Künstler | Jennifer Warnes | |
Album | Another Time, Another Place | |
Label | BMG | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Erstaunlich ist das. Schon im Original von Pearl Jam aus dem Jahr 2009 war Just Breathe ein Lied über die Fragilität. Nun eröffnet der Song das heute erscheinende neue Album von Jennifer Warnes und verwandelt sich in ein Stück über Vergänglichkeit im Angesicht des Todes, den Rückblick aufs Leben und die Entschlossenheit, die verbleibende Zeit zu schätzen und zu genießen, am besten gemeinsam mit den Liebsten. „Stay with me / let’s just breathe“, heißt die zentrale Zeile. Die neue Wirkung entsteht nicht nur, weil die Frau, die hier singt, mittlerweile 71 Jahre alt ist. Sie wird noch verstärkt, wenn man weiß, was Jennifer Warnes zu ihrer ersten Platte seit 17 Jahren angetrieben hat: Innerhalb kurzer Zeit starben ihre Mutter, ihre Nichte und ihre beiden Schwestern. Ihr Manager kam bei einem Autounfall ums Leben. Dazu kam auch noch der Tod von Leonard Cohen vor zwei Jahren, der im Leben von Jennifer Warnes eine entscheidende Rolle gespielt hatte, privat wie beruflich.
„Meine halbe Familie war nicht mehr da. Ich wurde still für eine sehr lange Zeit. Und dann habe ich Roscoe angerufen und gesagt: Lass uns ein Album machen“, sagt sie. Gemeint ist Roscoe Beck, der für viele Jahre der Bassist und Musical Director in der Band von Leonard Cohen war und nun als Co-Produzent für Another Time, Another Place agiert. „Ich habe so viel Trauer gesehen. Ich wollte etwas machen, um mich besser zu fühlen, etwas, das anderen dabei helfen würde, sich besser zu fühlen. Diese Art von Medizin fällt nicht vom Himmel“, umschreibt sie ihre gemeinsame Zielsetzung für die Platte.
Diese Motivation hört man einigen Songs deutlich an. I See Your Face Before Me bringt die Sehnsucht nach Echtem in einer Welt, in der fast alles fake ist, auf den Punkt. Sie hat es offensichtlich in ihrem Liebsten gefunden, auch wenn davon jetzt vielleicht nur noch eine Erinnerung übrig ist. Das Ergebnis erinnert deutlich an die Blütezeit des Swing, aus der die Komposition auch stammt. „Ich wollte etwas singen, das Frank Sinatra gesungen hat, einfach um eine Millisekunde neben ihm zu stehen“, sagt Jennifer Warnes. Back Where I Started (aus der Feder von Trucks Haynes) verleiht der Verwunderung darüber Ausdruck, dass sie trotz der eigenen Fehler, Unentschlossenheit und Mutlosigkeit doch etwas Glück gefunden hat. Why Worry, im Original von den Dire Straits, wird hier sehr sinnlich, spricht anderen Trost und dabei zugleich sich selbst Mut zu.
The Boys And Me ist das einzige der zehn Lieder, das Jennifer Warnes (gemeinsam mit Michael Smotherman) selbst geschrieben hat. Es handelt vom Leben auf Tour und der Vorfreude auf diese besondere Nacht, in der alles passieren darf (und soll), einfach befeuert von der eigenen Entschlossenheit. „Wir haben uns kaputt gelacht, weil der Refrain heißt: ‚We won’t slow down.‘ Natürlich werden wir langsamer. (…) Aber Roscoe und Mitch [Watkins, Gitarrist] spielen auf dem ganzen Album so toll. Ich sage mit Stolz, dass sie tatsächlich nicht langsamer werden“, erzählt Warnes. So Sad, geschrieben von Mickey Newbury, ist als viertes Stück des Albums der erste Song mit deutlichem Countryflair, das dann die zweite Hälfte der Platte deutlich dominieren wird, und thematisiert einen sehr schmerzhaften Verlust, auf den sie mittlerweile aber offensichtlich mit einiger Gelassenheit zurückblicken kann. „Was du in diesen Sessions hören kannst, ist ein intimer Ort, wo Musiker hingehen können, wenn es dort Vertrauen, Respekt und Liebe gibt“, sagt die Sängerin über die Besonderheit dieses Sounds.
