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The Subways sind Stammgäste bei deutschen Festivals. Beim Highfield 2015 habe ich Billy Lunn, Charlotte Cooper und Josh Morgan nach ihrer Show getroffen und sie gefragt, warum sie vor allem bei deutschen Festivals so gut ankommen. Daraus wurde ein sehr nettes Gespräch über Kontrollverlust, Super-Produzenten, die 10-Jahres-Bilanz der Band und sexistische Fans. Und, Überraschung, über Literaturtheorie.
Euer Debütalbum feiert in diesem Jahr sein 10. Jubiläum. Wenn ihr auf diese Zeitspanne zurückblickt: Was ist das größte Verdienst der Subways?
Billy Lunn: Unsere größte Leistung ist wahrscheinlich, dass wir nach zehn Jahren immer noch existieren (lacht). Das klingt wie eine sehr schmierige Antwort. Aber wir sind wirklich sehr dankbar dafür, dass wir jeden Morgen aufwachen und die Sache tun können, die wir am meisten lieben. Ich finde es unglaublich, dass wir vier Alben geschafft haben. Von mir aus können es gerne noch 8, 16 oder 32 werden! (lacht)
Ihr hattet also nicht damit gerechnet, dass die Band so lange existieren wird, als ihr die Subways gegründet habt?
Charlotte Cooper: So langfristig denkt man da nicht. Wir waren ja noch Teenager, als wir angefangen haben. Wenn ich sehe, wie viele Sachen wir gemacht und wie viele Orte wir kennen gelernt haben – damit hätten wir nie gerechnet. Das fühlt sich auch heute immer noch unglaublich an.
Gab es in diesen zehn Jahren auch einen Punkt, an dem The Subways vor dem Aus standen?
Lunn: Ja. Die Zeit um das zweite Album herum war wirklich schwierig. Charlotte und ich hatten Schluss gemacht. Und ich musste meine Stimmbänder operieren lassen. Der Arzt hat mich damals gewarnt: Wenn der Heilungsprozess nicht optimal verläuft, werde ich nie wieder singen können. Das war eine beunruhigende Phase, in der wir auch mal den Gedanken hatten: Wow, das alles könnte von heute auf morgen vorbei sein. Aber das war es dann nicht. Wir sind ins Studio gegangen, haben sehr hart gearbeitet und erkannt, dass diese Band das absolute Wichtigste für uns ist. Wir haben beschlossen, alles dafür zu tun, um sie am Leben zu erhalten und weiter Musik machen zu können – für uns selbst, aber auch für unsere Fans. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie es wäre, morgens aufzuwachen, ohne dass ich weiß, dass da abends ein paar Leute sein werden, für die ich spielen kann.
Welche Phase eurer Karriere war im Rückblick am schönsten? Gibt es einen Moment, in dem ihr gerne die Zeit angehalten hättet?
Lunn: Als wir mit Young For Eternity zum ersten Mal nach Deutschland kamen, das war etwas ganz Besonderes.
Cooper: Ja. Wir hatten bei Festivals wie dem Highfield oder dem Open Flair schnell ein ziemlich großes Publikum. Das war der Moment, in dem wir erkannt haben: Wow, wir haben hier wirklich etwas losgetreten. Und wir haben in Deutschland sehr treue Fans. Auch wenn sie uns schon zehn Mal gesehen haben, fiebern sie trotzdem jedem Auftritt entgegen. Das fühlt sich immer noch sehr besonders an.
Was meint ihr: Warum funktionieren die Subways auf Festivals so gut?
Cooper: Es liegt wohl daran, dass wir aus unseren Shows einfach eine riesige Party machen. Wir wollen selber so viel Spaß wie möglich haben und wir wollen, dass alle durchdrehen. Und darum geht es ja bei Festivals. So bin ich auch selber, wenn ich auf einem Festival bin: Ich will völlig die Kontrolle verlieren und einfach abgehen. Und das scheint zu funktionieren.
Nutzt ihr die Gelegenheit, andere Bands zu sehen, wenn ihr bei Festivals spielt?
Lunn: Auf jeden Fall, wir sind extrem dankbar für diese Möglichkeit. Wir sind ja viel auf Tour und haben dann kaum Gelegenheit, andere Bands zu sehen. Bei Festivals heißt es dann meist: Ich will diese Band sehen! Und diese auch! Und diese! Wie Charlotte schon gesagt hat: Bei Festivals geht es ein ganzes Wochenende lang darum, Spaß zu haben, Musik zu hören und mit Leuten abzuhängen. Es ist ein Mikrokosmos des Lebens. Wir haben Festivals schon geliebt, als wir noch gar nicht in einer Band gespielt haben. Die Möglichkeit, all diese Götter auf der Bühne zu sehen, ganz aus der Nähe, ganz viele nacheinander. Das hat mich damals umgehauen. Und dieses Festival-Gefühl haben wir noch heute.
