Interview mit Von wegen Lisbeth

Von Wegen Lisbeth Interview Leipzig
„Auf Tour zu sein, ist einfach kein normaler Zustand“, haben Von wegen Lisbeth erkannt. Foto: Sony Music/Marian Lenhard

Kein Sushi. Zum Abendessen vor ihrem Konzert in Leipzig gibt es stattdessen Reis und Geschnetzeltes für Von wegen Lisbeth. Sie sind sehr einverstanden mit diesem Menü: Auf der letzten Tour war eine warme Mahlzeit vor der Show noch eine Seltenheit, sagen sie. Doch derzeit läuft es rund für das Quintett aus Berlin: Das im Juli erschienene Debütalbum Grande erreichte Platz 25 der deutschen Charts, Meine Kneipe und Bitch, die sie Ende August bei Circus Halligalli performt haben, nähern sich bei YouTube jeweils der 400.000-Marke, das Konzert im Werk 2 ist, ebenso wie etliche andere Termine der aktuellen Tour, seit Wochen ausverkauft. Ich rede mit Sänger Matze und Bassist Julian beim Essen über Pöbeleien innerhalb der Band, Songschreiben als Prokrastination, das Gregor-Gysi-Syndrom und über die Folgen eines Missverständnisses bei MySpace. Und dann spielen wir noch Entweder/Oder, um den wahren Charakter von Von wegen Lisbeth zu enthüllen.

Eine Google-Suche nach Von wegen Lisbeth ergibt mittlerweile mehr als 200.000 Treffer. Ich habe nicht alles davon gesichtet, aber in wirklich jedem Text, den ich gelesen habe, kommt das Wort „Indiepop“ vor. Nervt das? Ist es zutreffend? Ist das sowieso ein Alles-und-Nichts-Begriff?

Matze: Dreimal Ja! Wir wissen gar nicht, was Indiepop sein soll. Ich würde auch nicht sagen, dass wir Indiepop machen. Wenn ich an diesen Begriff denke, dann verbinde ich das mit ganz vielen Scheißbands.

Julian: Joris zum Beispiel, das ist für mich Indiepop. Oder, wenn man meint, da gehören mehr Gitarren dazu, dann solche Sachen wie Silbermond oder Juli.

Matze: Eigentlich existiert dieses Genre in Deutschland gar nicht. Wir machen einfach Popmusik. Das ist auch okay, und auf jeden Fall cooler als Indiepop.

Könnt ihr euch erklären, wie diese Assoziation in die Welt kam?

Matze: Ich glaube, wir haben irgendwann mal – das war noch bei MySpace – selbst als Genre „Indie“ angegeben.

Aber dieses Profil ist sicher längst gelöscht?

Matze: Ja, das gibt es nicht mehr. Aber das Profil von Harry Hurtig, unserer alten Band, existiert noch, glaube ich. Ganz stark!

Apropos frühere Bands: Ihr macht jetzt seit rund zehn Jahren zusammen Musik. Als ihr damals angefangen habt: Hattet ihr eine Vorstellung davon, wo ihr 2016 mal sein würdet?

Beide zugleich: Gar nicht.

Matze: Ich hätte mir vielleicht vorstellen können, dass wir zehn Jahre später noch zusammen spielen. Aber ich hätte nie gedacht, dass wir mal richtig auf Tour gehen und ein paar hundert Leute zum Konzert kommen.

Julian: Alles was wir machen, passiert mit ziemlich wenig Kalkül. Manchmal ist das vielleicht ein Nachteil, aber oft erweist sich das als genau die richtige Methode für uns. Wenn man sich in einer Band fragt: Was wollen wir für Musik machen, wo wollen wir in ein paar Jahren sein, was ist der Plan für uns – das hindert einen daran, einfach das zu machen, worauf man Lust hat. Mit so einer Perspektive würde es sicher auch schwer, eigenständige Musik zu machen. Für uns hat es sich einfach so entwickelt, dass wir immer gemacht haben, worauf wir Bock hatten, und irgendwann wurden die Zuschauern dann plötzlich mehr. Wir hätten damit nicht gerechnet, wie haben ja schließlich auch acht Jahre lang einfach nur so rumgekrebst. Das war eine gute Schule, und das ist uns auch sehr bewusst. We’re still Jenny from the block! (lacht)

Seit drei Wochen habt ihr jetzt sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Was war bisher das Blödeste, was ihr im Netz über euch gelesen habt?

