Keine Frage: Otherkin aus Dublin geht es gerade ziemlich gut. Luke Reilly (Gesang), Conor Andrew Wynne (Gitarre), David Anthony (Bass) und Rob Summons (Schlagzeug) haben unlängst ihre zweite EP veröffentlicht, einiges Aufsehen erregt und nutzen jetzt den Festivalsommer, um sich einen noch besseren Namen zu machen. Beim Pure & Crafted Festival in Berlin spielen sie ihre erste Deutschlandshow. Kurz davor treffe ich sie zum Interview auf einer Backstage-Terrasse. Sie haben ein Bier in der Hand, ein paar von ihnen haben ihre Freundinnen dabei, und sie sind in bester Plauderlaune: Wir reden über ihr anstehendes Debütalbum, die Gefahren von Hochzeiten mit Supermodels, Zombies und die Frage, was der beste Ort ist, wenn man kurz vorm Auftritt kotzen muss.
Heute steht das erste Deutschlandkonzert von Otherkin an. Was erwartet ihr euch? Und was versprecht ihr?
Conor Andrew Wynne: Wir haben gehört, das deutsche Publikum sei ziemlich ausgeflippt. Also hoffen wir mal auf gute Stimmung.
Luke Reilly: Was wir auf jeden Fall versprechen können, ist Energie. Jede Menge Songs, die hoffentlich dafür sorgen werden, dass die Leute sich mitreißen lassen und eine gute Zeit haben.
Was müsste passieren, damit ihr sagt: Wir haben zwar schon weitere Deutschland-Konzerte für September geplant, aber nach dieser Show werden wir auf keinen Fall wieder kommen?
Luke: Ich mache mir da keine große Sorgen, was das Publikum angeht. Wahrscheinlicher ist schon der Fall, dass wir uns daneben benehmen und man uns dann nicht mehr ins Land lässt. (lacht)
Eure neue EP zeigt auf dem Cover eine Geste mit Daumen und Mittelfinger, die wohl so etwas wie euer Markenzeichen ist. Was ist die Bedeutung dahinter?
David Anthony: Das ist nicht kompliziert: Die Finger bilden ein O. Das steht für Otherkin, oder für Okay.
So habe ich das auch interpretiert. Ich muss euch allerdings warnen: In einigen Ländern im Nahen Osten versteht man diese Geste meines Wissens als obszön.
Rob Summons: Echt? Was bedeutet das denn dort?
So etwas wie „Fick dich“, soviel ich weiß.
Rob (nachdem alle einen Lachanfall hatten): Unser Gitarrenroadie hat sich das gestern gerade auf den Arm tätowieren lassen. Er ist wahrscheinlich froh, dass wir noch nicht im Nahen Osten auf Tour waren.
Der arme Kerl. Um ihn aus der Schusslinie zu nehmen, solltet ihr am besten schleunigst eine neue Platte mit einem unverfänglichen Cover veröffentlichen. Apropos: Wann soll denn euer Debütalbum erscheinen?
David: Nächsten Sommer, wenn alles nach Plan läuft. Wir schreiben gerade noch an den Songs und nehmen uns lieber ausreichend Zeit. Manche Leute schaffen es, ein Debüt hinzulegen, über das 20 Jahre später noch geredet wird. So eine Platte, die die Leute einfach umhaut, streben wir an.
Rob: Viele Bands veröffentlichen einfach ihr erstes Album, sobald sie genug Lieder beisammen haben. Das ist bei uns ganz anders. Wir haben schon ungefähr 40 Songs geschrieben, die zur Auswahl stehen.
Luke: Wir sind sogar so weit, dass wir einige Songs wahrscheinlich aufheben werden, weil sie für das erste Album vielleicht nicht so gut passen. Wir bringen sie dann später raus – oder wir müssen als Debüt gleich ein Dreifach-Album machen. (lacht)
Habt ihr schon ein Studio, einen Produzenten oder einen Albumtitel festgelegt?
David: Wir haben noch keinen Albumtitel. Wahrscheinlich werden wir uns gegenseitig richtig an die Gurgel gehen, wenn wir uns irgendwann auf eine Idee einigen müssen.
Luke: Wir arbeiten in einem Studio in der Nähe von Dublin, dort haben wir bisher all unser Material aufgenommen.
Rob: Wir kennen diesen Typen namens Dave, das Studio ist eigentlich ein kleiner Schuppen im Garten seiner Eltern. Alles sehr im Stile von Do It Yourself.
David: Wir würden uns auch kein teures Studio wünschen. Wichtiger als die modernste Technik ist, dass wir uns wohlfühlen. Dort können wir uns Zeit lassen. Und es fühlt sich kein bisschen wie Arbeit an.
