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In Hamburg hatte ich ihn noch verpasst. Ich hatte zwar das wunderbare Konzert von The Wooden Sky in der Prinzenbar gesehen, aber irgendwie nicht mitbekommen, dass auch noch ein Interview angedacht war. Glücklicherweise spielt die Band aus Kanada zwei Tage später in Leipzig, wo ich Sänger Gavin Gardiner diesmal erwische. Während er sein Abendessen genießt, befrage ich ihn zu den Plänen fürs nächste Album, zu seinen Erwartungen für die Show im Terror-gebeutelten Paris und zur Herausforderung, sich in einem so konservativen und uralten Genre wie Folkrock irgendwie von der Konkurrenz abzuheben.
Vor euren Konzerten in Deutschland wart ihr eine Weile in Tokio. Ihr habt eine knappe Woche dort verbracht und ein paar Konzerte gespielt. Wie war es?
Gavin Gardiner: Es war wundervoll. Normalerweise haben wir auf Tour kaum Gelegenheit, etwas von den Städten zu sehen. Diesmal sind wir angekommen, haben den Geburtstag unseres Gitarristen gefeiert und hatten dann noch zwei komplette Tage Zeit, bevor das erste Konzert anstand. Wir wohnten in einer wirklich netten Gegend und haben die ganze Touri-Nummer durchgezogen. Am dritten Tag durften wir dann in der kanadischen Botschaft spielen, ein kleines Akustik-Set in einem sehr edlen Ambiente. Danach haben wir noch ene Rock-Show in einem großen Club gespielt.
Mir erscheint das viel sinnvoller: Statt jeden Abend ein Konzert in einer anderen Stadt zu spielen, bleibt man ein bisschen länger am selben Ort und spielt eine Handvoll Konzerte dort. Warum machen Bands das nicht viel öfter?
Gardiner: In den meisten Städten ist dafür das Publikum einfach nicht groß genug. In Tokio leben so viele Menschen wie in ganz Kanada. Auch in New York funktioniert das, wo du eine Show in Brooklyn und eine in Manhattan spielen kannst. Oder in London, einmal in diesem Stadtteil und am nächsten Tag in einem anderen. Aber davon abgesehen dürfte das kaum funktionieren.
Nach euren Europa-Konzerten geht es für The Wooden Sky zurück nach Kanada, wo sofort eure jährliche Holiday Revue ansteht. So ein Event zu organisieren, während man nicht vor Ort ist, stelle ich mir ziemlich schwierig vor. Die Revue ist ja mittlerweile eine ziemlich große Sache geworden.
Gardiner: Stimmt. In diesem Jahr machen wir zwei Veranstaltungen in Ottawa und eine in Toronto. Die Revue in Toronto organisieren wir komplett selbst. Das ist allerdings nicht mehr allzu schwierig, weil wir schon ziemlich viel Erfahrung darin haben. Ich kümmere mich um die Versicherung, jemand anders kümmert sich um die Buden, unsere Freundinnen helfen an der Bar und ein paar andere Freunde organisieren einen Markt mit Kunsthandwerk aus der Region. Das ist das Besondere daran, es ist wirklich eine sehr familiäre Angelegenheit. Und die Arbeit ist wirklich erfüllend. Wir haben diese Veranstaltung jetzt so gut etabliert, dass sie schon im Vorfeld ausverkauft ist, und wir spenden alle Erlöse. Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, das Ganze im nächsten Jahr noch etwas größer aufzuziehen.
Geht es euch dabei darum, der Community, in der ihr verwurzelt seid, etwas zurückzugeben?
Gardiner: Genau. Wir machen das jetzt schon zum sechsten Mal, bisher sind mehr als 10.000 Dollar zusammengekommen, die wir für die Tafel gespendet haben. Dieses Jahr gehen alle Einnahmen an Romero House, eine Einrichtung, die Flüchtlingsfamilien hilft.
Die aktuelle Tour habt ihr Swimming In Strange Waters genannt. Was waren denn – im wörtlichen oder übertragenen Sinne – die seltsamsten Gewässer, in denen ihr auf der Tour geschwommen seid?
Gardiner: Wir haben ein paar Shows an der US-Westküste gespielt, und darunter war ein Konzert in einem Ort namens Coffee Creek, vielleicht fünf, sechs Stunden nördlich von San Francisco. Wir mussten eine irre Strecke dorthin fahren, hoch auf einen Berg und so steil, dass wir auf dem Rückweg mehrmals angehalten haben, damit die Bremsen abkühlen konnten. Wir haben da im Hinterhof einer Pizzeria gespielt, das hat sich sehr ungewöhnlich und zugleich wunderschön angefühlt. Ich mag es, dass die Musik uns an solch besondere Orte führt. Wir haben sogar einmal eine Tour gespielt nur mit Stationen, die keine offiziellen Konzert-Locations sind. Wir sind in Hinterhöfen aufgetreten, bei Leuten zuhause, in Parks, in einem Kanu. Das hat großen Spaß gemacht und mich außerdem auf den Geschmack gebracht, was das Gemeinschaftsgefühl angeht, das man mit Musik hervorrufen kann. Diesem Gefühl haben wir uns seitdem verschrieben.
