Künstler*in | Jens Friebe | |
Album | Wir sind schön | |
Label | Staatsakt | |
Erscheinungsjahr | 2022 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Staatsakt / Max Zerrahn |
Der unvergleichliche Leonard Cohen hat seine Lieder einmal bezeichnet als „Antwort auf die Schönheit, die sich mir offenbart hat“. Das ist ein sehr hilfreicher Hinweis für das Verständnis des neunten Albums von Jens Friebe. Erstens covert der 1975 geborene Musiker und Autor auf Wir sind schön einen Song von Leonard Cohen (First We Take Manhattan erweist sich als sehr stilvolle Adaption und wunderbare Übersetzung des Originals), zweitens zeigt er den unbedingten Willen, nicht blind zu werden für die Wunder der Welt, nicht zu verzweifeln an sich und den Mitmenschen. „Es ist ein anti-nihilistisches Album“, sagt Friebe über das morgen erscheinende Werk.
Den Titelsong kann man natürlich als Schlüssel für dieses Credo begreifen. In Wir sind schön singt er „Jetzt zerreißen wir die Netze der selber gebastelten Spinnen, in denen wir hingen“, und es klingt wie Kants Aufruf zum Ausbruch aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, aber nicht im Hinblick auf Ratio, sondern auf Zufriedenheit, Miteinander, Gefühl und Ästhetik. Umgesetzt wird das mit einem tatsächlich erhebenden Gospel-Charakter, hinführend zum tröstlichen Versprechen: „Wenn sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnen / sieh uns an und du wirst sehen: Wir sind schön!“
Passend zu diesem Ansatz gibt es auf Wir sind schön im Vergleich zum Vorgänger Fuck Penetration (2018) ein bisschen mehr Fokus auf Rhythmen und Atmosphäre. Man hört das gut im Groove der Vorab-Single Frei (mit dem Slogan „Alle, die das hören, sind frei“), in der man zugleich ahnt, wie viel Gedankenarbeit darin steckt, auch wenn es Jens Friebe wiederum schafft, den Text assoziativ und die Musik spontan wirken zu lassen. Das verspielte Am Ende aller Feiern setzt unter anderem auf tropische Rhythmen, um die Geschichte zu erzählen von der Hochzeit der Ex, die nun einen anderen Mann heiratet, während der Erzähler selbst nur noch Gast ist. Er blickt zurück auf diese Beziehung, die gar keine richtige war, und reflektiert seine Verwunderung über den Schmerz, der trotzdem nicht zu leugnen ist. „Wir haben uns alles erzählt / nur zuletzt wollt’ ich nicht alles wissen / ich glaube das hast du gemerkt / und mich zum Abschied gebissen“, lautet die Erinnerung an das Aus.
Ähnlich klar zu fassen ist auch der Inhalt von Die schrumpfende Stadt. Es geht um einen Freund aus Kindheitstagen, der nicht so privilegiert aufgewachsen ist, aber ein sehr enger Begleiter war, bis er das Gymnasium verlassen musste und sich damit die Wege trennten. Mit viel Wehmut und etwas schlechtem Gewissen besingt Jens Friebe diese Geschichte und nutzt eine sehr hübsche Klavier-Miniatur als Quasi-Refrain. Das Nichtmehrkönnen ist ebenfalls vom Piano geprägt, allerdings klingt es in diesem Lied schwer und wuchtig, wie man das etwa von den Dresden Dolls kennt. „Ich habe ein Gefühl, ich weiß schon, wie ich es nenn‘ / Ich glaube ich nenne es / das Nichtmehrkönnen“, heißen die zentralen Verse über den Versuch, Ausgeglichenheit, Wohlbefinden und nicht zuletzt Glück zu finden, irgendwo und überall. Im Album-Abschluss Nicht nach Haus erscheint das traute Heim als ein Ort des Schreckens, den es unbedingt zu meiden gilt. Viel lieber bewegt sich Jens Friebe demnach im Nachtleben, auf der Tanzfläche oder auf den Fersen irgendeiner Fremden.
Längst nicht alle Songs von Wir sind schön sind so eindeutig in ihren Aussagen oder auch nur in ihren Themen. Der Auftakt Microdoser vereint ein verfremdetes Boogie-Woogie-Klavier in der Strophe mit großer Eingängigkeit im Refrain und einem rätselhaften Blick auf unsere schrägen First World Problems, wie man das von diesem Künstler kennt. Der Wahn glänzt mit einem tollen, verführerischen und etwas irren Refrain und scheint tatsächlich aus der Perspektive einer Geisteskrankheit gesungen zu sein. Das vom Rhodes dominierte Was haben wir getan könnte die Geschichte von Verbrechern sein, die sich nach dem Blutrausch ihrer Tat bewusst werden, ebenso wie die eines einstigen Liebespaars, das auf die Trümmer seiner Beziehung schaut, wäre aber auch zutreffend für unsere Spezies insgesamt und unseren Umgang mit dem Planeten.
Die Erkenntnis, wie leicht man sich schuldig machen kann, steckt auch in Sing It To The Converted, dem rockigsten Moment des Albums, den man sich beispielsweise auch von Katze oder gar Phillip Boa vorstellen könnte. Natürlich weiß Jens Friebe, dass sein Publikum keine Appelle zu mehr Achtsamkeit und Rücksichtnahme mehr braucht, weil diese Werte dort bereits in den Köpfen verankert sind. Aber er weiß eben auch, wie allgegenwärtig die Versuchung ist, doch wieder in Egoismus und Materialismus zu verfallen. „Predigt denn die Priesterin nicht zu den Bekehrten / Wie lang wären sie bekehrt, wenn sie sie nie hörten?“, lautet die passende Frage dazu. Neben der Intelligenz und Sensibilität, die in dieser von Berend Intelmann produzierten Platte steckt, ist auch das eine große Stärke von Wir sind schön: Jens Friebe singt diese klugen, warmherzigen, sehr poetischen Lieder nie von oben herab. Sondern als jemand, der ebenfalls fehlbar ist.