Das ist wahrscheinlich das Schöne an dem Karriereabschnitt, in dem ihr jetzt seid. Manchmal habe ich den Eindruck, der Weg nach oben sei für eine Band viel spaßiger als die Zeit, wenn man es dann wirklich an die Spitze geschafft hat.
David: Das stimmt. Jetzt gerade haben wir wahrscheinlich die beste Zeit überhaupt in dieser Band. Wir dürfen in Deutschland spielen, wir treffen tolle Leute und lernen spannende Orte kennen. Natürlich ist das aufregend, aber es ist auch enorm schwierig, dorthin zu kommen. Am Anfang ist es wirklich hart für neue Bands. Kein Mensch interessiert sich für dich und du spielst eine Menge Konzerte, zu denen praktisch niemand kommt.
Rob: Deshalb genießen wir diese vielen „kleinen Durchbrüche“ so sehr, die wir haben. Zum ersten Mal hier in Berlin aufzutreten, oder ein Konzert in Moskau spielen zu dürfen. Ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt mal nach Moskau kommen würde. Schon gar nicht hätte ich erwartet, dass ich ein Konzert dort spielen darf, vor 200 durchgeschwitzten Russen bei minus 9 Grad im Januar. Conor hat da ein Solo gespielt, auf dem Boden liegend, und zwanzig russische Mädels standen um ihn herum und haben Luftgitarre gespielt – so etwas hätte ich nie für möglich gehalten. Es gibt nichts, was ich derzeit lieber tun würde, als in dieser Band zu sein.
Luke: Wenn du eine neue Band bist, gibt es ganz viele „erste Mals“. Es hat überhaupt noch nichts von Routine, und das kosten wir aus. Ich hoffe, dass das möglichst lange anhält. Es gibt ja genug Bands, die nach ein paar Platten schon übersättigt sind. The Strokes, zum Beispiel: Sie scheinen ausgebrannt zu sein. Sie haben zu viel getrunken, sie haben Supermodels geheiratet, und jetzt können sie sich offensichtlich nicht einmal mehr leiden.
Rob (ruft): Heirate keine Supermodels! Heirate keine Supermodels!
Ich denke, diesen Ratschlag können wir alle befolgen. Trotzdem: Gegen eine ordentliche Portion Ruhm und Erfolg hättet ihr offensichtlich nichts einzuwenden, oder?
Conor: Wir gehen durchaus strategisch vor, aber auf eine gute Weise. Wir spielen gerne vor 20 Leuten, aber noch lieber vor 5000 Leuten. Wir haben eine sehr klare Vorstellung davon, was wir mit unserem Debütalbum erreichen wollen, und darauf arbeiten wir hin. Ich denke, niemand hat höhere Erwartungen an die Band als wir selbst.
David: Wir sind keine der Bands, die einfach mal abwartet, wie es läuft. Wir alle haben unsere früheren Leben aufgegeben, um in dieser Band zu sein. Zwei von uns sind Ärzte und könnten jetzt in einer Klinik arbeiten. Aber die Musik ist das, was wir wollen, als Vollzeitjob. Und ist sehr bewusst, dass das eine weitreichende Entscheidung war.
Das ist es. Wenn Otherkin nicht durchstarten sollten und ihr irgendwann wieder in anderen Jobs arbeitet, könnte es sich anfühlen, als ob ihr versagt habt in dem, was ihr am liebsten machen wolltet im Leben. Beunruhigt euch dieser Gedanke?
Conor: Überhaupt nicht. Im Gegenteil: Wenn wir uns in drei Jahren auflösen müssen, wird es in dem Bewusstsein passieren, dass wir es immerhin versucht haben, dass wir eine großartige Zeit hatten und wirklich alles gegeben haben. Als Versager würde ich mich eher fühlen, wenn ich dieses Risiko nicht eingegangen wäre und nicht versucht hätte, meinen Traum zu leben.
Luke: Ganz genau. Wir wissen, wie viele umwerfende Bands es gibt, die es nicht schaffen. Es reicht nicht, dass die gute Songs hast. Es geht auch um Glück und Timing. Aber wenn ich mich jetzt für eine medizinische Laufbahn entschieden hätte, würde ich ewig bereuen, die Sache mit der Band nicht versucht zu haben, mit vollem Einsatz.
Bisher läuft es ja ganz gut. Ihr scheint Festivals ganz bewusst zu nutzen, um euch einen Namen zu machen und neue Fans zu gewinnen. Stimmt das?
David: Auf jeden Fall. Wir sind eine Festivalband. Eine unserer größten Stärken ist sicher unsere Liveshow, und wir arbeiten wirklich hart daran, die immer weiter zu verbessern und das Publikum einzubeziehen.
Conor: Ein Konzert ist solch eine irre Erfahrung. Ich liebe es, meine Lieblingsbands spielen zu sehen und dann nach Hause zu kommen in dem Bewusstsein, dass mich die Show wirklich weggeblasen hat. Das ist ein ganz wichtiger Moment, so baut man wirklich eine Verbindung zwischen Band und Publikum auf.
