Schon um 14.15 Uhr muss Juse Ju am Samstag beim Kosmonaut-Festival ran. Seinen Auftritt auf der Aftershow-Bühne genießt er trotzdem sehr, ebenso das in seinen Augen „sehr gechillte“ Festival insgesamt. Am Nachmittag treffen wir uns und plaudern auf zwei Campingstühlen über Prügel, die man als Skater einstecken muss, die Verdienstmöglichkeiten via Spotify und die Frage, ob Rap erst Donald Trump möglich gemacht hat.
Wie würdest du die heutige Show auf der Skala deiner bisherigen Festivalauftritte einordnen?
Juse Ju: Heute ging es mega krass durch die Decke. In dieser Festivalsaison merke ich wirklich den Unterschied zu früher. Da kannten mich die meisten Leute nicht, oder höchstens einen Song. Heute war das ganz anders. Gleich beim ersten Song gab es ein Moshpit!
Auch dein neues Album Shibuya Crossing ist bisher das erfolgreichste in deiner Karriere und in den Top40 in die deutschen Charts eingestiegen. Du hast zur Veröffentlichung gesagt, es sei dein erstes „richtiges“ Album. Inwiefern unterscheidet es sich denn von den drei Platten, die du davor gemacht hast?
Das ist eher Musikindustrie-Sprech, man sollte das nicht so wörtlich nehmen. Aber es ist das erste „richtige“ Album, weil der Entstehungsprozess eher dem üblichen Ablauf entsprach: Ich konnte mich zum ersten Mal quasi hauptberuflich ein Jahr lang daran setzen, ein Album zu machen. Vorher habe ich 5-6 Tage pro Woche normal gearbeitet und nebenbei Musik gemacht. Diesmal gab es auch erstmals einen festen Release-Termin, ein paar Vorab-Tracks und auch Interviews vorher. Shibuya Crossing ist aber noch in anderer Hinsicht anders: Es ist mein persönlichstes Album.
Also meint dieses Attribut „richtiges Album“ keine Distanzierung zu den älteren Platten?
Nein. Für mich persönlich ist Yo, HipHop hat mein Leben zerstört, das ich 2009 rausgebracht habe, immer noch die Platte, die mein Debüt war, also irgendwie auch das erste „richtige“ Album. Jedes Album ist ja das Dokument einer Lebensphase. Dieses Album habe ich mit 25 gemacht und ich finde es geil, mir das jetzt nochmal anzuhören und zu entdecken, wie ich damals gedacht habe, wie ich drauf war. Zum Teil geht es in diesen Songs ja darum, dass ich davon ausging, keine Karrierechancen zu haben als Rapper. Ich hatte Sorgen, damit zum Hartzi zu werden. Das ist zum Glück nicht passiert.
Wenn diesmal viel mehr Zeit zur Verfügung stand, hast du dann auch anders gearbeitet? Etwa einen größeren Teil des Songwritings ins Studio verlegt?
Ich schreibe meine Sachen nicht erst im Studio. Das liegt auch daran, dass ich ziemlich lange für einen Song brauche. Meistens steht ganz am Beginn ein Konzept für einen Song. Ich sammle dann die ganze Zeit Ideen dafür, Bilder, Gedanken, Emotionen. Wenn ich dann irgendwann den passenden Beat dazu habe, arbeite ich das aus. Erst dann gehe ich hin und nehme das auf.
Wie läuft dieses Sammeln konkret ab? Hast du alles im Kopf? Oder immer ein Notizbuch dabei? Oder speicherst alles im Tablet?
Früher hatte ich tatsächlich ein Notizbuch, jetzt passiert das normalerweise mit dem Handy. Momentan mache ich es meistens so, dass ich mir selber E-Mails schreibe. Das ist auch ein bisschen sicherer, weil ein Handy ja gerne mal geklaut wird. In meinem Mail-Postfach sind jede Menge Entwürfe für Songkonzepte. Da schreibe ich immer wieder neue Lines und Ideen dazu.
Ich hoffe, du hast ein gutes Passwort für deinen Mailaccount, damit das nicht gehackt werden kann.