Mischt ihr euch unters Publikum, wenn ihr andere Bands anschaut? Oder steht ihr lieber mit den anderen Künstlern am Rand der Bühne?
Cooper: Ich bin immer im Publikum, so weit vorne wie möglich. Das ist für mich der einzig wahre Weg, um eine Show anzuschauen. Am Rand der Bühne stehe ich nur, wenn wir nicht genug Zeit haben und ich weiß, dass ich in zehn Minuten wieder in unserer Garderobe sein muss.
Wenn du in der ersten Reihe stehst, wirst du doch bestimmt ständig erkannt.
Cooper: Nein.
Ach, komm.
Cooper: Wirklich, das passiert fast nie.
Lunn: Das ist einer der großen Vorteile bei den Subways: Die Leute kommen zu unseren Konzerten, drehen durch, singen mit, crowdsurfen, freuen sich. Und sobald wir von der Bühne gehen, interessiert sich keiner mehr für uns. Das ist irre. Josh kann mit seiner Tochter und seiner Freundin ausgehen, ich mit meiner Frau und Charlotte mit ihrem Ehemann, und niemand bemerkt uns. Da können wir uns wirklich glücklich schätzen. Es zeigt auch: Wir sind eigentlich noch drei einfache Kids aus Hertfordshire, die das Glück hatten, jetzt schon zehn Jahre lang ihre Pop-Rock-Songs spielen zu dürfen. Und wie diese normalen Kids fühlen wir uns abseits der Bühne auch.
Gibt es auch ein paar Dinge aus den letzten zehn Jahren, die ihr gerne ungeschehen machen würdet?
Cooper: Ich fahre da so ein Hippie-Ding: Bereue nichts! Natürlich gibt es ein paar Sachen, auf die ich nicht so stolz bin, aber das heißt nicht, dass ich sie zwangsläufig auch bereuen muss. Auch irgendein Quatsch, denn wir vor fünf Jahren gemacht haben, hat vielleicht dazu beigetragen, dass wir heute hier sind.
Lunn: Mir geht es da ganz anders: Ich habe tonnenweise Dinge, die ich bereue! (lacht) Aber Charlotte hat natürlich recht: Uns geht es fantastisch, es ist unglaublich, was wir erreicht haben.
Josh Morgan: Ich bin sowieso perfekt. Ich habe nichts zu bereuen. (lacht)
Lunn: Josh ist ein Gott! (lacht)
2015 ist auch deshalb besonders, weil ihr euer viertes Album veröffentlicht habt. Bei den ersten drei Platten habt ihr mit sehr prominenten Produzenten zusammengearbeitet, Ian Broudie, Butch Vig und Stephen Street. Diesmal habt ihr selbst produziert – was konntet ihr euch von den renommierten Super-Produzenten abschauen?
Lunn: Bei Ian Broudie ging es darum, auch Fehler zuzulassen. Sich nicht zu sehr in Details zu verlieren. Wenn ich noch mal auf deine Frage mit den Dingen, die wir bereuen, zurückkommen darf: Beim ersten Album habe ich Charlotte und Josh mit meinem Perfektionismus wirklich in den Wahnsinn getrieben. Als wir das zweite Album gemacht haben, hatte ich dann meine Lektion gelernt: Man darf sich auch entspannen und die Musik einfach passieren lassen. Das macht die Freude am Musizieren aus, und auch die Fehler gehören zu deinem Charakter und zum Charakter deiner Musik.
Wie war die Arbeit mit Butch Vig bei All Or Nothing?
Lunn: Alles war sehr genau geplant. Er hatte eine riesige Tabelle für alles, und wenn wir irgendetwas im Kasten hatten, wurde es darauf abgehakt. Gitarren für All Or Nothing? Abgehakt. Gitarren für Girls And Boys? Abgehakt. Das war sehr methodisch und ich habe gelernt, dass man bei der Arbeit im Studio eben auch gut organisiert sein muss.
Und Stephen Street?
Lunn: Ihm ging es vor allem darum, dass wir uns im Studio wohlfühlen. Das war vorher immer ein Problem. Unser natürliches Umfeld ist die Bühne, wir lieben das Verrückte in einem Konzert, den Schweiß. Im Studio ist alles viel technischer und reglementierter, und er hat versucht, uns die Abneigung dagegen zu nehmen.
Ins Studio zu gehen sollte sich nicht mehr anfühlen, als müsse man zur Arbeit.