Normalerweise besteht das Leben auf Tour ja aus Routine und oft auch aus Auftritten in hässlichen Mehrzweckhallen. Da ist es sicher eine willkommene Abwechslung, wenn man mal in einer wirklich schönen Location spielen darf.
Gardiner: Ganz klar. Auf Tour zu sein, ist für uns zwar nie langweilig, weil es schließlich das ist, was wir lieben. Aber natürlich können besondere Orte besonders inspirierend sein. Wie der Laden, in dem wir in Hamburg gespielt haben: Das war wunderschön, da lag etwas Besonderes in der Luft.
Ihr seid ziemlich viel auf Tour, wenn man bedenkt, dass sich The Wooden Sky nach dem letzten Album beinahe aufgelöst hätten.
Gardiner: Ich weiß nicht, ob man das so bezeichnen sollte. Wir hatten mit dem dritten Album verdammt viele Konzerte gespielt und hatten einen Punkt erreicht, an dem einige Bandmitglieder sich entschlossen haben, das nicht mehr mitzumachen. Ich denke, das war im Nachhinein hilfreich für uns. Wir achten jetzt sehr genau darauf, dass es eine gute Balance zwischen privater Zeit zuhause und Zeit auf Tour gibt, die nun einmal 24 Stunden harte Arbeit bedeutet.
Was genau hat euch denn ins Zweifeln gebracht, ob ihr noch The Wooden Sky sein wollt? Künstlerische Meinungsverschiedenheiten? Der Stress auf Tour? Mangelnder Erfolg?
Gardiner: Unser Bassist hat die Band verlassen, und er war ein sehr wichtiger Teil von uns. Ehrlich gesagt, war das eine gute Entscheidung, für ihn und für uns. Man hat gemerkt, wie er langsam ausbrannte, und es macht keinen großen Spaß, einen Freund bei so einem Prozess zu beobachten. Jetzt geht es ihm viel besser. Und uns hat es dazu gebracht, einen Schritt zurückzutreten, die Band zu betrachten und uns zu fragen: Haben wir noch genügend Energie für dieses Projekt? Die Antwort war, dass wir entweder alles hineinstecken oder es bleiben lassen wollten.
Ihr versucht nun also, alles hineinzustecken, und trotzdem darauf zu achten, dass genug Zeit für Erholung bleibt?
Gardiner: Ja. Nach dieser Tour werden wir alle nach Hause gehen und ein bisschen faulenzen, einfach rumhängen und vielleicht ein paar Songs schreiben. Ende Januar wollen wir dann mit der Arbeit für eine neue Platte anfangen. Erst werden wir alle nach Mexiko zur Hochzeit unseres ehemaligen Bassisten fahren und danach beginnen wir mit dem neuen Album.
Ein paar neue Stücke spielt ihr schon in euren Konzerten, wie Dead Horse Creek, das ich in Hamburg gehört habe.
Gardiner: Ja, wir haben ein paar neue Lieder. Im Januar hatten wir uns alle irgendwo in der Pampa in Quebec eingeschlossen und Songs geschrieben. Wir haben zehn oder elf Demos fertig. Ich denke, wir müssen diese Demos sehr vorsichtig behandeln, wenn wir später ins Studio gehen, denn sie haben eine ganz besondere Energie und Magie.
Inwieweit wird sich das nächste Album von Let’s Be Ready unterscheiden?
Gardiner: Es wird sehr anders werden, glaube ich. Zumindest, wenn man die Songs als Maßstab nimmt, die wir bisher geschrieben haben. Ich weiß aber nicht genau, wie ich den Sound beschreiben soll. Ich habe die Lieder kürzlich einem Freund von mir vorgespielt, der auch Musiker ist, und er meinte, sie hätten etwas von Todesballaden. Nicht direkt Blues, aber etwas in der Art von Leadbelly und Robert Johnson und Leuten aus dieser Ära. Andere Sachen klingen eher nach Krautrock, wie NEU! oder Kraftwerk – aber mit mehr Gitarren.
Schwebt dir schon ein bestimmter Produzent vor?
Gardiner: Wir werden selbst produzieren. Ich habe ein Studio in meinem Haus, wo wir schon viele Demos aufgenommen haben, die sehr gut klingen. Ich habe auch schon andere Bands produziert, außerdem schaffe ich ständig neues Equipment an. Wir könnten also 20.000 oder 30.000 Dollar für ein externes Studio ausgeben oder das Geld lieber nehmen und dafür ein paar Instrumente kaufen, die wir dann ständig nutzen können. Da werden wir natürlich die zweite Variante wählen.
In einem Genre wie Folkrock, das eine so lange Tradition hat, so viele Säulenheilige hervorgebracht hat und musikalisch ein vergleichsweise festes Gefüge vorgibt – wie kann es da gelingen, dem Genre noch den eigenen Stempel aufzudrücken?
