Künstler*in | Isolation Berlin | |
Album | Geheimnis | |
Label | Staatsakt | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Foto: Verstärker / Noel Richter |
Die Pose von „Ich allein gegen die Welt“ ist ziemlich beliebt bei politischen Rebellen, den Helden von Actionfilmen und, ja, auch bei Musiker*innen. Das macht die Pose allerdings nicht weniger pubertär und unglaubwürdig. Tobias Bamborschke, Frontmann von Isolation Berlin, weiß das sehr genau. Er nimmt diese Perspektive auf Geheimnis, dem dritten Album seiner Band, gleich mehrfach ein. In den elf Liedern werden Geschichten erzählt, in deren Kern ein „Ich gegen alle, die keine aufzehrende Liebe kennen“, steckt. Ein „Ich gegen alle, die keine Künstler*innen sind“ oder ein „Ich gegen alle, die nicht mit Stimmen in ihrem Kopf zu kämpfen haben, mit Frust, Zweifeln und Lust auf Selbstzerstörung, die nicht die Poesie als manchmal einzigen Trost haben“. Aber er tut das wunderbar reflektiert.
Das beste Beispiel dafür ist das zweite Lied der Platte, die Isolation Berlin in ihrem neuen, selbsteingerichteten Studio in Berlin-Buch aufgenommen haben. Der Song heißt Enfant terrible und nimmt die eigene Arroganz, Unvernunft und Trampeligkeit in den Blick. Zeilen wie „Ich hab ein paar Dinge kaputtgeschlagen / und Sachen gesagt, die unverzeihbar sind“ entlarven dabei auch die Rockstar-Pose, bei der „exaltiert“ gerne mit „asozial“ und „Individualist“ gerne mit „Arschloch“ verwechselt wird. Sehr clever zeigt das Stück auf, wie dieser Effekt noch verstärkt wird vom Leben auf Tour: Egal, was man in einer Stadt (auf der Bühne oder abseits davon) angerichtet hat – am nächsten Morgen ist man weg, auf dem Weg in die nächste Stadt und vermeintlich frei von jeder Verantwortung.
Dass der Sound des Quartetts, zu dem neben Bamborschke (er ist auch als Dichter aktiv und wird im Oktober mit Schmetterling im Winter seinen zweiten Lyrik-Band veröffentlichten) Max Bauer (Gitarre und Tasten), David Specht (Bass) und Simeon Cöster (Schlagzeug) gehören, diesmal deutlich vorsichtiger ist, zeigt indes bereits der Auftakt. Am Ende zählst nur du („Mein Herz hält Winterschlaf / so wie ein altes Tier / der Frühling kommt bestimmt / und ich zurück zu dir“) klingt mit seinem akustischen Picking beinahe so sanft und langsam wie ein Schlaflied, bis sich gegen Ende ein Hauch von Harmonium dazugesellt.
Im strengen Sinne Rockmusik kann man hier nur in zwei Momenten erkennen, die im Verlauf der Platte umso willkommener sind. Private Probleme bekommt viel Drive und Kraft nicht zuletzt durch Details wie das Tamburin und den herrlich knarzenden Bass. Bei Stimme Kopf („Da ist ne Faust / in meiner Tasche / die will da endlich raus“) könnte man fast vergessen, dass Ton Steine Scherben nicht mehr existieren.
Der Titelsong ist hingegen exemplarisch für den behutsamen Charakter der meisten Stücke auf Geheimnis. „Ein Krieg tobt hinter meiner Stirn / mein größter Feind ist mein Gehirn“, singt Bamborschke. Er artikuliert das Wort „Gehirn“ dabei mit so viel Distanz zu sich selbst, mit so viel Qual und Ekel, dass man ganz von selbst darauf kommt, wie gut es sich auf „Gewürm“ reimen würde, auch wenn dieser Begriff im Text gar nicht vorkommt. Man erkennt schnell: Solche Lyrik würden Rammstein schreiben, wenn sie wirklich tief- und abgründig wären. Die Musik, die Isolation Berlin dazu machen, passte indes in die Nähe von beispielsweise Nick Cave, auch hier erzeugen vermeintiche Kleinigkeiten (mal ein Flüstern, mal ein WahWah-Effekt) die Spannung.
(Ich will so sein wie) Nina Hagen ist in Text und Melodieführung genauso durchgeknallt wie man das von dieser Titelheldin kennt, die Musik ist allerdings etwas zahmer – was letztlich sogar dazu beiträgt, dass das Lied keine Kopie oder gar Karikatur wird. In Ich zieh mich zurück, das mit seiner Eleganz (bis hin zum Glockenspiel) etwa zu Element Of Crime oder Gisbert zu Knyphausen passen würde, wird die eine Silbe des Wörtchens „tot“ über drei Tonhöhen gestreckt, als sei „tot“ das Schönste, was man auf dieser Welt erreichen (und in Liedform zelebrieren) kann. Klage einer Sünderin thematisiert die Suche nach Vergebung und Todessehnsucht als größtmögliche Buße – nicht mehr im Moment des Affekts, aufgewühlt und desorientiert, sondern schon reflektiert und voller grauenvoller Selbsterkenntnis, passenderweise umgesetzt mit Besenschlagzeug und Klaviertupfern.
Von einem der hier sitzt und Bleistifte spitzt hat em ehesten den Charakter eines vertonten Gedichts, erzählt wie aus einem Kokon heraus und ist entsprechend zurückhaltend, bis es dann immer mehr Entschlossenheit gewinnt. Ich hasse Fußballspielen erinnert sich an den kindlichen Schmerz im Moment, wenn man bewusst das erste Mal mit sozialen Zwängen konfrontiert wird. „Ich wünschte alle wären tot / oder wenigstens ein bisschen / netter / zu mir“, lautet die Reaktion. Die Farfisa lässt das Lied wahlweise albern nach Kirmes oder wie eine uralte Volksweise aus der Zeit wirken, als noch Drehorgel gespielt wurde.
Den Schlusspunkt macht Enfant perdu, die Betrachtung eines einstigen Stars, der nun irgendwo zwischen gestrig und lächerlich gelandet ist. „Dich hat das Publikum geliebt / doch deine Blüte ist verblüht / … / dir bleibt nurmehr die Nostalgie / und diese alte Melodie“, heißt es darin, gepackt in einen im höchsten Maße fragilen Sound, bis am Ende auch den Instrumenten alles entgleitet. Dass Bamborschke ganz offensichtlich weiß, dass er hier womöglich seine eigene Zukunft besingt, die nach Ruhm und Rausch vielleicht wieder die Einsamkeit und das Unverstandensein bereithalten könnte, bestätigt auf wunderbare Weise die enorme emotionale Intelligenz dieses Albums.