Künstler | James Yorkston | |
Album | The Route To The Harmonium | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Das im Titel dieses Albums erwähnte Harmonium ist hier tatsächlich zu hören, aber es ist bei weitem nicht die exotischste Klangquelle auf dieser heute erscheinenden Platte. James Yorkston bringt hier auch Dulciton (eine Art Celesta aus dem 19.Jahrhundert), Autoharp (so etwas wie eine Zither) und eine schwedische Nyckelharpa (die er geschenkt bekam) zum Einsatz. All diese Instrumente stehen, zusammen mit reichlich analogem Aufnahmeequipment, in seinem Studio in Cellardyke, einem Dorf in Schottland. „Diese jahrzehntealten, von Hand gebauten Instrumente mit ihren einzigartigen Klängen zur Verfügung zu haben – das ist für mich ein Luxus, ein Vergnügen. Und sie sind nicht gerade etwas, das ich einfach aus einer App runterladen könnte“, sagt James Yorkston.
Wer darin Konservatismus und Technologiefeindlichkeit heraushört, liegt natürlich falsch. Die Lust auf alte Instrumente erwächst aus der Freude auf ungewöhnliche Sounds, die bei James Yorkston zuletzt neu erwacht ist. Seit 2015 erkundet er als Teil des Trios Yorkston/Thorne/Khan unter anderem die Horizonte von Jazz und Weltmusik, und diese Erfahrungen haben seinen eigenen künstlerischen Ansatz deutlich geprägt. „Mit YTK zu spielen, hat alles, was ich mache, wieder aufgefrischt“, sagt er. Jon Thorne ist passenderweise auch hier am Bass zu hören, mit Co-Produzent David Wrench (Caribou, David Byrne, The XX, Goldfrapp) is ein weiterer langjähriger Wegbegleiter auf The Route To The Harmonium am Werk. In gewisser Weise gilt das auch für seine frühere Band The Athletes, denn zwei der Songs auf diesem Album basieren auf einer Jam-Session, die schon 2005 auf einer EP dieser Band zu hören war.
Der erste davon ist My Mouth Ain’t No Bible, er sticht wegen seines Spoken-Word-Texts aus dem Album heraus, ebenso durch eine Aggressivität, die nicht nur im beängstigend entschlossenen Schlagzeug steckt, sondern in der Attitüde. „Das Lied ist eine Collage, in der ich einem verstorbenen Freund verschiedene Worte in den Mund lege“, sagt James Yorkston. Gemeint ist damit offensichtlich Doogie, der 2012 verstorbene Bassist von The Athletes, an deren Sound sich Yorkston hier mit hörbarer Freunde zurückerinnert. Der zweite Song aus dieser Quelle ist Yorkston Athletic, ebenfalls mit gesprochenem Gesang und einem elektrischen, dringlichen, fast hysterischen Backing.
Jenseits dieses Recyclings ist The Route To The Harmonium sehr James-Yorkston-typisch. „Ich habe ungefähr 90 Prozent der Platte selbst eingespielt. Ich habe es geliebt, wieder in diesem alten Raum zu sein, ohne Ablenkung, und mich wieder richtig ins Herz der Musik stürzen zu können“, sagt er über die Aufnahmen.
Ein Gefühl von Nostalgie, Gelassenheit und Weisheit prägt das Album dabei. Den Auftakt macht Your Beauty Could Not Save You, das Picking wirkt verwirrt, der Gesang zuckersüß, die Trompete von Tom Arthurs am Ende erweist sich hier und in einigen weiteren Liedern als ein sehr besonderer Klangtupfer. The Blue Of The Thistle hatte er schon auf dem letzten Album von Yorkston/Thorne/Khan platziert, hier wirkt es in einer anderen Version noch etwas zerbrechlicher. Brittle ist ein sehr hübscher Song, der auch noch sehr hübsch verziert ist, in Solitary Islands All erweist sich der kurze Einsatz eines Cellos als Überraschung und Glanzpunkt.
The Villages I Have Known My Entire Life ist vom Klavier getragen und scheint aus einer Position der Reue zu kommen. „I promised that I did my best / but I was not trained for this“, singt James Yorkston, und die Musik dazu ist großartig, rührend und erwachsen. Ein Höhepunkt ist auch Like Bees To Foxglove, das darum weiß, dass wir manchmal eben in unser Verderben rennen, falsche Entscheidungen treffen und uns von Angst, Instinkt oder Versuchung leiten lassen. „All the common sense there is / cannot save a man from this“, fasst die beste Zeile des Albums dieses Phänomen zusammen.
Dieser Vers mit dem gesunden Menschenverstand taucht in Oh Me, Oh My noch einmal auf, diesmal in einem Gewand, das direkt aus dem Kleiderschrank von Nick Drake zu kommen scheint. In A Footnote To An Epitaph scheint sich Yorkston selbst zu Empathie, vielleicht auch zu Verbindlichkeit überreden zu wollen. Shallow entwickelt eine sehr dichte Atmosphäre, wie man das etwa von Radiohead kennt, zu der auch seine Stimme viel beiträgt, die hier vergleichsweise weit im Vordergrund steht. Die Behauptung „I’m not so brave after all“ hat er da natürlich schon längst widerlegt, dann insgesamt gelingt es Yorkston auf The Route To The Harmonium vortrefflich, ein so altes (und konservatives) Genre wie Folk um ungewöhnliche, auch provozierende Elemente zu bereichern.
Der vielleicht beste Beleg dafür ist The Irish Wars Of Independence, das dritte Stück mit einem Spoken-Word-Text. Auch hier geht es um (reale und fantasierte) Erinnerung, auch hier ist die Musik extrem vielschichtig, auch hier bekommt der Refrain eine Extraportion Grazie, wie es auf vielen Liedern dieser Platte der Fall ist. Das ist wohl die Magie von James Yorkston: Seine Songs klingen uralt, aber zugleich sehr präsent.