Ich glaube, diese Gefahr ist nicht so groß. Niemand möchte dein geistiges Eigentum klauen, solange es noch in einem so frühen Stadium ist. Wenn jemand was bei dir klaut, dann sind es Sachen, die du schon rausgebracht hast und die funktioniert haben. Wenn ich Michael Jackson wäre oder Jay-Z, dann wäre mein Ideenordner vielleicht für Hacker interessant. Juse Ju kann da noch chillen.
Vielleicht würden deine Ideen auch nicht allzu gut für andere Rapper passen. Schließlich stehst du mit der Weigerung, auf dicke Hose zu machen, eher als Exot im deutschen Rap da.
Dieses Boasting gehört eben dazu im HipHop. Man will der Welt zeigen, dass man sich selber geil findet. Ich nehme mich da gar nicht raus. Ich sehe mich auch in Konkurrenz zu allen anderen Rappern, nicht nur bei Freestyle-Battles. Ich will besser rappen als alle und bessere Songs machen als alle und zeigen: Die sind alle wack! Aber Boasting ist eine künstlerische Entscheidung, und permanent zu erzählen, dass ich der Größte bin und wie viel ich besitze und wie viele Weiber ich hatte, das interessiert mich nicht. Das ist ja auch Quatsch, die reden ja alle Müll. Wenn du einen normalen Job hast, verdienst du ja schon mehr als 99 Prozent dieser Rapper. Selbst bei denen, die wirklich reich sind, gilt ja, auch wenn es abgedroschen klingt: Das ganze Geld macht sie natürlich auch nicht glücklich. Die haben so viele Probleme am Arsch! Dauernd hatet sie jemand. Sie müssen hype bleiben. Da bringt ihnen ihr Ferrari gar nichts, falls sie überhaupt einen haben. Das sind Leute, die ihre Minderwertigkeitskomplexe verarbeiten, und für die ist Boasting wahrscheinlich sogar der richtige Weg.
Also kann man sagen: Du magst dieses Kompetitive als Kunstform, aber nicht als Lebensinhalt?
Es ging im Rap immer darum, der beste im Rap zu sein. Es ging nie darum, wer das meiste Geld hat. Man kann Geld zwar in seiner Musik thematisieren, das ist auch nicht schlimm, es gibt ja auch gute Songs über viel Geld. Aber du musst trotzdem der beste Rapper sein. Größter Erfolg = bester Rapper? Dass diese Gleichung nicht funktioniert, sieht man ja auch daran, dass zwischen Erfolg und Status unterschieden wird. Rapper, die ein bisschen poppiger sind und damit viel Geld machen, werden dann nicht mehr so respektiert. Sonst wäre Cro der am meisten respektierte Rapper in Deutschland. Auch bei Kollegah oder Bushido gibt es ja genug Backpack-Atzen, die sagen: Die machen zwar einen Haufen Kohle, aber die rappen nicht gut. Ich habe auch das Gefühl, dass ich musikalisch viel härter bin als viele von denen. Da wird ja mittlerweile auch sehr viel gesungen. Das ist für mich eher RnB. Ich rappe viel härter, nicht von den Inhalten her, aber vom Duktus.
Du bist zusätzlich zur Musik auch weiterhin als Journalist tätig, mit einer eigenen Radioshow und als Redakteur. Ich habe mich gefragt: Wo gibt es da Parallelen, was könnte die Verbindung sein? Mein Vorschlag: In beidem steckt ein aufklärerischer Impetus, also die Idee, Aussagen über die Welt zu treffen, Leute zu informieren und sie damit zum Reflektieren zu bringen. Würdest du da zustimmen?
Ich denke schon. Es geht immer um zwei Sachen: Aussage und Gefühl. Bei der Musik steht natürlich eher das Gefühl im Vordergrund. Beim Journalismus geht es stärker um die Information, die Aussage. Die Verbindung ist, dass Inhalte über Sprache transportiert werden. Wichtig für mich ist auch: Als Redakteur verdiene ich genug Geld, um davon leben zu können. Ich bin nicht auf die winzigen Beträge angewiesen, die man vielleicht von Spotify oder YouTube bekommt. Deshalb kann ich die Musik so machen, wie ich sie will.
