Mit dem Konzert in Leipzig haben die Sportfreunde Stiller das Bergfest der aktuellen Tour gefeiert. Vor der Show habe ich Schlagzeuger Flo und Bassist Rüde zum Interview im Haus Auensee getroffen. Obwohl es nach Kanalisation roch, wir über die Glaubwürdigkeit von Rage Against The Machine diskutierten und uns kurz beim Thema Grabsteine verquatscht haben, wurde es ein sehr interessantes Gespräch. Über Texte, Krisen, Popel und offene Herzen. Und mit der Drohung: „Wenn du uns anpisst, kannst du auch eine Watsch’n kriegen von uns!“
Ich würde mit euch gerne ein bisschen über Texte sprechen. Ich bin mal so frech und behaupte, eure Texte würden kaum funktionieren, wenn man sie in einen Lyrikband druckt. Trotzdem scheinen sie mir der wichtigste Faktor zu sein für das, was die Sportfreunde Stiller ausmacht. Würdet ihr da zustimmen?
Flo: Ich glaube es gibt wenige Bands, deren Texte ohne Musik funktionieren würden. Das müsste wirklich schon eine sehr poetisch veranlagte Band sein.
Stimmt. Wie entstehen denn eure Texte? Im stillen Kämmerlein, bevor es überhaupt Musik dazu gibt? Oder spontan im Studio?
Flo: Es gibt Lieder, wo wir Textphrasen haben oder Textideen, die dann im Studio noch sehr spontan vollendet werden. Es ist nicht so, dass ein Text wie Unter unten zum Beispiel lange reift. Andererseits muss Spontaneität auch nicht bedeuten, dass ein Text zu platt ist. Bei Applaus, Applaus zum Beispiel war der Text einfach da, fast komplett. Und es ist einer, der bei den Leuten gut ankommt und immer wieder dafür sorgt, dass sie uns sagen: Ihr sprecht mir mit diesem Lied aus dem Herzen.
Und wie funktioniert beim Schreiben die Zusammenarbeit zwischen euch? Ihr tragt ja alle drei etwas als Autoren bei.
Flo: Wir haben die Regel aufgestellt, dass es verboten ist, nur ein musikalisches Gerüst anzubringen. Wir haben vor vielen Jahren gemerkt, dass sich im Proberaum schnell zwanzig musikalische Ideen anhäufen und man mit den Texten dann gar nicht mehr hinterherkommt. Wenn einer von uns also eine neue Idee anschleppt, dann muss er wenigstens schon einen Refrainansatz haben oder eine tolle Textzeile, um die man etwas aufbauen kann. Daran arbeiten wir dann gemeinsam weiter. Und wenn wir alle drei finden, dass es passt, dass es uns aus dem Herzen spricht, dann kann es veröffentlicht werden. Es gibt auch Momente, wo nur zwei Leute zufrieden sind, und dann müssen wir eben weiter nachforschen.
Rüde: Es gibt auch Lieder, da schreiben wir drei, vier, fünf Strophen und werfen dann immer wieder alles um. Wir wollen uns nicht mit einer Notlösung zufrieden geben.
Streitet ihr dann richtig, zofft ihr euch dann auch?
Flo: Klar. Wir wissen aber auch, dass wir da alle nur das Beste wollen. Es ist ein sehr fragiler Moment, sich da zu offenbaren und den anderen eine Idee vorzustellen, und darauf nehmen wir Rücksicht. Zoff gibt es bei uns eher über Fragen, was man im Bandgefüge tun sollte und was vielleicht lieber nicht. Solche Sachen wie: Spielen wir bei dieser Veranstaltung? Nehmen wir diese Promo-Einladung an?
Wie findet ihr die Themen für eure Lieder?
Flo: Das Leben ist da Antrieb genug für uns. Wir sind alle gesetzte Typen. Wenn wir über Kriminalität auf der Straße singen würden, wäre das hölzern und aufgesetzt. Wir schreiben auf, was uns bewegt. Uns geht es gut, und deshalb ist es in unseren Texten so, dass wir bemüht sind, einen Lösungsansatz zu finden. Das passt besser zu uns als „Alles ist scheiße.“ Meistens kommt bei den kritischen Texten, die man im Indie-Bereich so kennt, dann ja auch nur der erhobene Zeigefinger. Das ist nicht unser Ding.
