Wer nach dem Konzert von Jens Friebe sehr, sehr schnell das Täubchenthal in Leipzig verlässt (so wie ich) und dann auf die Wachsmuthstraße einbiegt (so wie ich), der sieht sie noch, hinter hohen Fenstern: junge Männer mit massigen Oberkörpern und grimmigen Gesichtern. Es ist ein Boxstudio (sagt man das so?), in dem auf Sandsäcke eingedroschen wird, unter Anweisung eines kleinen, älteren Mannes in Muskelshirt. Man kann sich das dank des alten „drinnen hell, draußen dunkel“-Tricks ohne Gefahr eine ganze Weile anschauen (so wie ich). Und dann zur Erkenntnis kommen: Diese Männer haben etwas mit Jens Friebe gemeinsam.
Friebe sieht beim besten Willen nicht aus wie ein Boxer. Er muss an diesem Abend (so wie ich) ein Fred-Perry-Shirt tragen, um halbwegs gefährlich zu wirken. Aber hat man gerade die Show im Täubchenthal erlebt, dann fällt auf: Auch er trägt ein paar Wunden aus zurückliegenden Kämpfen mit sich rum. Auch er übt sein Metier aus mit ausgefeilter Technik, bestens vertraut mit den Regeln und durchsetzt mit gelegentlichen Finten. Aber darunter schlummert, bei den Männern am Sandsack und bei Jens Friebe auf der Bühne, eine echte, urtümliche Aggressivität. Es ist genau die Kraft, die seine Musik so spannend macht.
Passend dazu gibt es im Täubchenthal von ihm keine Posen und kein Fallenlassen in die Musik. In jedem Moment des gut eine Stunde währenden Konzerts ist Friebe konzentriert, und das passt wunderbar zu seinen Songs, die natürlich Witz kennen und Entertainment, aber keine Beiläufigkeit. Jeder Ton, jedes Wort lohnt sich. Den Anfang macht Ich wusste zu viel von euch vom unfassbar guten aktuellen Album, die Songs von Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus bilden auch danach den Schwerpunkt des Konzerts.
Bei Frau Baron schnappt sich Friebe, begleitet von Chris Imler am Schlagzeug (mit dünnem Schnauzer à la Ron Mael) und Andi Hudl am Synthesizer (der manchmal aussieht wie eine langhaarige Version von Olaf Schubert, no offence), erstmals die Gitarre. Immer wieder hat er wunderbare Ansagen zu bieten (er hat einst in der Band von Maximilian Hecker gespielt, der bei seinem Konzert am Dienstag im Werk 2 zwischen den Songs ähnlich charmant agierte). „Ihr könnt, ihr müsst nicht“, meint Friebe, als die drei Musiker bei Hölle oder Hölle zu allumfassendem Mitklatschen einladen. Und die Tatsache, dass die Show in Leipzig die vorletzte der aktuellen Tour ist, bewertet er so: „Ihr habt Glück, wie sind total eingespielt! Aber dafür völlig lustlos…“
Natürlich kann von fehlendem Engagement keine Rede sein. Bei Songs wie dem Schlaflied kann man sich nur wundern, wie Friebe es schafft, so viele Gefühle, Facetten und Erfahrungen (und so viele Leute, die er damit abholt) in ein so reduziertes Arrangement zu packen. Nackte Angst ist ein Moment, in dem man gerne aus vollem Halse mitsingen möchte, aber dazu lieber (so wie ich) aufs Klo geht, weil es doof aussehen würde, wenn man als einziger im Täubchenthal aus vollem Halse mitsingt. Und (I Am Not Born) For Blood-Driven Porn mit Gast-Sängerin Esther Becker wird ein wunderbarer Schlusspunkt für das reguläre Set.
Als Zugaben gibt es Zahlen zusammen gehen getrennt, Dein Programm, Charles de Gaulle und schließlich Lawinenhund, von Jens Friebe alleine zum Keyboard vorgetragen. „Es gibt Licht, es gibt Heilung am Ende des Darkrooms“, heißt eine Zeile darin. Und dann singt er auch noch die Worte, die das Schaffen auf seinen bisherigen fünf Alben vielleicht am besten zusammenfassen. „Ich suche Leben.“ So wie ich. So wie wir alle.