Julian: Wir haben eigentlich durchweg sehr gute Kritiken für Grande bekommen, insofern gab es da wenig, worüber wir uns hätten aufregen können. Vielleicht hat man da als neue, frische Band einen kleinen Bonus – ich bin mal gespannt, wie das bei der nächsten Platte wird. Aber mich stört, wenn uns Belanglosigkeit vorgeworfen wird. Das kann ich gar nicht nachvollziehen. Unsere Musik macht Spaß, aber in den Texten ist eindeutig mehr dahinter als „Wir sind alle so lustig und happy“.

Matze: Das ist wahrscheinlich ein urdeutsches Problem: Sobald man etwas mit ein bisschen Ironie macht, wird man nicht mehr ernst genommen. Wer Humor beweist, wird nicht mehr als kompetent und seriös betrachtet. Das Gregor-Gysi-Syndrom.

Ist Humor in der Musik für euch ein Prinzip, ein gezielt eingesetztes künstlerisches Mittel? Oder entsteht der einfach, weil ihr selbst so seid?

Matze: Wir überlegen uns normalerweise nie, wie wir rüberkommen wollen oder welchen Effekt wir mit einem Song erzielen wollen. Das ist einfach unser Ding, worauf wir Bock haben, was wir schon ewig gemacht haben. Es wäre auch komisch, sich da zu verstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir irgendwann mega-deprimierende Singer-Songwriter-Musik machen.

Der Vorwurf der Belanglosigkeit rührt vielleicht auch daher, dass viele eurer Texte mitten aus dem Alltag kommen. Wie kriegt ihr das eigentlich hin, solche Anekdoten in Songs zu verarbeiten? Lauft ihr immer mit Notizbuch rum und macht bei jeder Party ein paar Sprachnotizen im iPhone?

Julian: Das wäre geil! Matze, denk mal drüber nach!

Matze (lacht): Vielleicht würde das helfen. Ich versuche nämlich oft, mir Ideen zu merken, wenn ich einen guten Einfall habe für eine Textzeile oder eine Melodie. Aber ob ich sie mir dann wirklich merke? Meistens habe ich sie am Morgen danach alle wieder vergessen. Ich hätte schon so geile Songs schreiben können, hätte ich nur ein Notizbuch gehabt! (lacht) Im Ernst: Ich hatte noch nie in meinem Leben so ein Notizheft, wo ich Ideen reinschreibe, während ich etwas erlebe. Aber ich habe zuhause so ein Ding, wo ich Sachen sammle, die mir aufgefallen sind. Darauf kann ich dann zurückgreifen, wenn ich einen Text schreibe.

Ist es einfacher, Texte zu schreiben, wenn man gerade viel erlebt und viel Input bekommt? Oder wenn man gelangweilt ist und in Ruhe arbeiten kann?

Matze: Wahrscheinlich muss irgendwie beides zusammenkommen. Ich kann zum Beispiel überhaupt keine Texte schreiben, wenn wir auf Tour sind. Weil man da so in einer Blase ist, dass man überhaupt kein normales Leben mehr mitkriegt. Man könnte dann höchstens Songs über das Tourleben schreiben, aber wenn man an diesen Punkt gelangt, kann man die Karriere gleich vergessen. Eigentlich kann ich am besten schreiben, wenn ich gerade viele andere Sachen um die Ohren habe, die aber nichts mit der Band zu tun haben. Meistens habe ich dann keinen Bock, mich um die anderen Sachen zu kümmern – und schreibe lieber einen Song.

Humor hilft, wenn man so lange zusammen ist wie ihr, sicher nicht nur in den Texten, sondern auch, die anderen Typen in der Band zu ertragen?