Und klingt auf Deutsch vielleicht noch ein bisschen mehr nach Selbstmitleid…
Flo: Gerade, weil wir auf Deutsch singen, sind die Texte so wichtig. Ich ertappe mich dabei, wie ich englische Lieder total stark finde und dann auf den Text achte und denke: Das kann doch nicht ernst gemeint sein! Für uns ist wichtig, dass man uns versteht. Wir können uns zwar auf Englisch ausdrücken, aber nicht in der Form, dass wir da etwas Emotionales aufbauen können.
Rüde: Wenn man auf Deutsch singt, ist es einfach so: Wenn der Text scheiße ist, kann die Melodie so toll sein, wie sie will – das funktioniert dann einfach nicht. Ist der Text scheiße, ist das Lied scheiße. Und wenn ein Lied mit einem Verlegenheitstext auf einem Album ist, dann wirft das sofort ein seltsames Licht auf die ganze Platte. Das ist so, als hättest du einen Popel im Gesicht hängen: Du kannst so schön sein, wie du willst, aber das ruiniert alles.
Flo: Man kann dabei natürlich immer nur für sich selbst entscheiden, ob das ein Popel ist oder nicht. Es gibt bestimmt einige Kritiker, die bei uns meinen, wir seien ein einziger Popel.
Was ist die beste Zeile, die ihr je geschrieben habt?
(beide überlegen lange)
Rüde: Ich finde zum Beispiel, wenn es um Beziehungsthemen geht, ist „Ich wollte dir nur mal eben sagen, dass du das Größte für mich bist / und sicher gehen, ob du denn dasselbe für mich fühlst“ eine wunderbare Zeile, voller Strahlen und Liebe und offenen Armen und offenem Herzen. Aber ich finde natürlich „54, 74, 90, 2006“ auch ganz schön stark. (lacht)
Über Liebe kann man immer singen, und über Fußball vielleicht auch. Aber wird das schwieriger für euch? Wenn man um die 40 ist, macht man ja womöglich nicht mehr so viele neue Erfahrungen, die man begeisternd und inspirierend findet. Und es gibt nach mittlerweile sechs Alben einfach auch etliche Themen, über die ihr schon geschrieben habt.
Flo: Es fällt schwerer, ja. Vielleicht wäre es einfacher, wenn man persönlicher werden würde und weggeht von der Ebene, auf der man vielen Leuten aus dem Herzen sprechen will, sondern einfach mal beschreibt, wie eine Radelfahrt in die nächste Stadt ist. Aber ich weiß nicht, ob das interessant wäre.
Ich bezweifle es.
Flo: Viele Texter haben dieses Problem. Es gibt zum Beispiel eine Band namens Thursday, und deren Sänger [Geoff Rickly, die Band hat sich im November 2012 aufgelöst] ist daran zerbrochen. Auch bei uns war das schwierig, deshalb hatten wir auch diese lange Pause. Der Grund war ja nicht, dass ich gesagt hätte: Ich kann den Rüde nicht mehr sehen! Sondern wir wollten einfach erstmal wieder was erleben, um Themen zu haben.
