Künstler*in | James Ellis Ford | |
Album | The Hum | |
Label | Warp | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Beats International / Pip Bourdillon |
Zu den vielen Menschen, die sich wünschen, „Jsoh Homme hätte nie die Arctic Monkeys produziert“, gehören nicht nur Kraftklub und Shitesite, sondern wohl auch James Ellis Ford. Denn bevor Josh Homme 2009 beim dritten Album besagter Band in seinem Studio im Joshua Tree die Regler in der Hand hatte und mit Humbug ein wenig überzeugendes Werk herauskam, war Ford als Produzent prägend für den Sound der Arctic Monkeys gewesen. Er war dann auch an allen folgenden Alben dieser Band beteiligt, ebenso hat er gefeierte Platten von Depeche Mode, den Gorillaz oder Kylie Minogue produziert.
Wenn jemand, der in seinem Beruf einen so großen Namen hat, aber bedingt durch diese Profession meist im Hintergrund bleibt, sein erstes Soloalbum veröffentlicht, sind viele Varianten denkbar. Man könnte experimentelle Studio-Frickelei erwarten, mit der sich der Künstler all die Ideen vom Hals schafft, die er bisher nirgends unterbringen konnte. Es gibt auf The Hum auch tatsächlich Momente, die in diese Richtung deuten. James Ellis Ford, der beispielsweise Brian Eno, Robert Wyatt, Graham Massey (808-State), Paddy Steer, Todd Rundgren, Haruomi Hosono, Nick Lowe und Ivor Cutler als wichtige Einflüsse für diese Platte nennt, liefert etwa mit dem Titeltrack oder dem Album-Auftakt Tape Loop #7 ein paar Ambient-Momente, die so sphärisch sind, dass es mutig ist.
Es wäre auch denkbar gewesen, dass Ford ein paar schöne Songs komponiert und dann einige seiner prominenten Ex-Auftraggeber*innen bittet, ihnen einen Text und eine Stimme zu verleihen. So hat es beispielsweise Produzenten-Kollege Paul Epworth gemacht, als er 2020 seine erste Soloplatte veröffentlichte. Auch James Ellis Ford hatte diesen Gedanken, sagt er: „Ich machte Tracks und dachte: ‚Vielleicht schicke ich das an Alex Turner.‚ Mir ist wirklich in den Sinn gekommen, dass ich ein Album mit vielen Gastbeiträgen machen könnte. Aber es fühlte sich für mich letztlich einfach mutiger an, es alleine zu machen.“ Pillow Village ist eines der Lieder, in denen man die Idee dennoch reizvoll finden könnte, denn es könnte mit seiner sehr hübschen Melodie und den schicken, eleganten Figuren aus Gitarre und Bläsern auch gut zu den Last Shadow Puppets passen, bei denen Alex Turner singt (und Ford festes Mitglied der Liveband ist).
Dass es nun überhaupt dieses Soloalbum gibt, hat vor allem mit der anderen Band zu tun, in der Ford sonst spielt: Simian Mobile Disco liegen derzeit auf Eis, weil sein dortiger Bandkollege Jas Shaw schwer erkrankt ist. „Das Fehlen von Simian Mobile Disco als Ventil, um für mich selbst Musik zu machen, zwang mich wahrscheinlich dazu, eine Soloplatte zu machen“, sagt Ford, der sich 2017 zuhause ein eigenes Studio eingerichtet hat und zudem erstmals Vater geworden ist. „Mein Leben hat sich über Nacht dramatisch verändert. Von einem Lebensstil, bei dem ich fast ständig unterwegs war, zu einem, bei dem ich kaum noch das Haus verließ“, sagt er über diesen Wandel und bezeichnet „Häuslichkeit“ als prägendes Thema für The Hum.
Wer das anhand der Texte überprüfen will, wird allerdings kaum fündig werden. Fünf der zehn Tracks sind instrumental. Das liegt daran, dass sich der Mann aus Manchester nach eigenem Bekunden schwer getan hat, sein Innenleben zu offenbaren und in Verse zu gießen („Viele der Texte handeln davon, wie ich mich an Veränderungen im Leben anpasse: Vater werden, älter werden, mein Freund wird krank. Kinder zu haben ist ein großer, positiver Paradigmenwechsel – man ist nicht mehr der Mittelpunkt der Welt – aber sowohl das als auch die Situation mit Jas haben mich zum ersten Mal über meine eigene Sterblichkeit nachdenken lassen. Die Texte handeln von dieser Veränderung.“) und nicht zuletzt Scheu hatte, ihnen auch seine eigene Stimme zu geben. „Ich hatte noch nie öffentlich gesungen. Ich habe noch nie Karaoke gemacht. Ich singe nicht einmal unter der Dusche! Ich sage den Künstlern immer, dass sie sich [im Studio] in ihre Verletzlichkeit hineinbegeben sollen, und plötzlich musste ich einige dieser Ideen auf mich selbst anwenden“, erzählt er freimütig.