Julian (lacht): Oh ja, das ist essentiell wichtig.

Matze: Definitiv. Wir hängen wirklich so krass aufeinander rum, gerade jetzt auf dieser Tour: Wir kommen den ganzen Monat nicht nach Hause, teilweise wohnen wir sogar zusammen. Ohne Humor wäre das gar nicht zu ertragen. Wahrscheinlich gehen wir vielen Streits aus dem Weg, weil wir gelernt haben, uns gegenseitig zu dissen, aber das eben in Humor verpacken können. Da weiß schon jeder von uns, wie es gemeint ist. Man kann Kritik äußern, aber trotzdem zusammen lachen.

Wer ist beim Dissen der Fieseste bei Von Wegen Lisbeth?

Julian: Ich natürlich. (lacht)

Und wer ist meistens das Opfer?

Matze: Ich natürlich. (lacht) Aber die besonders fiesen Sprüche kommen meistens von Julian [gemeint ist Julian Zschäbitz, der Schlagzeuger]. Der sucht sich oft ganz persönliche, tiefgehende Sachen raus, die er aufspürt. Und dann bohrt er da rein. Aber lassen wir ihm den kleinen Spaß! Er ist Schlagzeuger, er hat ja sonst nichts zu lachen!

Ich würde gerne noch ein paar Entweder-Oder-Fragen stellen, weil man Von Wegen Lisbeth damit sehr gut kennen lernen kann, glaube ich. Macht ihr mit?

Matze: Döner oder Currywurst? Kafka oder Camus?

So ähnlich. Probieren wir es einfach mal. Wenn ihr euch aussuchen müsstet, dass die Fans bei euren Konzerten entweder nur noch mitsingen oder nur noch tanzen dürfen? Was wäre euch wichtiger?

Julian: Tanzen.

Matze: Ja? Ich wäre mir da nicht so sicher.

Julian: Klar. Ist doch viel nicer, wenn Leute tanzen als dass sie mitsingen.

Matze: Aber mitsingen ist manchmal auch geil.

Julian: Stell dir so ein richtig hübsches Mädchen vor. Willst du, dass sie mitsingt? Oder willst du, dass sie tanzt?

Matze: Okay, tanzen.

Nächste Frage: Ihr dürftet entweder nur noch Partyhymnen oder nur noch politische Songs schreiben. Was wählt ihr?

Matze: Das ist auch schwierig. Man kann ja auch Partysongs mit politischer Botschaft machen. Aber wenn nur eins von beiden geht, dann lieber politische Songs.

Frage 3: Ihr müsst euch festlegen, ab jetzt nur noch mit GitarreSchlagzeugBass zu musizieren oder nur noch mit Instrumenten, die maximal 12 Euro kosten. Was passt besser für euch?

Julian: Ich würde GitarreSchlagzeugBass wählen. Man kann eine Gitarre ja auch so verfremden, dass sie wie ein Billiginstrument klingt. Und die Phase, wo wir nur auf 12-Euro-Keyboards spielen, haben wir ja auch schon hinter uns.

Nur noch Studio oder nur noch Tour?

Matze: Nur noch Studio. Nur noch Tour – das überlebst du nicht lange.

Julian: Ja, das stimmt. Tourneen machen ultraviel Spaß, und natürlich geht es beim Musikmachen letztlich darum, live zu spielen. Aber auf Tour zu sein, ist einfach kein normaler Zustand. Das fängt schon damit an, dass du jeden Tag in einem anderen Zimmer pennst, nicht aufräumen musst, dein Essen hingestellt bekommst. Alles, was einen Alltag ausmacht, fehlt. Und stattdessen hat man einen Tagesablauf, der eigentlich superlangweilig ist. Man sitzt im Auto, man schleppt Kisten, man macht Soundcheck. Dann kommen die anderthalb Stunden des Konzerts, die megageil sind. Und dann räumt man die ganze Kacke wieder ein, wenn man Glück hat, geht man noch ein Bierchen trinken und dann geht es von vorne los. Das hält man psychisch und physisch nicht lange durch. Im Studio zu sein, ist sicherlich auch die kreativere Arbeit. Deshalb: Studio.

