Ein bisschen müde wirkt Arne Zank. Rund drei Wochen nach Erscheinen des zehnten Tocotronic-Albums Wie wir leben wollen macht die Band noch immer reichlich Promotion für die Platte, und als der Schlagzeuger am Ende unseres Gesprächs darauf verweist, dass jetzt „nicht mehr so viele“ Interviews kommen, kann man ein bisschen Erleichterung heraushören.
Trotzdem ist das Telefonat, das wir am Dienstag geführt haben, sehr nett. Gelegentlich weicht Arne Zank zwar ähnlich professionell einer Antwort aus wie ein Bundesligaprofi – sehr charmant (und gut begründet) vermeidet er es am liebsten, sich festzulegen. Aber er verrät auch, warum Tocotronic nicht den großen Song zur Krise schreiben werden, wieso er gerne im Auto gehört wird – und ob er die Texte von Dirk von Lowtzow versteht.
Hallo Arne! Wann hast du zuletzt ein Bier getrunken?
Arne Zank: Das ist noch nicht so lange her. Am Wochenende.
Und ein Glas Wein?
Zank: Auch am Wochenende. Alles gleichzeitig. Oder eigentlich: nacheinander.
Keine Sorge, wir werden jetzt nicht noch über Cocktails und Mineralwasser reden. Aber ich habe die These, dass es Biertrinkerbands gibt und Weintrinkerbands. Und Tocotronic haben sich in meinen Augen im Laufe ihrer Karriere von einer Biertrinker- zu einer Weintrinkerband entwickelt. Kannst du da zustimmen? Oder ist das eine Beleidigung?
Zank: Das finde ich völlig in Ordnung. Alle vier Leute in der Band sind leidenschaftliche Biertrinker, aber doch auch immer mehr dem Wein und auch anderen Genusswaren aufgeschlossen.
Ich habe die Unterscheidung eher auf die Situation des Hörens bezogen. Die alten Sachen passten wunderbar zu einem Bier in der Hand, in einer ranzigen Studentenkneipe. Das neue Album könnte man auch wunderbar ganz entspannt auf dem Sofa hören, mit einem Glas Wein auf dem Couchtisch.
Zank: Ich finde das wunderbar, wenn man die Platte auch auf dem Sofa mit einem gepflegten Glas Wein genießen kann. Das wäre ja eine Situation, in der man sich sehr intensiv mit der Musik beschäftigt und ganz gewissenhaft hört. Das kann sich durchaus auszahlen, gerade bei Wie wir leben wollen. Denn wir haben bei den Sounds und Arrangements sehr aufs Detail geachtet. Trotzdem meine ich, dass das für die alten Platten auch gilt. Die kann man auch auf dem Sofa hören. Vielleicht braucht man da ein paar Gläser mehr. (lacht)
Was wäre denn die ideale Hörsituation aus Sicht der Band? Wie kann man die Musik von Tocotronic am besten genießen?
Zank: Ich weiß es nicht. Ich versuche auch, diese Frage zu vermeiden, weil ich beim Musikmachen erst einmal von mir selbst ausgehen will – und mich nicht fragen möchte, welche Funktion ein Lied später vielleicht für einen Hörer erfüllen könnte. Aber ich mag die Vorstellung, dass unsere Musik im Auto gehört wird. Weil man da auf eine gewisse Art nebenbei, aber trotzdem konzentriert hört. Das ist eine interessante Situation. Ich empfinde es auch als ein schönes Kompliment, wenn jemand sagt, er höre uns gerne beim Bügeln oder beim Aufräumen der Wohnung, quasi als Ambient. Jeder benutzt die Musik ja so, wie er mag.
Ich würde gerne noch ein bisschen bei der Wirkung auf das Publikum bleiben. Wie wir leben wollen hat sich wieder gut verkauft und Platz 3 in den Charts erreicht. Spielen solche Erfolge für euch noch eine Rolle?
Zank: Das ist nicht unsere Leidenschaft, und es gehört auch immer eine Portion Glück dazu, etwa in der Frage, wer in dieser Woche alles noch neue Platten herausbringt. Aber wir achten da schon drauf. Wir wollen ja wissen, wie die Musik ankommt – und in gewisser Weise ist so eine Platzierung da ja durchaus ein Gradmesser. Natürlich freuen sich dann auch alle Beteiligten von der Plattenfirma und so weiter, wenn man sieht, dass das Album gut ankommt und dass eine Strategie aufgeht. Wir sind hoch zufrieden mit Platz 3.