Gardiner: Wir versuchen, beides zu vereinen: das Klassische und das Unverwechselbare. Aber du hast Recht: Die Versuchung ist groß, sich einfach in das übliche Fahrwasser zu begeben. Vielleicht wären wir dann sogar erfolgreicher. Es gibt ja viele Leute, die sich eine Band wünschen, die ihnen genau das liefert, was sie erwarten. Wir könnten vielleicht so ein Hey-Ho-Mitsing-Lied schreiben. Aber niemand von uns mag so etwas. Das sind einfach nicht wir.
Machst du die Gedanken darüber, wie das Image von The Wooden Sky ist, wie ihr spannend bleiben könnt oder wie ihr ins Radio kommen könntet?
Gardiner: Nicht wirklich. Wir schreiben einfach unsere Lieder, da steckt nicht viel Konzept dahinter. Wir haben das mal versucht, aber es funktioniert nicht. Es fühlt sich nicht authentisch an. Ich liebe viele Künstler, die das sehr genau austüfteln, wie David Bowie. Jedes seiner Alben ist eine Neuerfindung, und jedes fühlt sich wie ein echtes Kunstwerk an. Aber ich mag auch Leute wie Townes van Zankt, die einfach über das zu schreiben scheinen, was sie beschäftigt.
Beim Konzert in Hamburg bestand euer Publikum aus jungen Mädchen und alten Männern. Was gefällt diesen beiden Zielgruppen wohl an The Wooden Sky?
Gardiner: Keine Ahnung. Sag du’s mir!
Ich würde mal annehmen: Die Mädchen mögen euren Sound und vielleicht auch euer Aussehen. Und alte Männer, die gerne die deutsche Ausgabe des Rolling Stone lesen, fahren oft auf Americana ab.
Gardiner: Okay. Was ich daran spannend finde: In Kanada, wo wir natürlich die meisten Konzerte spielen, gehen Leute in diesem Alter nicht zu Konzerten. Sie mögen vielleicht unsere Musik, aber sie würden nie zu einer Show kommen. Unser Publikum ist dort eher im Alter zwischen 18 und 35. Vielleicht ist das auch ein Vorteil, denn diese Altersgruppe macht letztlich ein bisschen mehr Stimmung. Wie du schon gesagt hast: Eine besondere Location kann für zusätzliche Inspiration sorgen, und das gilt für ein besonderes Publikum natürlich erst recht. Ich denke sogar, dass die Zuschauer in dieser Hinsicht eine Verantwortung für die Show haben. Schließlich geht es dabei ja um eine Interaktion.
Was machst du, wenn sich diese Interaktion nicht einstellen will?
Gardiner: Da haben wir in Japan etwas Spannendes erlebt. Es war nicht so, dass die Fans dort lahm wären. Aber sie sind extrem höflich. Nach einem Song klatschen sie, aber dann sind sie sofort wieder ruhig, bis zum Ende des nächsten Lieds, wo sie wieder klatschen. Auch große Städte sind da eine Herausforderung, die Fans dort sind eher zurückhaltend. In kleinen Städten haben die Zuschauer oft viel mehr Lust auf so ein Konzert. Sie freuen sich, dass du in ihre Stadt kommst. In großen Städten ist es eher umgekehrt: Da denken die Leute vielleicht, du müsstest dankbar sein, dass sie zu deiner Show kommen. Um so etwas zu überwinden, haben wir ein sehr einfaches Rezept: Glücklicherweise sind wir alle so gute Freunde, dass wir uns auf der Bühne wirklich prächtig amüsieren können – und das überträgt sich dann oft auch aufs Publikum.
Am 5. Dezember werdet ihr in Paris spielen. Sicherlich ein besonderer Termin nach den Terror-Anschlägen vor zwei Wochen.
Gardiner: Edwin, unser Geiger, hat in der Woche direkt nach den Anschlägen in Paris gespielt. Er ist mit einem Barock-Orchester im Palast von Versailles aufgetreten, an drei Abenden in Folge. Er hat uns erzählt, am ersten Abend seien zwei Leute im Publikum aufgestanden und hätten eine Rede gehalten. Das war so bewegend, dass viele Leute weinen mussten, und danach haben alle die französische Nationalhymne gesungen. Wir haben uns also intensiv mit dem ganzen Geschehen auseinander gesetzt. Aber es stand nie zur Debatte, unser Konzert abzusagen. Ich denke, wir haben eine Verantwortung dafür, weiterhin eine Inspiration für die Leute zu sein und ihnen zu zeigen, dass sie leben können, wie auch immer sie wollen.
In den Tagen unmittelbar nach den Anschlägen, hattest du da auch Angst, auf der Bühne zu stehen?
Gardiner: Man sollte am besten gar nicht anfangen, darüber zu grübeln. Wahrscheinlich hätte ich mir auch nicht ganz so viele Gedanken gemacht, wenn mein Vater mir nicht ständig solche Mails geschrieben hätte – er hat sich wahrscheinlich mehr gesorgt als ich. Aber mir hat das auch klar gemacht: Es gibt eine Menge Menschen in vielen Gegenden auf der Welt, für die solche Lebensgefahr ganz alltäglich ist. Eine kleine Kostprobe davon zu bekommen, ist ziemlich scheußlich.