Nächste Frage: Ihr werdet mit Waffengewalt gezwungen, entweder eine Tour im Vorprogramm der Sportfreunde Stiller zu spielen oder auf einem Tribute-Album für Die Toten Hosen mitzumachen. Was darf’s sein?

Beide: Boaaah.

Matze: Das ist bitter. Pest oder Cholera.

Julian: Auf keinen Fall Die Toten Hosen.

Matze: Stimmt, da nehmen wir die Sportfreunde.

Nie wieder YouTube nutzen oder nie wieder Pizza essen?

Matze: Da würde ich lieber auf YouTube verzichten. Pizza ist ungefähr einer der Hauptgründe, warum es sich lohnt zu leben. Pizza ist das allergeilste.

Julian: Ich sehe das nicht so. An einem verkaterten Morgen, wenn man im Bett ein bisschen dahinsiecht, ein paar Katzenvideos anzuschauen – großartig! Aber wenn ich es recht bedenke: Ich hätte gerade Bock auf Pizza. (lacht)

Immerhin scheint YouTube für dich fast so unverzichtbar zu sein wie Pizza. Was macht den Reiz dabei aus?

Julian: YouTube ist einfach ein großartiges Medium, nicht nur für eine Band. Wahrscheinlich ist es einfach diese Fülle an Material, all diese Subkulturen, die ganzen Tutorials, wo jemand mit ganz viel Enthusiasmus irgendetwas erklärt, auch wenn sich das vielleicht nur zwölf Leute anschauen. Kürzlich habe einen Channel entdeckt für Leute, die sexuell erregt werden, wenn Leute ihnen ins Ohr flüstern. Man sieht da einen Raum, mit warmem Licht und Leuten unter einer Decke, dann hört man ganz nah dieses „Hallo“. Völlig abgefahren. Oder diese ganzen Videos zum Unboxing. Wie geil? Ich habe sehr viele negative und positive Einflüsse durch YouTube bekommen.

Matze: Ich finde es spannend, wenn man bei einem WG-Abend zusammen etwas trinkt und keine richtige Stimmung aufkommt. Da kann man die Uhr danach stellen, wann die Leute anfangen, sich gegenseitig YouTube-Videos zu zeigen. Das ist eine spannende Sache – und dann ist der Abend meistens gerettet.

Ihr seid bei YouTube ja nicht nur Nutzer von anderen Inhalten, sondern habt auch die umgekehrte Perspektive mit eurem eigenen Channel für eure Videos. Ist das vielleicht sogar der wichtigste Verbreitungsweg für Von Wegen Lisbeth?

Julian: Nein, das glaube ich nicht. Im Endeffekt geht es um die Musik, nicht um das Visuelle. Trotzdem sind die Videos natürlich eine eigene Art von Kunst, die bei uns Doz [Gitarrist Dominik Zschäbitz] macht. Das zeigt den Song noch einmal in einem ganz anderen Kontext.

Matze: Ich würde schon sagen, dass es als Medium für uns extrem wichtig ist. Wenn ich irgendein Lied finden will, suche ich immer zuerst bei YouTube – das zeigt schon, wie viele Leute man damit erreichen kann.

Dann sind wir bei der letzten Frage angekommen: Am Ende der Tour dürft ihr entweder nie mehr nach Berlin zurückkehren, oder ihr dürft rein und müsst dann für immer dort bleiben. Wie würdet ihr euch entscheiden?

Matze: Ich würde rein und nie wieder raus.

Julian: Ich wahrscheinlich auch. Das ist gar nicht als riesiger Lokalpatriotismus gemeint und soll auch nicht kleingeistig klingen. Aber es ist eben unser Zuhause, wo wir alles haben. Wir haben alle eigentlich immer dauerhaft in Berlin gewohnt. Jeder hat mal ein Auslandssemester gemacht oder so, aber Berlin blieb immer die Heimat. Ich kann mir einfach gar nicht vorstellen, woanders zu leben.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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