Künstler | Japanese Breakfast | |
Album | Psychopomp | |
Label | Dead Oceans | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
Die Top-Level-Domain für die Website von Japanese Breakfast heißt „Rocks“. Das ist im ersten Moment überraschend, denn das Debütalbum Psychopomp ist zunächst geprägt von der sehr niedlichen Stimme von Michelle Zauner, die hinter diesem Projekt steckt. Der im Jahr darauf erschienene Nachfolger Soft Sounds From Another Planet ist sogar, der Titel lügt da keineswegs, noch softer. Bei näherer Betrachtung wird die Verbindung zum Rock aber durchaus schlüssig.
Zum einen hatten viele Lieder auf Psychopomp ursprünglich eine klare Rock-Ausprägung, erst in Zusammenarbeit mit Co-Produzent Ned Eisenberg bekam das Ganze dann „einen psychotischen Popsound“, wie Michelle Zauner sagt. Zum anderen bringt sie als frühere Sängerin von Little Big League eine Sozialisation im Reich der durchaus härteren Gitarren mit. „Bei dieser Band ging es mehr darum, stark zu sein“, erzählt sie. „Mir hat die Vorstellung sehr gefallen, in einer Rockband zu spielen. Ich habe mit drei Kerlen gespielt, die mit Punk und Harcore aufgewachsen waren, dazu kam ich mit meinem Indie-Hintergrund und einer Vorliebe für Death Cab For Cutie oder Built To Spill. Das hat wirklich Spaß gemacht“, sagt sie über ihre Zeit in der Band.
Ihre Soloaktivitäten begannen im Jahr 2013. Damals veröffentlichte sie ihr erstes Tape als Japanese Breakfast, im Juni dieses Jahren hat sie zu Übungszwecken jeden Tag einen Song geschrieben. „Das war enorm hilfreich für mich. Ich musste eine Struktur finden, um Kunst als Arbeit betreiben zu können. Du kannst nicht herumsitzen und warten, dass etwas passiert. Du musst einen Weg finden, wie du die Dinge ins Laufen bringst und zu einem Ergebnis führst. Für mich hat das allerdings nichts mit einem langen Prozess zu tun. Es startet eher manisch. Es gab eine Nacht, in der ich ein paar Adderall genommen und versucht habe, ein ganzes Album innerhalb von 24 Stunden zu schreiben. Danach bin ich mit ein paar Freunden in einen Wohnwagen im Wald gezogen und wir haben versucht, eine Platte in 48 Stunden aufzunehmen.“ Die ersten Ergebnisse hießen dann June, Where Is My Great Big Feeling und American Sound, die sie alle im Sommer 2014 bei Bandcamp veröffentlicht hat.
Die Songs auf diesen Tapes sind oft nur eine runde Minute lang, das zentrale Instrument ist die E-Gitarre. Auch der Sound von Psychopomp offenbart diese Ursprünge, wenn man sich von der zuckersüßen Stimme nicht einlullen lässt. Ein Song wie Jane Cum ist aufgewühlt und fast im Ausnahmezustand, im Gesang ebenso wie in der Musik. Rugged Country ist zunächst kraftvoll und roh, im Refrain dann erhebend – das würde bestens zu Courtney Barnett passen. Der Sound im Albumauftakt In Heaven ist erstaunlich kantig und rumpelig, vor allem durch das Schlagzeug und die Gitarre, bevor sich dann ein niedliches Klavier und todschicke Streicher dazugesellen. Die beiden Lieder verweisen zudem auf das zentrale Thema von Psychopomp: Zur Zeit der Aufnahmen starb ihre Mutter an Krebs (sie ist auch auf dem Cover zu sehen). Um bei ihr zu sein, zog Michelle Zauner wieder zurück nach Oregon („Es ist sehr ruhig und grau und körnig, aber auch schön und majestätisch“, sagt sie über ihre Heimat). Rugged Country blickt darauf, wie sich der Verlust der Mutter auf den Vater ausgewirkt hat und wie das wiederum die Beziehung zwischen Vater und Tochter verändert hat. „Oh do you believe in heaven / like you believed in me?“, lautet die Frage, die sie in In Heaven an sie richtet.
Michelle Zauner selbst kann nicht so richtig an das Leben nach dem Tod glauben, als Behelf hat sie das Konzept das Psychopomp übernommen, das sie in einem Aufsatz von Carl Jung gefunden hat. Die darin zusammengefasste Idee eines Bindeglieds zwischen dem Bewussten und Unbewussten oder eines Seelenbegleiters auf dem Weg ins Reich der Verstorbenen stammt bereits aus der Antike. Der Versuch, eine Verbindung aufzubauen, prägt Psychopomp nicht nur im instrumentalen Titelsong, an dessen Ende ein Stück eines Telefonats zu hören ist. Everybody Wants To Love You setzt diese Idee mit Call and response sehr wirkungsvoll um. The Woman That Loves You vereint Shoegaze-Elemente mit der Erkenntnis: „You should try to do as little harm as you can / to the one that loves you.“
Als Vorbilder für die Herangehensweise auf ihrem ersten Album nennt die Künstlerin beispielsweise Dolly Parton, Tammy Wynette und Loretta Lynn, „weil sie mit dieser übertriebenen Sehnsucht singen, weil sie sich suhlen in der Unfähigkeit, ohne diese eine, so schmerzlich vermisste Person weiterzumachen“. Man hört das sehr deutlich beispielsweise in Heft: Die Zutaten sind ein markanter Bass, die klare Stimme und eine verspielte Gitarre. All dies könnte auch zu den Cranberries passen, aber bei Japanese Breakfast wird es mit viel mehr Romantik, Leichtigkeit und Raum umgesetzt. Triple 7 rückt die Instrumente weit in den Hintergrund und fühlt sich an wie eine Meditation rund um den Gedanken: „In the night / I am someone else.“
Für Michelle Zauner wurde dieses Album nicht nur zum sichtbaren Beginn ihrer Solokarriere und zum Dokument ihres Abschieds von der aus Korea stammenden Mutter, sondern auch der Moment der Entdeckung ihrer Wurzeln. Zuvor wollte die bei Erscheinen der Platte 27-Jährige nie etwas mit ihrer asiatischen Familiengeschichte zu tun haben. Sie näherte sich dieser Kultur erst an, als die Mutter im Sterben lag. „Ich habe wirklich überwältigende Reaktionen auf diese Platte erhalten, etwa von Leuten, die ebenfalls einen Elternteil verloren haben. Das ist eine tolle Bestätigung“, sagt sie: „Außerdem war ich überrascht, dass seitdem viele andere Mixed-Race-Mädchen auf mich zukommen und mir sagen, wie sehr sie sich mit dem verbunden fühlen, was ich tue. Das alles wird jetzt viel mehr ein Teil meines Lebens.“ Was sich wenig später auf Soft Sounds From Another Planet entfaltet, nimmt hier seinen Urspung: „Die Leute interessieren sich für diesen wirklich persönlichen Charakter der Platte auf eine Weise, die ich nicht erwartet hatte. Das hat mich zu dem Gedanken gebracht: Vielleicht kann ich das fortsetzen. Es hat mir erlaubt, mich wirklich damit wohl zu fühlen, wer ich bin.“