Künstler*in | Jamaica | |
Album | Ventura | |
Label | Pias | |
Erscheinungsjahr | 2014 | |
Bewertung |
Jamaika hat die zweithöchste Mordrate der Welt. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 25 Prozent. Das Auswärtige Amt warnt Tourist*innen derzeit: „Die Kriminalitätsrate ist landesweit (…) hoch. Die Bereitschaft, Waffen einzusetzen, ist dabei sehr hoch. Seien Sie im gesamten Land besonders vorsichtig und leisten Sie bei einem Überfall keinesfalls Widerstand.“
Dass Antoine Hilaire und Florent Lyonnet ihr Duo, das einst Poney Poney hieß, in Jamaica umbenannt haben, leuchtet dennoch schnell ein. Denn die Karibikinsel weckt eben auch Assoziationen an Strand und Palmen, an ein Land voller Menschen, die lieber tanzen als sich Stress zu machen. Das passt perfekt zum heiter-sonnigen Sound der beiden Franzosen, der ihnen beim 2010er Debütalbum No Problem unter anderem den Hit I Think I Like U 2 eingebracht hat.
Den Nachfolger Ventura haben sie mit Produzent Peter Franco (Daft Punk) in Los Angeles am Ventura Boulevard aufgenommen. Die amerikanische Kultur sei ein wichtiger Einfluss für die Platte gewesen, lassen Jamaica wissen: „Wir haben eine Weile überlegt, ob wir das Album Pinta, Nina oder Santa Maria nennen sollen, wie eines der Schiffe von Christoph Kolumbus.“ Ebenso prägend scheint die Ästhetik der Seventies gewesen zu sein, wie man etwa in Ricky hören kann, von den altertümlichen Synthies über das Gitarrensolo bis zur Produktion – das klingt in jedem Fall eher nach Phoenix als nach Justice. Auch Ferris Wheeler ist ein Beispiel dafür: Sucht man hier nach Referenzen bei ihren Landsleuten, könnte man The Teenagers nennen, den Song kann man sich tatsächlich gut auf dem Riesenrad vorstellen, mit einem kalten Getränk in der Hand und Blick auf den Strand oder eine Skyline in der Abenddämmerung.
Hello Again profitiert von einem sehr prägnanten und aggressiven Bass, aber spätestens im Refrain regiert wieder die gute Laune. Houdini hat eine akustische Gitarre als Basis, eine tolle Melodie und eine überraschende Beschleunigung am Ende – und die Formulierung „She’s going Houdini on me“ klingt natürlich viel besser als das schnöde „ghosting“. Den mächtigen Beat von High Then Low verweben Jamaica sehr clever mit der verführerischen Melodie dieses Lieds.
Allerdings hat das Duo nicht immer so ein gutes Händchen. Golden Times hat ein paar gute Ideen, aber zu wenig Finesse. Das Lied wirkt kalkuliert wie etliche Momente von Ventura und verhebt sich zudem mächtig mit einer Anspielung auf „Brian Wilsons early songs„. Der Refrain von All Inclusive ist voll und ganz überzeugend, aber die Strophe bleibt dünn. Immerhin steigert sich das Stück am Ende – wie viele Tracks der Platte – fast noch in einen Rausch hinein. Rushmore will eine tiefgründige Ballade sein, wirkt aber unglaubwürdig, nicht nur wegen des deutlichen Akzents im Gesang, der auch nicht durch die Zeile „We’re the fake Americans“ erträglicher wird. Es ist der Moment, in dem man denkt, die Masche des Duos habe sich abgenutzt und das Album sei insgesamt zu lang.
Aber Jamaica bieten danach dann doch noch drei sehr starke Songs. Turbo erweist sich nämlich als packendes Instrumental mit viel Entschlossenheit und Spannung im Rhythmus, Same Smile zeigt ganz viele von ihren Stärken, zuvorderst mit dem betörenden Refrain, der Album-Abschluss Goodbye Friday offenbart ein weiteres außergewöhnliches Talent: Ein paar Elemente aus diesem Song könnten Hardrock sein, anderes ist Singer-Songwriter, Indie, Prog oder Radiopop – und all das wird von Antoine Hilaire und Florent Lyonnet sehr gekonnt verbunden.
Erstaunlicherweise gab es nach dieser 2014 veröffentlichten Platte bisher keinerlei Aktivitäten mehr von Jamaica, auch in anderen Kontexten sind die beiden Künstler praktisch nicht mehr aufgetaucht. Vielleicht liegt es daran, dass das Duo mit Ventura nicht an den Erfolg des Debüts anknüpfen (oder ihn gar übertreffen) konnte. Vielleicht haben Jamaica auch gemerkt, was man hier schon in den schwächeren Momenten ahnen kann, nämlich dass dieser Sound ausgereizt und die Geschichte dieser Band zu Ende erzählt ist. Wie singen sie doch im typisch plakativen und an The Kooks erinnernden Opener Two On Two: „It’s so easy to get bored.“