In der Tat ist dieser Sound eine der großen Stärken von Another Time, Another Place. Die Platte, aufgenommen in Austin, besticht nicht nur mit der Meisterschaft der Instrumentalisten, sondern auch mit einer großen Detailversessenheit. „Wir lieben es beide, im Studio zu sein, weil es überraschend ist. Es kann auch unheimlich sein“, sagt Jennifer Warnes über die Zusammenarbeit mit Roscoe Beck. „Es ist eine unglaublich widerspenstige Kunstform, die sehr leicht entgleisen kann. Es ist Glück, es ist der Heilige Geist, es ist Liebe, es ist moderne Technologie, du musst deine Mannschaft kennen. Da sind so viele Variablen, die sich bewegen, ständig verändern. Du musst ein Team sein, du musst geduldig sein. Wir lieben diesen Prozess.“ Im Gegensatz zum stressigen Leben auf Tour hat sie hier eine Oase gefunden und sagt sogar: „Das Studio ist ein heilender Ort.“
Auch durch diese Kompetenzen schaffen es die beiden, selbst etwas schwächeres Material reizvoll zu machen. Dazu gehört I Am The Big Easy von Ray Bonneville, das in erster Linie vom New-Orleans-Lokalkolorit lebt. Zwischen der Südstaaten-Metropole und sich selbst sieht Jennifer Warnes wohl eine Geistesverwandtschaft. Freedom (geschrieben von Marcus Hummon) ist das einzige weitere Stück, an dem es etwas (nämlich eine Spur zu viel Pathos inmitten des Gospel-Arrangements) auszusetzen gibt. Interessant ist diese Reflexion über Freiheit trotzdem, auch weil darin eine Erinnerung steckt: Die Freiheit, für die ihre Generation gekämpft hat, war auch und vor allem die Freiheit, anders sein zu dürfen.
Jennifer Warnes macht keinen Hehl daraus, dass sie sich in der neuen Musikwelt nicht ganz zuhause fühlt. „Ich dachte, ich werde nie wieder etwas aufnehmen“, sagt sie über die Phase nach ihrem bisher letzten Album aus dem Jahr 2001. „Die Musikbranche war im Wandel, die Plattenläden wurden nach und nach geschlossen, Labels wurden geschluckt und niemand wollte sich Umstände machen mit irgendeinem Girl, das einen Traum hat.“ Wie viel sie noch zu geben hat, beweist etwa ihre Interpretation von Tomorrow Night. Das Lied über die Frage, ob sie gerade eine einmalige Nacht der Verführung erlebt oder etwas, das auch morgen noch Bestand haben kann, stammt aus dem Jahr 1939 und ist hier nur mit Kontrabass, Besenschlagzeug und Orgel instrumentiert. „Es war der erste Song, den wir aufnahmen. Roscoe fragte mich, womit wir beginnen wollten. Ich sagte: ‚Stell ein Mikro hin und lass uns etwas nur mit Bass und Gesang machen.‘ Wir kehrten beide zu dem zurück, was wir am besten kennen. Zurück zu den Anfängen.“
Once I Was Loved, eine Komposition von John Legend und Marcus Hummon, ist das vielleicht beste Lied und hat einen ähnlichen Effekt wie Just Breathe: Schaut man sich den Text auf dem Papier an, könnte es um die Eifersucht einer Frau auf die Neue des Ex gehen. Aus der Position der reifen Erzählerin heraus bringt Jennifer Warnes zu Kammerpop-Klängen mit tollen Streichern eine ganz andere Deutungsmöglichkeit hinein, nämlich eine Eifersucht auf alle Frischverliebten insgesamt. „Once I was loved / it was just like that / it was good like that / it was better than that”, singt sie. Es ist zugleich das Lied, das am deutlichsten zeigt, wie vertraut wohl jedermann, der irgendwann in den letzten 50 Jahren regelmäßig ein Radio angeschaltet hat, mit dieser Stimme („Ich bin gekommen, um zu singen. Und wenn ich nicht tue, wofür ich gekommen bin, was ist der ganze Sinn?“, fragte sie am Anfang des Entstehungsprozesses von Another Time, Another Place) noch immer ist. Auch diese Eigenschaft trägt zur Qualität des Albums bei. Diese Musik ist nicht modern und nicht altmodisch, sie will sich nicht an den Geschmack der Zeit anbiedern und auch nicht im Gestern stehenbleiben. Sie ist schlicht zeitlos.