Ja, Panik – „Die Gruppe“

Künstler Ja, Panik

Ja, Panik Die Gruppe Review Kritik
Als fluides Kollektiv zeigen sich Ja, Panik als „Die Gruppe“.
Album Die Gruppe
Label Bureau B
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Eine Gruppe also. So hat man Bands in den 1960er Jahren in der DDR genannt, weil man die Sprache des Klassenfeinds nicht benutzen (und eigentlich auch dessen Musik nicht im Land haben) wollte. „Die Gruppe Animals“ oder „die Gruppe Hollies“ wurden da im Radio angekündigt, wenn sie denn liefen. Dass Ja, Panik (nicht aus Ostdeutschland, sondern aus dem Burgenland und schon lange in Berlin residierend) sich nun im Titel ihres sechsten Albums so bezeichnen, ist natürlich kein Zufall.

Denn das klassische Verständnis einer Band wird hier hinterfragt und überwunden. Ja, Panik sind kein vierköpfiges Monster in einheitlichem Bühnenoutfit, auch keine Gang, die nach der Show noch gemeinsam das Nachtleben unsicher macht. All dies würde bedeuten, die Individualität der Musiker zu nivellieren. Hier geschieht aber genau das Gegenteil: Die Charaktere bleiben als solche erhalten, reiben sich aneinander und bringen ihre Unterschiedlichkeit in diese höchst ungewöhnliche Musik ein. Das ist tatsächlich keine Band, sondern eine (Künstler-)Gruppe im Sinne von Die Brücke, NO!art oder De Stijl. Es gibt zwar keine Mitgliedsausweise, aber durchaus ein (nicht artikuliertes) Manifest, ein klares Ziel und gemeinsame Regeln. Statt eines orchestrierten oder gar uniformierten gemeinsamen Auftritts einer Band hat eine Gruppe nun einmal eher den Charakter von Kollektiv und Kommune, auch eine Nähe zu Sekte oder Terrorzelle (nota bene: das 2014 veröffentlichte Vorgänger-Album Libertatia war nach einer fiktiven Piratenkolonie benannt).

Man findet bei Ja, Panik also eine sehr ausgeklügelte Ästhetik, die einerseits „Dichtung, Performance und Pop“ integriert (Joachim Hentschel im Pressetext zu Die Gruppe), andererseits viele Freiräume lässt und schwer zu fassen ist. Ein fluides Miteinander inmitten von Leitplanken, die gerne auch durchbrochen werden dürfen, wenn es der gemeinsame Wille ist. Der Auftakt Enter Exit macht das bereits deutlich: Die ersten Sekunden sind fast Industrial, danach wird der Sound abstrakt und unbestimmt, zwischendurch aber durchaus direkt und vor allem intensiv durch den Gesang von Andreas Spechtl. Als wichtiges Stilmittel der Platte ist hier auch bereits das Saxofon im Einsatz, das Rabea Erradi als Gast in mehreren Liedern beisteuert.

On Livestream wird auf schräge Weise eingängig, nicht nur weil es mit seiner Betrachtung über die digitale Kommunikation so gut in die Zeit passt. The Zing Of Silence wirkt selbstvergessen und ist wie viele Songs der – erstmals von Andreas Spechtl alleine produzierten – Platte extrem sparsam instrumentiert. In The Cure besingt er eine bedrückende Situation und eine existenzielle Krise, aus der ihn ein Arzt befreien soll, am Ende stimmt ein Chor ein und erinnert uns an einen ganz anderen scheinbaren Ausweg: „The only cure from capitalism / is more capitalism.“ Apocalypse Or Revolution schließt Die Gruppe ab, entwickelt sich von minimalistisch über verführerisch bis zu üppig, bleibt dabei aber immer geheimnisvoll.

Wer dafür Vergleiche sucht, wird allenfalls bei anderen reichlich erratischen Künstlern fündig. Das nur 75 Sekunden lange What If klingt wie eine Idee, die kurz durch den Kopf von David Bowie gehuscht ist. Gift wird mit einem plakativen Schlagzeug und düsterer Atmosphäre vielleicht nicht Post-Punk, aber definitiv Post-Irgendetwas, der Zwischenteil mit dem Chor würde perfekt zu Tocotronic passen. Bei Memory Machine kann man an Albrecht Schrader denken, so rätselhaft, durchdacht, stylisch (und natürlich auch prätentiös) ist das. Auch hier zeigt sich, wie wirkungsvoll Andreas Spechtl, Stefan Pabst (Bass), Laura Landergott (Keyboards & Gitarre) und Sebastian Janata (Schlagzeug) in ihrer Musik die Pausen einsetzen: Ganz oft gibt es Instrumente, die einfach ausklingen statt gleich den nächsten Ton anzuschlagen.

Das beschauliche 1998 kommt am ehesten einer konventionellen Ballade gleich, wenn die Stimme etwas tiefer wäre, könnte man es vielleicht für ein Lied von Nick Cave halten. In Backup weckt nicht nur der dezente Stimmeffekt ein paar Erinnerungen an Hans Unstern, sondern auch die Fähigkeit zur Nabelschau mit sehr überraschenden Bildern. Wie eine etwas weniger opulente Inkarnation von Arcade Fire kann man sich Ja, Panik im Titelsong vorstellen, und dem darin geäußerten Wunsch kann man sich leicht anschließen: „Eine Gruppe möchte ich sein.“

Verstörend schön ist auch das animierte Video zu Apocalypse Or Revolution.

Website von Ja, Panik.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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