Jens Friebe, Ilses Erika, Leipzig

Jens Friebe Leipzig Konzert
Jens Friebe mischt im Konzert neu und alt nach festem Muster. Foto: Gastspielreisen/Max Zerrahn

Empathie ist ein wichtiges Thema in der Musik von Jens Friebe. Das Mitleid mit den gebrochenen Herzen, den versehrten Seelen, den gefallenen Träumern, zu denen er sich oft genug selbst zählt, kann man vielleicht sogar als wichtigstes Motiv in seinem Werk betrachten. Er singt über Nackte Angst (die den Titel seines wundervollen 2014er Albums zierte), von der „stöhnenden Wirklichkeit“ (Argonaut wird in Leipzig das letzte Lied des regulären Sets) und dem Schmerz der Distanz (Körperfresser gibt es als erste Zugabe). Er vertont die Gewissheit, in einer feindlichen Welt zu leben (Wenn man euch die Geräte zeigt erklingt als zweites Lied des Abends) und falsch verstandene Eifersucht (Only Because You’re Jealous Doesn’t Mean You’re In Love gibt es gleich danach). Und natürlich kommt sein Publikum, weil es genau das hören will, weil es selbst so fühlt.

Insofern ist dieser Abend im Ilses Erika in Leipzig ein sehr interessantes Sozialexperiment. Denn im gut gefüllten Club ist jemand, der sehr offensichtlich Mitleid verdient hat, vielleicht sogar Hilfe braucht. Mit knapp 1,80 Meter und gut 30 Lebensjahren fügt er sich zwar ganz gut in den Durchschnitt im Ilses Erika an diesem Abend ein. Trotzdem ist er für Jedermann schnell als Alien inmitten dieser Gemeinschaft zu erkennen. Irritierenderweise trägt er im Club eine Jacke, als sei er zu einer Bergwanderung unterwegs (obwohl es drinnen mindestens 30 Grad wärmer ist als draußen). Während des gesamten Konzerts nimmt er seine In-Ear-Kopfhörer nicht heraus. Er lacht laut (und stets mit einer halben Sekunde Verzögerung) über jeden halbwegs witzigen Spruch in den Ansagen von Jens Friebe. Zwischendurch und gerne auch mitten in den Songs faselt er bevorzugt englische Pseudo-Coolness wie „Gotta watch your balls, maaaaan.“

Der junge Mann ist wohl alleine hier und recht eindeutig auf der Suche nach Anschluss. Er versucht sein Glück erst an der Bar, dann bei den Menschen an der Garderobe, beim Mann am Mischpult und schließlich mitten im Getümmel. Die Reaktionen lauten (in dieser Reihenfolge): „Hier ist leider Nichtraucher.“ „Geh mal bitte weiter, Mann.“ „Ich muss mich jetzt erst mal auf das Mischpult konzentrieren.“ und nicht zuletzt „Security!“ Letzteres sagt Jens Friebe selbst, als es der Verwirrte bis ganz vor die Bühne geschafft hat und dort mit seinem Gebrabbel nervt.

Solche Figuren gibt es natürlich immer wieder bei Konzerten. Das Interessante an diesem Abend ist: Das Mitgefühl, das aus der Musik von Jens Friebe spricht, wird diesem Typen nicht zuteil. Alle versuchen, auf Abstand zu bleiben oder ihn zu ignorieren. Das hat wahrscheinlich drei Gründe: Erstens erfüllt der Outdoor-Jacken-Kopfhörer-Mann nicht die Grundvoraussetzung für spontan angebotenen Beistand, er erkennt sich nämlich selbst nicht als hilfsbedürftig, sondern findet sich ganz offensichtlich mächtig cool, recht offenkundig hat er seinen bemitleidenswerten Zustand zudem selbst herbeigeführt (Es leben die Drogen wird natürlich auch gespielt). Zweitens dürften sich bei einer Show von Jens Friebe wenige Menschen im Publikum finden, die auf eine Schlägerei aus sind – und dass die Kontaktaufnahme zum Outdoor-Jacken-Kopfhörer-Mann so enden könnte, scheint nicht ganz unwahrscheinlich. Drittens, und das ist entscheidend, ist die Musik viel zu gut, um sich von einem Spinner ablenken zu lassen, dem es morgen wahrscheinlich schon wieder besser geht, wenn er von seinem Trip runter ist.

Special People Club, wie passend, eröffnet die Show, danach spielt Jens Friebe immer ein Lied von aktuellen Album Fuck Penetration und eines aus den früheren Werken im Wechsel. Dieses Muster nutzt er sogleich als Test für die Aufmerksamkeit des Publikums: Wer die einzige Abweichung von diesem Prinzip zuerst erkennt, gewinnt ein Poster. Auch ohne solche Gimmicks wäre der Abend höchst unterhaltsam, klug und glamourös.

Jens Friebe Konzert 2018
Die Show in Leipzig hat viele innige Momente.

Jens Friebe erinnert sich daran, zuletzt vor zwölf Jahren im Ilses Erika gespielt zu haben und scherzt angesichts der Monotonie von auch schon wieder fast zwei Wochen auf Tour, selbstverständlich würde er seine Lieder „jeden Abend neu entdecken“. So süffisant das gemeint ist, so offensichtlich ist in Leipzig doch, dass es in den besten Momenten des Konzerts funktioniert. Worthless ist so ein besonders inniger Moment, Warum zählen die rückwärts Mami bekommt durch ein Country-Arrangement frisches Blut, Frau Baron klingt, als sei es erst ein paar Tage alt, Herr der Ringe, das als zweite Zugabe des Abends gespielt wird, macht sogar den Eindruck, es entstehe gerade erst ganz spontan. Selbst das von den Leipziger Fans energisch eingeforderte Lawinenhund klingt ganz kurz vor Ende der Show kein bisschen nach Routine.

Vier Leute stehen auf der Bühne, Schlagzeuger Chris Immler erweist sich wie so oft als Geheimwaffe, die Bühnenpräsenz von Pola Schulten ist so beeindruckend, dass man fast gar nicht merkt, wenn sie gelegentlich schief singt (vielleicht war auch nur der Autotune-Effekt noch verstimmt). Für Fuck Penetration holt Jens Friebe zusätzlich Gwendolin Tägert und Vera Kropf auf die Bühne, Letztere bestritt in Leipzig auch das Vorprogramm und führte einen anderen jungen Mann im Publikum zur Erkenntnis: „Ich habe mich in die verliebt.“ Das Lied wird ein weiterer Höhepunkt, aus vielerlei Gründen.

Der Kern vieler Songs zeigt letztlich ebenso wie die Stimmung im Ilses Erika, warum der Outdoor-Jacken-Kopfhörer-Mann einsam und sogar ausgestoßen bleibt: Um zur geschlossenen Gesellschaft der gefallenen Träumer zu gehören, muss man sich eingestehen, dass man einsam ist. Und dann am besten Trost finden in den richtigen Liedern.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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