Der Untersuchungsausschuss zur BND-Affäre muss und wird nach Ansicht von Reinhard Bütikofer kommen. Dem Bundesvorsitzenden der Grünen geht es dabei ums Prinzip – sowohl was die Einhaltung der Menschenrechte angeht als auch hinsichtlich der Rolle der Opposition im Bundestag. Im Gespräch zieht er außerdem nach sieben Jahren rot-grüner Regierung Bilanz, äußert sich zu Wachstumschancen für seine Partei und erklärt die Zusammenarbeit mit Claudia Roth.
Zu einem Untersuchungsausschuss über die Arbeit des BND werde sich die FDP, die sich heute in dieser Frage entscheiden will, „nach langem Zögern sicherlich durchringen. Das ist sie sich selbst und der deutschen Öffentlichkeit schuldig.“ Anderenfalls wäre dies „ein Scheitern an der Aufgabe der Opposition, die die Regierung kontrollieren muss. Da müsste man dann sagen: Die Oppositionsparteien, die es verhindert haben, sind ihrer Aufgabe nicht gewachsen.“
Bütikofer sieht trotz des Berichts des Parlamentarischen Kontrollgremiums „nach wie vor Aufklärungsbedarf. Das betrifft die Arbeit der Agenten in Bagdad, den Fall El Masri und die CIA-Flüge.“ Dass die Liberalen so lange zögerten, hat seiner Ansicht nach vor allem parteitaktische Gründe: „Herr Westerwelle hat so getan, als hätte er Gerhard Schröder und Joschka Fischer beim Kriegspielen erwischt.“ Dass sich die Grünen – ebenfalls nach einigem Hin und Her – zum Ja durchgerungen haben, begrüßt der Bundesvorsitzende: „Man muss einfach von einer grünen Partei erwarten, dass sie im Zweifel für die Aufklärung eintritt – selbst wenn dabei etwas rauskommt, das für uns schwierig ist.“
Das Gremium sei keineswegs bloß Selbstzweck, um das Funktionieren der Opposition zu demonstrieren: „Man macht keinen Untersuchungsausschuss nur um zu zeigen, dass man die anderen ärgern kann. Ich bin für den Ausschuss, weil er in der Sache gerechtfertigt und erzwungen ist.“
Dem 53-Jährigen geht es dabei „nicht nur um administrative Details, sondern um Grundzüge unseres Selbstverständnisses als demokratische Republik, die den Menschenrechten verpflichtet ist. Akzeptieren wir, dass im Kampf gegen den Terrorismus bestimmte menschenrechtliche Standards eingerissen werden? Das können wir nicht akzeptieren!“
Energisch klopft er dabei mit der rechten Faust auf den Tisch. Auch wenn er Sätze sagt wie „Es geht darum, dass die Verbraucher Rechte haben und die auch durchsetzen können“, merkt man ihm das Engagement an. Ansonsten ist Bütikofer angenehm aufgeräumt. Sogar eine Steilvorlage, um über den politischen Gegner herzuziehen, lässt er ungenutzt. Am Missmanagement beim Eindämmen der Vogelgrippe sei nicht CSU-Verbraucherschutzminister Horst Seehofer schuld. „So eine aktuelle Krise ist kein guter Anlass für parteipolitische Auseinandersetzungen. Die Behörden müssen jetzt besser zusammenarbeiten und die Konsequenzen ziehen aus den Fehlern, die passiert sind, um dann besser vorbereitet zu sein“, fordert er.
Mit Phrasen hält sich der 53-Jährige zurück. Vor jeder Formulierung überlegt er kurz. Nur einmal antwortet Reinhard Bütikofer wie aus der Pistole geschossen. Als es darum geht, ob die Grünen inzwischen in der Opposition angekommen sind, entgegnet er: „Ja klar, wo sonst? Regierung sind wir nicht mehr.“
Den Zeiten, als seine Partei noch den Vizekanzler und zwei weitere Minister stellte, trauert Bütikofer kaum nach. „Das rot-grüne Projekt liegt hinter uns“, stellt er klar. Die Bilanz gebe jedoch allen Grund, „selbstbewusst die neuen Aufgaben anzugehen“ und falle „aus grüner Sicht sehr erfolgreich“ aus. Viele Dinge, für die sich anfangs nur die Grünen einsetzt hätten, seien heute selbstverständlich, beispielsweise die Minderheitenrechte für Schwule und Lesben.
