Isobel Campbell – „There Is No Other“

Künstler Isobel Campbell

Isobel Campbell There Is No Other Review Kritik
„There Is No Other“ ist wunderhübsch und manchmal esoterisch.
Album There Is No Other
Label Cooking Vinyl
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

Mit dem emsigen Leben der Ameisen hatte man Isobel Campbell bisher nicht unbedingt in Verbindung gebracht. Schon in ihrer Zeit als Sängerin und Cellistin bei Belle And Sebastian (bis 2002) schien sie immer eher zur verhuschten Fraktion dieser großen, schillernden Band zu gehören. Die letzte Veröffentlichung ihrer danach begonnenen Solokarriere ist schon 14 Jahre her, ihr letztes musikalisches Lebenszeichen insgesamt war Hawk, ein gemeinsames Album mit Mark Lanegan im Jahr 2010. Nun gibt es There Is No Other.

„Ich denke viel nach. Manchmal vielleicht zu viel“, sagt die Schottin und liefert damit wohl einen Teil der Erklärung für diese nicht allzu große Produktivität. Folgt man dem Zitat weiter, erhält man allerdings auch die Antwort auf die Verbindung zum Ant Life, wie der vierte Song auf dieser Platte heißt. „In diesem Lied frage ich mich: Wir schaffen wird es bloß, uns über einen einzigen Punkt auf diesem Planeten klar zu werden? Und über all das Geplapper rundherum? Wenn es doch genau in diesem Moment so viele Menschen auf der Erde gibt. Wie bekomme ich einen Sinn in mein eigenes, winziges Ameisenleben?“

Sie setzt das mit einem recht konkreten Beat um, der für eine permanente Nervosität im Hintergrund des Songs sorgt – auch die entspricht genau dem Gefühl, das Isobel Campbell hier zum Ausdruck bringen will: „Durch die Technologie ist alles noch viel schneller geworden. Verlieren wir die Kontrolle? Wer steuert das alles? Sind wir mittlerweile Roboter? Wohin wird sich die Menschheit entwickeln? Meiner Meinung nach ist es heutzutage ziemlich einfach, ein Leben wie in George Orwells 1984 zu führen. (…) Andererseits fühle ich eine große Verbundenheit mit der Welt, riesig und ewig, wenn ich in der Natur oder unter Freunden bin. Diese Erfahrungen sind der Nektar meines Lebens.”

Neben solchen Momenten speisten Eindrücke von Reisen quer durch die USA, die sie gemeinsam mit Ehemann und Toningenieur Chris Szczech unternahm, die 13 Lieder dieses Album. Der Gatte spielte eine prominente Rolle insbesondere bei der Entstehung der Single Hey World. „Eines Abends hat mein Mann diesen Gitarrenpart gespielt und ich habe in der Küche einfach spontan den Text und die Melodie dazu erfunden“, erzählt Isobel Campbell. Dieses „Hey, World!“ ist dabei nicht euphorisch oder naiv, sondern kommt aus einer erwachsenen Perspektive, die sehr typisch für diese Platte ist: Ich habe meine Erfahrungen mit dir gemacht und meine Schlüsse gezogen, aber ich habe mich entschieden, dir noch einmal eine Chance zu geben. Am Ende nimmt das Stück einen sehr überraschenden Abzweig in Richtung Soul-Rock.

Sonst wird There Is No Other von Folk und dezenten Elektronik-Elementen geprägt. City Of Angels eröffnet das Album sanft und filigran mit akustischer Gitarre und Streichern, im Hintergrund scheint jemand die Geräusche einer lauschigen Sommernacht aufgenommen zu haben. Es ist ein gutes Beispiel für Klangdetails, manchmal nur einzelne Töne von Streichern, Bläsern oder Percussions, die für Überraschungen und damit für Spannung sorgen. The Heart Of It All verbreitet Country-Feeling mit Harmoniegesang, The National Bird Of India rückt mit asiatisch anmutenden Streichern, Bongos und einer Gitarre mit Open Tuning in die Nähe von Nick Drake. Rainbow lebt von etwas Latin-Einfluss und der schönen Liebeserklärung: „Wherever we go / there is a rainbow.” Im extrem hübschen Counting Fireflies singt Isobel Campbell mit sich selbst Call and Response.

„Ich hatte vor allem einen Begriff für diese Platte im Sinn: psychedelisch. Ich wollte eine verträumte Stimmung, wie aus einer anderen Welt“, sagt sie über ihre Zielsetzung für There Is No Other. Am deutlichsten merkt man das in Boulevard. „Welcome to the land of my dreams”, lautet eine Zeile in diesem Lied, das wirklich aus Lummerland kommen könnte. Die Tasteninstrumente bewahren das Lied davor, zu schlicht und eintönig zu sein, lassen es aber auch etwas esoterisch wirken. Auch an anderen Stellen wird die Platte gelegentlich etwas zu fluffig. See Your Face Again könnte man durchaus meditativ nennen. Below Zero hat eine schöne Atmosphäre, aber jenseits davon nicht viel zu bieten. Vultures ist innig, wäre ohne diese besondere Stimme aber langweilig. Just For Today setzt auf ganz ähnliche Mittel, wird aber viel stimmiger.

Ein Highlight ist Runnin‘ Down A Dream, eine beträchtlich entschleunigte, aber erstaunlich schlüssige Interpretation des Hits von Tom Petty. Der Beat ist auch hier stoisch, aber nicht unbarmherzig nach vorne preschend. Statt der Romantik, die in der Idee steckt, einem Traum nachzujagen, rückt bei Isobel Campbell deren Vergeblichkeit in den Vordergrund. Das ist typisch für die Stärke dieser Platte. Oft gibt es eine einfache Idee und nicht viel, was dann als Dekor ergänzt wird – auch daraus erwächst die Unmittelbarkeit dieser Lieder.

Voller Entdeckergeist steckt das Video zu Hey World.

Website von Isobel Campbell.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.