Lunn: Ganz genau. Wir haben mit ihm zwar tatsächlich jeden Tag von 9 bis 17 Uhr gearbeitet, wie bei einem Bürojob. Aber wenn er morgens reinkam, haben wir immer erst ein bisschen geplaudert. Er hat von einem Film erzählt, den er gerade gesehen hat, oder von einem Buch, das er liest. Und wir haben viel über Fußball gesprochen. Stephen ist ja ein großer Fan der Queens Park Rangers, Josh und ich sind Arsenal-Fans und Charlotte hält zu Sheffield Wednesday. Da hatten wir immer genug Themen. Und das hat uns entspannt. Von jedem dieser Produzenten konnten wir etwas lernen, und ich habe versucht, das für unser neues Album zu berücksichtigen.
Ich muss noch ein Thema ansprechen, das mir auch gerade bei eurer Show wieder aufgefallen ist: Im ganzen Programm des Highfield finden sich nur vier Frauen auf der Bühne. Charlotte ist eine davon und muss sich immer noch manchmal sexistische Sprüche aus dem Publikum anhören. Wie geht ihr damit um?
Lunn: Das Wichtigste für uns ist, dass wir uns davon nicht die Show kaputtmachen lassen. Meistens versuchen wir deshalb, die Leute, die „Ausziehen!“ rufen, lächerlich zu machen. Humor ist immer das erste Mittel der Wahl. „Schaut mal her, wir haben einen Idioten hier. Klatscht mal alle für ihn!“ Oft versuche ich auch, sexuelle Aggressionen, die auf Charlotte abzielen, auf mich umzuleiten: „Hey, da will mich jemand oben ohne sehen!“ Wir haben in den vergangenen zehn Jahren gelernt, dass uns das nicht allzu wütend machen sollte. Auf die Leute wütend zu sein, bringt gar nichts. Ein bisschen Spott funktioniert viel besser.
Das klingt wie eine clevere Methode. Aber es gibt bestimmt auch Momente, in denen man sich trotzdem provoziert und verletzt fühlt, oder?
Cooper: Als ich noch jünger war, hat mich das wirklich sehr gestört. Heute finde ich etwas anderes schlimmer: den Druck, der auf Frauen in Bands lastet. Du musst umwerfend aussehen, super schlau sein und eine virtuose Musikerin. Niemand verlangt all das von Männern! Ich soll so etwas wie eine starke, unabhängige Vorzeigefrau sein. Aber das bin ich nicht. Ich bin bloß ein Mädchen. Andererseits inspiriert mich dieser Druck auch. Ich weiß, dass ich nicht damit durchkomme, wenn ich schlecht spiele. Das treibt mich an.
Lunn: Genau da liegt das Problem. Der Druck lastet auf den Frauen, stattdessen sollte er auf uns Männern lasten. Es geht im Feminismus größtenteils darum, dass Männer sich auch mal zurücknehmen und die Schnauze halten. Ich betrachte mich als Feminist und ich sage gerne meine Meinung. Aber wenn ich eine Frau kennenlerne, die meine feministischen Ansichten nicht teilt, dann versuche ich nicht, sie zu überzeugen, sondern sollte gefälligst die Klappe halten. Sonst bin ich wieder bloß ein Mann, der einer Frau sagt, was sie zu tun hat. Und davon gibt es schon mehr als genug.
Ist das Musikgeschäft besonders chauvinistisch?
Lunn: Auf jeden Fall sind alle gefragt, um den Druck von Frauen zu nehmen. Die Festival-Veranstalter. Die Radiosender, die mehr Frauenbands spielen könnten. Die Musikzeitschriften. Wir spielen mit so vielen großartigen Musikerinnen, und keine von ihnen bekommt irgendeine Art von medialer Aufmerksamkeit. Wenn ich mich bei Musikzeitschriften darüber beschwere, sagen sie mir: „Wenn wir gezielt mehr über Frauen berichten, wäre das ja positive Diskriminierung!“ Ja, aber immerhin positive! Ich vergleiche das gerne mit der Entwicklung in der Literaturgeschichte. Heute schauen wir gezielt auf die Leistungen von Autorinnen aus der Vergangenheit und nehmen sie in den Kanon auf, weil ihre Werke so lange ignoriert wurden. In der Musik muss das auch passieren. Blondie, Bikini Kill, Hole, The Runaways – das sind alles vergessene Rockstars, die Riesiges geleistet haben. Chrissie Hynde! Sie ist einer der größten Rockstars aller Zeiten. Aber ist sie jemals dabei, wenn Kerrang! oder NME eine Liste mit den „30 größten Rockstars aller Zeiten“ veröffentlichen? Nein. Da sind überhaupt keine Frauen dabei. Das ist absolute Scheiße. Wir müssen es schaffen, dass Frauen eine Stimme haben, dass die Frauen im Publikum sich auch auf der Bühne repräsentiert fühlen, dass sie inspiriert werden, es selbst auf die Bühne zu schaffen. Wenn Mädchen sehen, wie Charlotte am Bass loslegt und dabei alles in den Schatten stellt, dann gründen sie selbst eine Band. Das muss viel öfter passieren.