Jenny Hval – „The Long Sleep“

Künstler Jenny Hval

Jenny Hval The Long Sleep Review Kritik
Das Komponieren selbst ist auf „The Long Sleep“ oft ein Thema.
EP The Long Sleep
Label Sacred Bones
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

“When I hold you, you will not be awake for long”, verspricht Jenny Hval im letzten Song dieser EP. Man könnte es sich leicht machen und The Long Sleep, auch angesichts des Titels, als einen Traum begreifen. Die vier Lieder, die mit ihrem langjährigen musikalischen Partner Håvard Volden und Produzent Lasse Marhaug entstanden, sind aber mehr als das: Die Norwegerin hinterfragt sich selbst. Sie untergräbt ganz bewusst die eigene künstlerische Identität.

In vielen Momenten wirkt The Long Sleep wie ein Ausbruch aus dem strengen Konzept, das sie zuletzt mit dem gefeierten Album Blood Bitch (2016) entwickelt hatte. Als Komplizen hat sie Kyrre Laastad (Percussion), Anja Lauvdal (Klavier), Espen Reinertsen (Saxofon) und Eivind Lønning (Trompete) dabei, gemeinsam mit diesen aus dem Jazz kommenden Musikern thematisiert sie hier oft es das Komponieren an sich, ebenso häufig werden Motive und Textzeilen aus einem Track an einer anderen Stelle wieder aufgegriffen.

Die Single Spells eröffnet die EP. Aus dem Ungefähren entwickelt sich ein federnder Beat, dann sorgt eine Klavierfigur für etwas mehr Struktur, ein frei fluktuierendes Schlagzeug gesellt sich hinzu. Die Zeile “not even you belong to you” scheint zu bestätigen, dass Jenny Hval sich hier der Idee einer definitiven Gestalt, als Persönlichkeit und als Künstlerin, verweigert. Das folgende The Dreamer Is Everyone In Her Dream (auch hier findet sich das Spiel mit Identitäten) setzt lange nur auf Klavier und Gesang, bis ein Tamburin das Signal gibt, dass nun frei experimentiert werden darf.

The Long Sleep hat eine Spielzeit von fast elf Minuten, die aus Synthesizer-Schwaden, nicht zu entzifferndem Gesang, Percussions und Saxofon bestehen. Wenn es mehr Druck hätte, könnte man das Ergebnis als Drone bezeichnen, aber es bleibt hier milchig und relativ. Das vermeintliche Gegenstück ist der kompakte Abschluss I Want To Tell You Something, in dem Jenny Hval wie in einem Selbstgespräch nach dem Kern ihres Anliegens für diese EP sucht. Antworten bleiben natürlich auch hier aus. Nur die Entschlossenheit zu dem, was sie unbedingt will, auf The Long Sleep ebenso wie in ihrem gesamten Werk, artikuliert die Künstlerin: „something else“.

Mit vielfältigen Inkarnationen spielt auch das Video zu Spells.

Website von Jenny Hval.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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