Vermischen sich diese beiden Tätigkeiten ganz praktisch? Sitzt du manchmal in der Redaktion und hast plötzlich eine Songidee?
Das kommt vor. Gerade beim Radio bekomme ich da viel mit, Fritz ist ja ein Jugendradio, wo mir immer wieder neue Sachen begegnen. Das muss nicht gleich einen ganzen Song tragen, aber es gibt vielleicht eine gute Punchline ab. Oft kann das auch ein einziger Begriff sein. Ein krasser Fall war Rebound Boy vom Angst & Amor-Album. Diese Formulierung hat mir damals meine Mitbewohnerin nahe gebracht. Sie meinte, sie sei ein Rebound Girl, also jemand, bei dem immer die Männer landen, die gerade aus einer Beziehung kommen, jetzt nicht alleine sein wollen und dann mit ihr was anfangen, ohne schon wieder etwas Ernstes zu wollen. Das war ein sehr interessantes Konzept, deshalb habe ich einen Song daraus gemacht.
Bekommen die Leute bei Festivals überhaupt die Texte mit? Ist so ein Format wie das Kosmonaut die richtige Umgebung, um gerade die politischen Inhalte in deinen Tracks rüberzubringen?
Die Leute wollen da immer so eng abgrenzen: Dies ist eine politische Kundgebung, jenes ist ein Festival. Das macht für mich wenig Sinn. Ich als Juse Ju verkörpere ja bestimmte Einstellungen. Die ändern sich über die Jahre zwar auch mal, aber ich stehe immer für diese Haltungen und Meinungen und Gedanken, egal in welchem Kontext. Leute wie die Antilopen Gang oder Fatoni oder ich werden gerne als politisch bezeichnet, weil wir mit irgendeiner Zeile irgendein bestimmtes Thema in den Blick nehmen oder weil ich mich in einem Song wie German Angst zu einem gesellschaftlichen Phänomen äußere. Aber wir sollten ja eigentlich schon seit den Sechzigern gelernt haben: Alles ist politisch. „Ich will nur noch das Geld, ich will nur noch die Frauen“ – wenn ein anderer Rapper so eine Aussage trifft, ist das natürlich auch politisch. Auf einem Festival ist es sicher schwer, die Leute für ein bestimmtes Thema wachzurütteln, meinetwegen die Flüchtlingskrise, wenn man diesen schwierigen Begriff denn verwenden möchte. Aber du repräsentierst auch da eine Einstellung. Deshalb denke ich, dass letztlich alle Rapper politisch sind.
Wir sind hier in Sachsen ja in einer AfD-Hochburg. Merkst du das bei deinen Shows?
Ja, ich merke das. Die Leute hier reagieren gerade bei den Songs mit politischen Themen anders. Es gibt ein größeres Bedürfnis danach, es spricht ihnen mehr aus dem Herzen. Ich komme ja aus dem Großraum Stuttgart, wo in meiner Alterskohorte jeder Dritte einen Migrationshintergrund hat. Als Nazi hast du da einen sehr schweren Stand. Hier ist das anders. Ich denke, dass meine politischen Songs in Dresden, Leipzig oder Chemnitz auch deshalb viel dankbarer aufgenommen werden, weil dieser Konflikt hier viel präsenter ist. Das ist einfach mehr ein Thema. Ich musste mich in meiner Jugend nicht mit Nazis schlagen. Nazis waren Opfer in meiner Gegend. Ich habe mich eher mit Leuten prügeln müssen, die mich scheiße fanden, weil ich Skateboard gefahren bin.
Ich hätte nicht gedacht, dass du viel Erfahrung mit Schlägereien hast. Zeilen wie „Rap ist meine Waffe / weil meine Faust zu schwach ist“ sprechen ja eher für die verbale Auseinandersetzung.
Ich fange keine Schlägerei an, seit ich 12 bin oder so. Aber ich habe mich sehr oft prügeln müssen. So ist das halt auf dem Land. Bei uns gab es Partys und Wiesenfeste, und da war Anarchie angesagt. Da kommen fünf Typen an, die mögen keine Skater, und dann kriegst du richtig fett in die Fresse, mit Blut und Platzwunde.