Die Energiepolitik sei dabei der „strahlendste Erfolg“. Mit dem Schwerpunkt auf erneuerbaren Energien habe man nicht nur Arbeitsplätze geschaffen, sondern auch „Akzente gesetzt bis nach China und Mexiko. Da kann man stolz drauf sein.“
Mit dem Einsatz für Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei habe man ebenfalls richtig gelegen. Zwar erfülle die Türkei noch längst nicht alle erforderlichen Kriterien. Doch gerade der Karikaturenstreit („Einige der Zeichnungen hatten eine hetzerische Botschaft und haben Islam mit Gewalt gleichgesetzt. Das ist Denunziation“) zeige, dass die Türkei nicht zu den Scharfmachern der islamischen Welt gehöre, sondern eine vermittelnde Rolle einnehmen könnte. „Es wäre doch unglaublich attraktiv, wenn man einen Weg demonstrieren könnte, der zeigt: Islam und Demokratie, Islam und Menschenrechte, Islam und Weltoffenheit, Islam und Moderne – das passt gut zusammen und muss nicht in einen Kampf der Kulturen enden. Die Türkei kann da vielleicht helfen, eine Brücke zu bauen“, hofft Bütikofer.
Auch der grüne Ansatz für die Sozial- und Arbeitsmarktreformen sei richtig gewesen. Die große Koalition stehe heute selbst wieder vor der Frage, wie man bessere Wettbewerbsfähigkeit mit größerer Gerechtigkeit verbinden kann.
Wenn die Grünen also so viele ihrer zentralen Anliegen erreicht haben, wenn selbst der schwarz-rote Koalitionsvertrag grün gefärbt ist, kann sich die Partei dann nicht zur Ruhe setzen, wie es ihre einstige Galionsfigur Joschka Fischer („Ich habe mir gewünscht, dass er mit uns weiter macht. Aber ich finde es auch positiv, wenn jemand die Fähigkeit hat, einen Strich zu ziehen und zu sagen: Ich kann mir auch ein anderes Leben vorstellen.“) für sich geplant hat?
Das sieht der studierte Historiker und Philosoph ganz anders. Er betrachtet die neue Linie als „eine große Chance, sowohl in linke Milieus auszugreifen als auch ins konservative Lager. Ich sehe für uns eine Wachstumschance in unserer Oppositionslage.“ Wie sieht der neue Kurs aus? Die Grünen sollten sich „profilieren als die Bildungspartei“. Statt Zentralismus brauche man Schulen, in denen Lehrer und Schüler selbstständig etwas entwickeln können.
„Wesentlich stärker als bisher“ wolle man auch „beim Thema Wirtschaftspolitik Zeichen setzen“. Gerade bei der Energieversorgung habe man gezeigt, „dass Umweltpolitik nicht der Gegensatz zur Wirtschaftspolitik ist. Beides greift ineinander“, sagt Bütikofer. Im Bereich Verbraucherpolitik wolle man weiter mit der Kompetenz und Beliebtheit von Renate Künast punkten, auch die Frage eines freieren Wettbewerbs zähle dazu: „Unternehmerisches Denken und grüne Orientierung – das geht zusammen.“
Die neuen Grünen auf dem Weg zum Neoliberalismus? So weit soll die Umorientierung dann doch nicht gehen. „Unsere Wähler erwarten, dass die Grünen in Fragen wie Integration, Fairness, Friedensorientierung, Atomausstieg und Bürgerrechte verlässlich bleiben“, weiß Bütikofer. Und weiterhin blieben sie „die Partei der vielen Köpfe, auch die Partei der Individualisten“.
Dass dieses Mehrdimensionale auch als Durcheinander erscheinen kann und schwerer zu vermitteln ist als eine starke Führungsperson, die allein in vorderster Front steht, nimmt Bütikofer in Kauf. Die Doppel-Parteispitze mit Claudia Roth funktioniere gut. Während Bütikofer vor allem für Wirtschaft, Soziales und Umwelt zuständig sei, betreue Roth Themen wie Innenpolitik, Einwanderung oder Bürgerrechte. Durch die Arbeitsteilung könne man mehr inhaltliche Orientierung mitgeben, die Partei profitiere davon: „Es gibt keinen Menschen, der über die ganze Bandbreite der aktuellen politischen Themen jeweils Tiefgang haben kann – auch keinen Parteivorsitzenden.“