Rüde: Ich glaube, das ist auch nicht nur eine Frage des Alters, sondern auch eine der geistigen Flexibilität. Man muss kapieren, dass man einen neuen Blickwinkel auf den eigenen Blickwinkel braucht, sozusagen. Jede Band hat irgendwo ihre Themen. Der Eine ist ein Revoluzzer und singt über politisch radikale Theorien, die ihm aber vielleicht einfallen, wenn er in seinem Eigenheim bei Frau und Kindern sitzt oder mit seinem Touareg durch die Gegend cruist. Der Andere hat den Fokus auf Beziehungen oder sonst was. Und jeder Künstler steht dann irgendwann vor der Frage: Wie kriege ich es eigentlich auf die Reihe, die Themen zu meinem neuen Leben zu finden? Wie entwickle ich mich? Wie erfinde ich mich neu? Es gibt nicht so viele Künstler, die da in ihren Texten die Kurve kriegen. Viele Bands lösen sich dann auf, oder sie akzeptieren, dass sie ihr Lebensthema haben und gehen dem Thema halt nach. Die Toten Hosen zum Beispiel, die singen immer noch über „Ich gegen die Gesellschaft“, und das ist ein total authentisches Gefühl. Bei uns ist es die Gratwanderung zwischen dem offenen Herzen anderen Menschen gegenüber, dem Bedürfnis, in irgendeiner Form cool, klar, ehrlich und aufrichtig miteinander zu sein, und auf der anderen Seite dem Bedürfnis, aus dem immer wieder auszubrechen und einfach Scheiße zu bauen.
Ist es dieser besondere Blickwinkel, der euch hilft, nach außen mit einer Stimme zu sprechen und innerhalb der Band mit Konflikten klarzukommen?
Flo: Bei uns hilft da zunächst einmal sehr, dass wir wirklich Freunde sind. Wir sind gewillt, respektvoll miteinander und mit den Leuten um uns herum umzugehen. Wir wollen auch, dass man mit uns respektvoll umgeht. Wenn du uns anpisst, kannst du auch eine Watsch’n kriegen von uns, so ist das nicht. Aber wir wollen ein gesundes Leben haben und alle zusammen am gleichen Strang ziehen.
Rüde: Dieser Blickwinkel hilft auf jeden Fall auch, innerhalb der Band zur Ruhe zu kommen. Wir haben uns früher viele Gedanken über überhöhte Kategorien gemacht wie „Was ist korrekt, was ist nicht korrekt?“ „Was darf man?“ „Müssen wir uns jetzt verändern?“ Irgendwann habe ich das Gefühl gehabt, man kann das alles ein bisschen tiefer hängen. Man muss nicht total gegeneinander fahren und man muss auch nicht ständig die Absicht bekunden, dass das nächste Album total anders klingen muss.
Flo: Meistens klappt das ja auch nicht. Es gibt wenige Bands, die so eine komplette Kehrtwende hinbekommen. Aber jeder schreit danach, komischerweise. Wir haben gesagt: Wenn wir am gleichen Strang ziehen, dann ist das für uns völlig okay. Und wenn wir sagen: Das ist das Album, das wir so veröffentlichen wollen, dann haben wir etwas gut gemacht. Erst recht, wenn die Fans das dann auch so sehen und bei den Konzerten eine schöne Zeit haben.
Seht ihr die Gefahr, dass die Sportfreunde Stiller irgendwann einmal zu Ende erzählt sind?
Flo: Vor unserer Pause hatte ich nicht das Gefühl, dass wir am Ende sind, aber zumindest das ganz starke Bedürfnis, irgendwo anders hin zu forschen und auch die Band einmal im Hintergrund zu lassen. Ich habe mich nicht gefragt, ob es das noch Wert ist, aber ich habe mich schon gefragt, wann und wie es weitergeht und wie wir Orientierung finden können. Ich habe aber nie den Gedanken zugelassen, dass es nicht mehr weitergehen könnte.
Rüde: Ich habe das schon gehabt.
Flo: Aufgrund von Ideenlosigkeit? Von kreativer Leere?
Rüde: Nein, eher so aus zwischenmenschlichen Gründen. Mei, du hast halt mal einen Hänger. Du musst halt akzeptieren, dass du mal in einem Loch drin sitzt, wo du überhaupt keine Antworten hast. Das ist in jedem Leben so, das ist auch in einer Band so. Im Nachhinein ist es schön, dass wir diese Phase durchstehen konnten. Es vertieft das Bewusstsein und die Wertschätzung für das, was man hat. Weil es etwas ist, das nicht durch Erfolg oder Kohle zusammengehalten wird, sondern weil es einem wirklich wichtig ist, weil man merkt, dass man auf einer fast schon brüderlichen Ebene auch einen Hänger durchstehen kann. Und dann steht man nach 17 Jahren wieder auf der Bühne und merkt: Wir kriegen so viel von den Menschen zurück, und die Menschen werden von uns inspiriert! Ich feiere das ganz oft, dass ich in einem Leben stehe, in dem ich etwas bewege, Menschen zueinander bringe.