Und wie sieht es mit der Rückmeldung der Kritiker aus? Ist die euch wichtig? Lest ihr Rezensionen oder schaut euch an, was in Fan-Foren zu einem neuen Album geschrieben wird?
Zank: Ich muss zugeben: Man ist schon sehr neugierig. Wir lesen sehr viel, und wir berichten uns auch gegenseitig davon, was wir gelesen haben. Aber man muss da auch aufpassen. Das kann zu schweren Traumata führen, oder zu Situationen, in denen man irgendwann nur noch um sich selber kreist. Noch viel mehr gilt das für Foren und alles, was im Internet sonst noch so verzapft wird. Das ist sehr viel – und es ist manchmal besser, wenn man das nicht alles liest.
Was war die schrägste Aussage, die du zu Wie wir leben wollen gelesen hast?
Zank: Das kann ich nicht so genau sagen. Dafür ist das alles noch zu viel und zu frisch. Das muss sich erst einmal setzen, und dann wird man vielleicht in einem halben Jahr erkennen können, was wirklich auffällig war.
Vermutlich gibt es reichlich Missverständnisse bei der Interpretation eurer Musik. Vor allem, weil die Texte in meinen Augen immer verklausulierter werden und ihr womöglich Spaß daran habt, damit Rätsel aufzugeben.
Zank: Klar werden Zeilen oder Lieder manchmal so ausgelegt, dass wir selbst von dieser Richtung überrascht sind. Aber von „Rätseln“ würde ich nur ungern sprechen. Das klingt, als ob es irgendwo eine Lösung dafür gäbe, die man nachschlagen könnte. Aber die gibt es ja gar nicht. Die haben wir auch selbst nicht – die Lösungsseite im Rätselheft, die suchen wir noch.
Wie läuft das innerhalb der Band? Ihr müsst die Stücke ja schließlich spielen – gehst du da manchmal hin zu Dirk und fragst: „Sag mal, was soll das bedeuten? Worum geht es in dem Lied eigentlich?“
Zank: Das kommt vor. Aber es ist selten, dass ich sage: „Erkläre mir doch mal, wie du dazu kamst.“ Häufiger geht es darum, dass sich jeder in der Band mit jedem Lied wohlfühlen muss. Alle haben da ein Vetorecht und dürfen mitreden, und in unseren Proben nehmen diese Diskussionen auch viel Raum ein. Dirk hält das sehr offen und ist einverstanden, wenn wir da alle reinquasseln. Aber als Autor hat er natürlich eine ganz andere Verantwortlichkeit für die Texte.
Geht ihr nach diesem Prozess mit fertigen Songs ins Studio? Oder bloß mit Ideen, die dann noch ausgearbeitet werden?
Zank: Wir haben bei den letzten Platten eigentlich immer eine Vorproduktion gemacht. Auch diesmal haben wir uns dafür sehr viel Zeit genommen. Der Proberaum bei Rick ist ja auch ein kleines Studio, und da haben wir beispielsweise schon sehr genau an den Arrangements gearbeitet. Wenn wir dann ins Studio gehen, sind wir sehr gut vorbereitet. Da geht es dann eher noch um die Feinheiten – und auch darum, sich noch einmal von dem überraschen zu lassen, was bei der Arbeit daran passiert.
Gab es diesmal irgendwann die Idee, das große Lied zur Krise zu schreiben, ein ganz explizites Statement zur Lage der Nation?
Zank (lacht): Nein. So arbeiten wir nicht. Natürlich haben wir das Tagesgeschehen im Blick, und manchmal bekommt man vor diesem Hintergrund noch einmal einen neuen Blick auf die Lieder. Aber es ist nicht so, dass es uns in den Fingern juckt, etwas zu tagesaktuellen Themen zu schreiben.
Hast du den Eindruck, dass das trotzdem von euch erwartet wird? Dass es Leute gibt, die meinen: Tocotronic haben dazu bestimmt etwas Relevantes zu sagen, und sie wären auch eine Stimme, die Gehör findet?
