die wichtigste Erkenntnis in den letzten vier Jahren. Jetzt sind wir genau die Band, die wir gern sein wollen.

Habt ihr einen Zeitplan, wann das Album draußen sein soll?

Timm: Nein. Natürlich wäre es schön, wenn die Platte im Sommer rauskommt. Aber wenn sie bis dahin noch nicht geil ist, dann wird es eben später.

Leo: Es geht auf jeden Fall um die Qualität. Unser Ziel ist es, ein Album zu machen, das wir selbst von einer deutschen Band vermissen. Eine Lücke zu füllen, mit einem Sound, der HipHop-Einflüsse hat und sehr beatige Elemente, aber auch viele klassische Elemente und Indie-Sachen wie den Arctic Monkeys oder den Killers oder so. Auf Deutsch. Und so, dass es auf einem Festival geil funktioniert.

Julian: Schon als 14-Jährige haben wir immer danach gestrebt, sehr vielseitig zu sein. Wir wollen keine Platte haben, bei der Lied 4 immer noch wie Lied 1 klingt, sondern viele Einflüsse zulassen und sie auch zeigen. Das merkt man ja schon bei den beiden Songs, die bisher draußen sind: Vollkontakt hat wenig mit Alles muss neu zu tun. Trotzdem merkt man, dass das dieselbe Truppe ist, dieselbe Band. So wird es auch auf dem Album sein.

Käme für euch auch ein explizit politischer Song infrage? Bei Alles muss neu könnte man ja schon auf die Idee kommen, das mit dem Flüchtlingsthema in Verbindung zu bringen.

Julian: Stimmt, das haben wir im Video ja auch ein bisschen gemacht. Wenn man es so interpretieren will, passt der Song zu dieser Debatte und zur Situation dieser Menschen.

Leo: Aber das war nicht die Grundidee. Der Song gibt das her, und als Individuen sind wir auch alle mehr oder weniger politische Menschen. Aber wir sind keine Band wie meinetwegen K.I.Z., die knallhart politsche Songs macht.

Julian: Auch, dass im Video eine Deutschland-Fahne verbrannt wird, ist leider von vielen falsch verstanden worden. Das soll kein Statement gegen Deutschland sein, sondern ein Statement gegen Nationalismus generell.

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Wie lange brauchen I Am Jerry noch, um Dietrich Grönemeyer als berühmtesten Einwohner von Sprockhövel überholt zu haben?

Julian: Er ist natürlich ultra-bekannt im Ort, aber wir kriegen von ihm nichts mit. Bis auf einen Kumpel von uns, der Schornsteinfeger ist und dort ab und zu vorbeischaut. Mal schauen, ob wir ihn bald eingeholt haben. Ich würde sagen: Wir sind auf einem guten Weg.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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