Ich könnte mir vorstellen, dass es auch den einen oder anderen Gangsta-Rapper gibt, der die Prügel androhen würde, wenn ihr euch beispielsweise backstage bei so einem Festival begegnen solltet.
Hier wird das sicher nicht passieren, beim Kosmonaut spielen ja sehr viele Acts, die eher so aus meiner Richtung kommen. Auch insgesamt ist die Gefahr gering, denke ich. Gangsta-Rap ist zwar medial sehr präsent, weil es da um Mafia, Krieg und Nutten geht – diese Themen sind medial einfach interessant. Aber live spielen diese Rapper kaum eine Rolle. Die spielen auch fast keine Festivals. Das liegt sicher auch daran, dass deren Publikum viel jünger ist, die können zum größten Teil ja gar nicht mit dem eigenen Auto oder eigenem Geld zu einem Festival fahren. Bei diesen Acts sind viele Fans zwischen 12 und 20 und der Kontakt mit der Musik findet quasi nur im Internet statt. Und wenn sie mal zum Konzert gehen, stehen sie da und filmen einfach die ganze Zeit mit dem Handy. Es gibt dort gar keine richtige Konzertkultur.
Ich würde gerne nochmal auf diese Attitüde von Wettbewerb, Ego und Härte zurückkommen, die ja zentral ist für Rap. Es ist – natürlich gibt es da auch Ausnahmen – nicht gerade ein Genre, das Empathie befördert, sondern über Abgrenzung funktioniert. Hat der Siegeszug von Rap damit vielleicht auch dazu beigetragen, dass ein Mann wie Donald Trump zum US-Präsidenten werden konnte?
Diese sozialdarwinistische Mentalität setzt sich auf jeden Fall immer mehr durch. Auch in Deutschland. Die Welt wird kompetitiver. Dieses „Ich bin der Stärkste und ich gehe meinen Weg“ ist ja auch deshalb attraktiv für Leute, weil sie in ihrem eigenen Leben merken, wie schwer das ist, sich wirklich durchzusetzen, wie wenige Dinge es gibt, auf die man sich verlassen kann und die man selbst in der Hand hat. Das gilt besonders für junge Männer, die neigen ja sowieso dazu, sich selbst zu überschätzen, und fühlen sich von Rap besonders angesprochen. Rap trägt also wahrscheinlich zu diesem Trend bei, aber viele andere Dinge auch. Genauso gut könnte man meinetwegen die Bologna-Reform als Ursache nennen, die den jungen Leuten sagt: ‚Folge nicht deinem Traum, sondern sei effizient!‘
Wenn du an der Stelle von Donald Trump wärst, wie würde denn deine erste politische Maßnahme aussehen?
Das weiß ich nicht. Wenn ich mich für ein Thema entscheiden müsste, dann würde ich wahrscheinlich versuchen, die Sozialversicherungen in den USA mehr an den Start zu bringen. Aber erst einmal müsste ich wissen, wie die Mechanismen funktionieren. Man hat ja beispielsweise bei Obama gesehen, wie schwierig es auch in so einer Position ist, als angeblich mächtigster Mann der Welt, Dinge wirklich durchzusetzen. Diese Vorstellung, dass man nur einen Hebel umlegen muss, und dann läuft alles, das ist natürlich naiver Quatsch. Reaktion, Gegenreaktion. Das ist ein sehr großes Schachspiel. Deshalb gehöre ich auch nicht zu denen, die auf Berufspolitikern rumhacken. Dieser Job ist megahart. Du wühlst die ganze Zeit in irgendwelcher Scheiße rum, musst dich mit verkrusteten Strukturen rumschlagen und dann hast du noch die Wähler und die Journalisten, denen du es auch oft nicht recht machen kannst. Das sieht man ja auch bei Trump: Der wollte Präsident werden, um sich selbst und der Welt zu beweisen, dass er so eine Wahl gewinnen kann. Jetzt sieht er: Das ist voll kacke, jeder darf ihn anpissen, ohne dass er etwas dagegen tun kann. Natürlich finde ich vieles nicht gut, was er macht. Aber das sind eher systemische Probleme, und die löst du nicht, indem du auf Leuten rumhackst, die bloß das System für ihre Zwecke nutzen.