Zank: Vielleicht wird das von uns verlangt, sich dauernd zu allem zu äußern. Jan hat das mal den „Bekenntniszwang“ genannt. Wenn man es positiv sieht, kann man das vielleicht als Respektsbezeugung betrachten. Aber im Allgemeinen finde ich das eher schwierig und unangenehm. Gerade als Musiker sollte man sich manchmal lieber raushalten. Man weiß oft gar nicht, was man für eine Meinung hat. Schon gar nicht kann man zu viert in einer Band eine definitive Meinung vertreten. Und wenn man sich dann doch äußert, kann das schnell anmaßend wirken. Man erlebt da ja genug Beispiele von öffentlichen Personen, die Statements zu irgendwelchen Themen abgeben. Bei denen denke ich oft: „Hättest du mal lieber die Klappe gehalten. Du hast doch gar keine Ahnung davon.“
Sicherlich spielt auch der Anspruch eine Rolle, eurer Musik eine Bedeutung und Gültigkeit über den Moment hinaus zu verschaffen.
Zank: Ja, das ist der Anspruch. Wir arbeiten normalerweise sehr lange an einem neuen Album. Im besten Falle entsteht dadurch eine gewissen Allgemeingültigkeit, Kunst, Poesie. Auf der anderen Seite sind wir ja auch nicht aus der Zeit gefallen. So sehr wir unseren Elfenbeinturm auch mögen: Er ist nicht allzu hoch. Wir kriegen sehr viel mit, wir sind politisch interessiert, wir musizieren nicht im luftleeren Raum.
Gab es Dinge, die euch für Wie wir leben wollen besonders stark beeinflusst haben? Themen, Bücher, Bands?
Zank: Jede Menge, da lässt sich jetzt kaum etwas Bestimmtes herauspicken. Auf der Platte sind 17 Stücke und da fließt ganz viel ein, was man gelesen hat, im Kino gesehen oder von Leuten erzählt bekommen hat.
Dann zoomen wir doch mal ein bisschen raus und betrachten das ganz große Bild. Wenn du auf die Einflüsse für 20 Jahre Tocotronic blickst: Ohne welche drei Bands hätte es euch nie in dieser Form und mit dieser Entwicklung geben können?
Zank: So etwas finde ich ganz schwer. Wenn ich drei Lieblingsplatten benennen muss, dann höre ich die ganzen anderen Platten schon weinen, weil sie nicht dabei sind. Es ist ein Wust aus Einflüssen. Und ich versuche es auch zu vermeiden, einer bestimmten Band allzu sehr nachzueifern. Das fühlte sich immer seltsam an, wenn wir so klar zuzuordnen waren. Da kriegt man Beklemmung und versucht lieber, weitere Brüche zu erzeugen.
Dann probiere ich die Frage noch mal umgekehrt: Fallen dir drei Bands ein, die es ohne den Einfluss von Tocotronic nicht gegeben hätte?
Zank: Das ist ja noch schwieriger! Wir haben da bestimmt einiges Schönes und auch Schlimmes angerichtet. Aber man kann ja nicht immer nachvollziehen, wen man jetzt wirklich beeinflusst hat. Es kam schon vor, dass ich dachte, irgendeine Band sei besonders nah an uns dran, die kamen dann in Wirklichkeit aber aus einer ganz anderen Richtung.
Aber es gibt ja auch Bands, die sich ganz explizit auf euch berufen. Die zum Beispiel sagen: „Nur wegen Tocotronic haben wir auch eine Band gegründet.“
Zank: Das finde ich immer toll. Wenn wir jemanden dazu inspirieren und ihm so einen Kick verschaffen konnten, ist das wunderbar. Das war ja bei uns ähnlich: Wir sind mit Punk und Hardcore aufgewachsen und haben dann irgendwann erkannt, wie man diese Musik selbst machen kann.
Seitdem sind 20 Jahre vergangen. Spielt das Jubiläum innerhalb der Band eine große Rolle?
Zank: Zunächst ist das ein netter Zufall, dass wir im 20. Jahr unseres Bestehens die 10. Platte machen. Aber die Rückschau macht einen auch ein bisschen kirre oder unangenehm nostalgisch. Wir staunen meistens selbst, dass wir jetzt schon 20 Jahre auf dem Kerbholz haben. Wir sehen das einfach als einen Anlass zum Feiern – und den nehmen wir eh immer gerne an.
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