Luke: Es gab in den letzten 30, 40 Jahren so viele Bands, die aus vier Jungs mit Gitarren bestanden. Wir versuchen, da trotzdem etwas Neues beizusteuern und vor allem unsere Liveshow zu einem Spektakel zu machen, das mehr bietet als die meisten anderen Bands.
Übt ihr das, um die Show weiter zu perfektionieren?
David: Nicht wirklich. So etwas muss organisch wachsen, und wir sind da lieber spontan. Wie an dem Abend, als Luke plötzlich ins Publikum sprang und wir gemerkt haben, wie gut das ankommt. So etwas wiederholen wir dann, wenn wir in der richtigen Stimmung dafür sind.
Rob: Wir haben im Paradiso in Amsterdam gespielt, ein Saal mit 300 Holländern, die sich prächtig amüsiert haben. Ich habe kurz unseren Roadie angeschaut und dann wieder an die Stelle, wo Luke eigentlich stehen sollte. Aber er war einfach verschwunden. As hatten wir nicht geplant, aber es war großartig. Am Ende der Show waren 50 Fans mit uns auf der Bühne, das war ziemlich irre.
Conor: Wir versuchen, das nicht zu sehr zu planen. Wir haben schon Bands gesehen, die ihre Gitarren auf der Bühne kaputt gehauen haben, und es sah kein bisschen danach aus, als seien sie wütend. Es sah einfach nur so aus, als würden sie das jeden Abend machen, als Teil der Show. So etwas muss sich echt anfühlen. Letztlich geht es um die Energie: Wenn du Spaß hast, haben die Fans auch Spaß.
[Jetzt unterhalten wir uns ziemlich lange über Punk Rock Karaoke. Das bildet beim Pure & Crafted Festival an beiden Abenden den Abschluss auf der Club Stage und bedeutet: Jemand aus dem Publikum darf singen, begleitet von einer echten Liveband. Otherkin finden das Konzept großartig und outen sich auch sonst als Karaoke-Fans, was sie später am Abend auch beweisen: Ein paar Stunden nach ihrem Konzert gehen sie beim Punk Rock Karaoke noch einmal auf die Bühne und spielen Lust For Life von Iggy Pop.]
Ihr habt in diesem Sommer sehr viele Festivals gespielt. Was ist eure schrägste Erinnerung?
David: Als wir zum ersten Mal in England gespielt haben, war das gleich beim legendären Festival in Reading und Leeds. Ich habe am ersten Abend ein bisschen zu viel getrunken, und als wir dann tags darauf in Leeds spielen sollten, ging es mir wirklich nicht gut. Ich habe hinter der Bühne die ganze Zeit versucht, zu kotzen. Ich bin immer zwischen den Tourbussen von Mumford And Sons und Alt-J hin und her gelaufen und konnte mich nicht entscheiden, gegen welchen von beiden ich kotzen sollte. Am Ende habe ich mich dann für den kleinen Raum zwischen den beiden Bussen entschieden, und meine Kotze hat letztlich beide getroffen. (lacht)
Conor: Wir haben auch mal ein Festival irgendwo auf dem Land in Irland gespielt. Dort ist acht mal der Strom ausgefallen, für das ganze Gelände. Die ganze Technik dort zog ihren Strom aus einer einzigen Steckdose, das konnte nicht gut gehen. Einen Song haben wir dreimal angefangen, aber wir sind nie bis zum Schluss gekommen, ohne dass der Strom wieder weg war.
Luke: Das hat sich aber letztlich als gute Sache erwiesen. Vor dem ersten Stromausfall war es eine nette Show. Als dann alle im Dunkeln standen, haben die Fans die Zeit mit Singen überbrückt. Mit jedem weiteren Stromausfall wurde die Stimmung immer besser.
Wenn ihr euer eigenes Festival auf die Beine stellen könntet, selbst das Gelände gestalten und selbst die Bands buchen: Wie würde das aussehen?
Rob: Ich würde Joe Strummer wiederbeleben. Er wäre auf jeden Fall mein Headliner.
Luke: Bei unserem Otherkin-Festival hätten wir wahrscheinlich verschiedene Sektoren mit verschiedenen Themen. Zum Beispiel eine Zombie-Sektion, wo Zombie-Bands spielen, also nur tote Leute, die wieder zum Leben erweckt wurden.
David: Er spricht da nicht für die ganze Band! Luke ist der einzige von uns mit diesem Zombie-Fimmel. Etwas, worauf wir uns alle einigen könnten, ist wahrscheinlich Garage-Rock. Bands wie The Strokes und The Hives, das würde gut funktionieren.
Luke: Und der Headliner an jedem Abend wären wir mit einem DJ-Set. Und danach Karaoke!