Das klingt sehr reflektiert. Hat man solche Gedanken wirklich mitten im Konzert?
Rüde: Ja, oft. Es gibt auf der Bühne aber auch die anderen Momente, in denen ich denke: Wow, ist das scheiße!
Wie hat sich denn das Sportfreunde-Publikum entwickelt? Sind das dieselben Fans wie vor 17 Jahren?
Flo: Das Tolle ist, dass wir mittlerweile fast drei Generationen bei unseren Konzerten haben. Es kommen heute viele Kinder, es kommen die Leute, die von Anfang an mit uns mitgegangen sind, und dann gibt es die Fraktion, die uns über die Fußballzeit kennen gelernt hat. Damals gab es durchaus auch Querelen mit den alten Fans, aber mit dem Unplugged-Album haben wir die dann miteinander versöhnt. Mit dem neuen Album wird wieder auf die Kacke gehauen. Allerdings sind die Bewegungen im Publikum nicht mehr so wie früher. Es machen nicht mehr alle ein Moshpit und auch Crowdsurfer gibt es nur noch ganz vereinzelt.
Ihr habt im Prinzip euer ganzes erwachsenes Leben als Mitglieder dieser Band verbracht. Kann man sich da überhaupt noch vorstellen, etwas ganz anderes zu machen? Dass man irgendwann auch diese Energie von einem Konzert vielleicht nicht mehr erleben wird?
Flo: Es ist uns jedenfalls bewusst, dass wir hart dafür arbeiten müssen, dass es so bleibt. Wenn uns nichts mehr einfällt und wir trotzdem ein Album machen, auch wenn schlechte Lieder drauf sind, dann bist du ganz schnell weg vom Fenster. Und dann wären wir vielleicht in so einer Situation. Aber wenn man sich über so ein „Was wäre wenn“ Gedanken macht, ist man schon auf dem falschen Weg, denke ich.
Rüde: Aber ich kenne diese Gedanken durchaus. Bis ich 28, 30 war, habe ich mich immer gefragt: Was machst du eigentlich nach der Musik? Ich kenne das ja, dass es Bands normalerweise nur für drei, vier Platten gibt. Der Zug, mit Peter und Flo loszuziehen, war dann doch stärker als diese Angst. Und ich habe dann gelernt, damit klar zu kommen. Wenn du als Künstler in dein Leben gehst, musst du erst einmal die Beziehungsangst zu deinem Beruf überwinden.
Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft: Schreibt ihr schon an neuen Liedern? Wie geht es weiter?
Flo: Ich finde es erstaunlich, wenn Bands auf Tour schon an neuem Material arbeiten können. Bei uns ist das eigentlich nie vorgekommen. Bei uns heißt es immer: Schreiben, aufnehmen, Platte rausbringen, auf Tour gehen, und erst dann beginnt der Prozess wieder von vorne. Wir spielen jetzt die Tour zu Ende bis Mitte Dezember, dann geht es in die Schweiz. Im April steht eine Arena-Tour an, im Sommer gibt es ein paar Festivals. Im Herbst will ich wieder neue Lieder schreiben. So lange wie der Mick Jagger will ich das auf jeden Fall machen!
Das ist eine Messlatte! Immerhin: Mick Jagger macht zumindest den Eindruck, dass er noch Spaß an der Sache hat.
Flo: Stimmt, das ist das Wichtigste: Dass man sich nicht peinlich fühlt und Spaß daran hat.
Rüde: Wobei – manchmal fühle ich mich peinlich und habe trotzdem Spaß.
Schön, wenn eine Band den Schlüssel zu ihrem Verständnis im Interview mitliefert: „Wenn der Text scheiße ist, kann die Melodie so toll sein, wie sie will – das funktioniert dann einfach nicht. Ist der Text scheiße, ist das Lied scheiße.“