Diese Schüchternheit erweist sich als unbegründet, wenn Ford in der Single I Never Wanted Anything erstmals zu hören ist. Er offenabrt eine zurückhaltende, etwas traurige und durch etliche Effekte computerisierte Stimme wie man das von Hot Chip oder der Beta Band kennt. Das Lied integriert sehr viele Ideen, ohne seine sehr organische Anmutung zu verlieren, und handelt dabei von der Erkenntnis, dass sich die Zahl der Optionen und Chancen verringert, die das Leben noch bietet, wenn man erwachsen ist, dass man aber dennoch ganz zufrieden in diesem Alter sein kann. „Ich habe unglaubliches Glück, dass ich das, was ich tue, weiterhin tun kann. Wenn ich Musik spiele und das Gefühl habe, dass sie großartig sein wird: Das ist genau der Kick, dem ich jeden Tag nachjage.“
Squeaky Wheel vereint einen brüchigen Beat mit verschwörerischer Atmosphäre, Emptiness entwickelt viel Wärme, durch die hier etwas weniger verfremdete Stimme ebenso wie durch die Bläser (Ford hat speziell für dieses Album gelernt, Bassklarinette zu spielen, und steuert auch alle anderen Instrumente bei, darunter Klavier, Saxofon, Cello, Schlagzeug und Gitarren) und den wunderbaren Bass. „Can we ever step outside / of the stories that we tell ourselves“, lautet darin die beste Zeile des Albums. Caterpillar lässt er tatsächlich klingen wie „eine Horde verrrückter Typen in einem Raum“, das Stück wirkt funky, kraftvoll und spontan (alles auf The Hum wurde direkt auf Band eingespielt, im ersten oder zweiten Take, ohne Nachbearbeitung am Computer) und ist zugleich der vielleicht beste Nachweis seiner Musikalität.
Clarence Öfwerman, der viele der größten Hits von Roxette produziert hat, fand auf die Frage, was ein Produzent eigentlich genau macht, einmal die sehr einleuchtende Antwort: „Well, first of all, I’m a musician.“ Dass dieses Selbstverständnis auch auf James Ellis Ford zutrifft, macht The Hum überdeutlich. In The Yips vereint er nicht nur Experimente mit Eingängigkeit, sondern auch Ost und West, denn der Song entfaltet seine hypnotische Wirkung unter anderem mit arabischen Elementen. „Meine Frau ist Halbpalästinenserin. Vor einigen Jahren besuchte ich die Gebiete und hatte das Bedürfnis, mich mit der Kultur und den Menschen dort zu verbinden. Es war sowohl inspirierend als auch unglaublich deprimierend. Ich habe viele inspirierende junge und alte Musiker getroffen, die einfach nur versuchen, unter sehr schwierigen Umständen zu leben und Musik zu machen“, erzählt der Engländer.
In Golden Hour spürt er einer buddhistischen Idee von vollkommener Wahrnehmung und Welterkenntnis nach, die sich etwa durch Meditation erreichen lassen soll, der Song klingt entsprechend verträumt, weise und erhaben. „Man begreift alles, aber wenn man in die Realität zurückkehrt, versucht man, den Sinn zu erfassen und denkt: ‚Moment mal, das ergibt doch keinen Sinn mehr.‘ Du hattest gerade den Sinn des Lebens in den Händen, aber dann gleitet er dir durch die Finger“, beschreibt er seine entsprechende Erfahrung. Da kann man sich an Paul McCartney erinnert fühlen, der bei seinem ersten LSD-Trip in den Sechzigern ebenfalls der Meinung war, er habe nun die ganze Welt verstanden, und sich zur Sicherheit gleich Notizen machen wollte. Das Einzige, was er später auf seinem Zettel fand, war der wenig hilfreiche Satz: „There are seven levels.“
An McCartney kann man auch beim Album-Abschluss Closing Time denken, einer Quasi-Klavierballade, deren Kombination aus Schönheit, Majestät und Zerbrechlichkeit gut zum Ex-Beatle (oder auch zu Brian Wilson) passen würde. Der Ausschankschluss in einer Kneipe wird hier mit ein paar sehr grundsätzlichen Gedanken zum Wesen und zur Zukunft der Menschheit verbunden. „Ich liebe rührselige Songs, aber ich musste mich weit außerhalb meiner Komfortzone begeben, um tatsächlich selbst einen zu schreiben“, sagt Ford. „Es geht darum, älter zu werden und sich mit der Sterblichkeit auseinanderzusetzen. In der westlichen Gesellschaft wird nicht wirklich darüber gesprochen, aber es ist gesund, einen Weg zu finden, sich mit dem Tod anzufreunden und zu versuchen, die Angst davor loszuwerden. Die Welt verändert sich schnell, und ein Teil des Problems ist, dass die Menschen damit nicht umgehen können.“
Insgesamt hat er allerdings zu selten so viel zu sagen, um The Hum wirklich zwingend zu machen. „Ich habe immer mit anderen zusammengearbeitet. Sogar bei Simian Mobile Disco. Diesmal habe ich mich gefragt: Was passiert eigentlich, wenn ich ein Projekt ganz alleine zu Ende bringe? Und da dämmerte mir, was ein seltsamer Gedanke ist, wenn man 40 ist: Oh scheiße, vielleicht mache ich gerade ein Soloalbum!“, sagt Ford. Das ist charmantes Understatement, aber zugleich auch das Problem des Albums: Dass The Hum eher aus der Not beziehungsweise aus einer ungewöhnlichen Verkettung von Umständen entstanden ist als aus Notwendigkeit und Leidenschaft, hört man den zehn Liedern zu oft an.