Jim Kroft – „A Conversation With America“

Künstler Jim Kroft

Jim Kroft A Conversation With America Review Kritik
Zum Film „A Conversation With America“ hat Jim Kroft seinen eigenen Soundtrack gemacht.
Album A Conversation With America
Label Radicalis
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Als Thomas Gottschalk noch seine eigene Show im Ersten hatte, konnte man da am 11. April 2012 einen Moment erleben, der einer Definition von Cringe ziemlich nahe kommt. Tom Buhrow, damals noch Achorman der Tagesthemen, nimmt da eine Gitarre und fängt an, Don’t Get Me Wrong von den Pretenders zu singen. Es klingt nicht sonderlich gut und wird auch nicht besser dadurch, dass er dem Moderator ein kumpelhaftes „Komm Thommy, mitsingen!“ zuruft und das Publikum im Studio dann in bester Fernsehgartenmanier rhythmisch mitklatscht.

Das wirklich Schlimme an dieser Szene ist aber: Da ist ein 53 Jahre alter Mann, der in seinem Metier praktisch alles erreicht hat, ein prominenter und preisgekrönter Fernsehjournalist geworden ist und genau in dieser Rolle auch eingeladen wurde. Aber in ihm steckt ein kleiner Junge, der gerne Rockstar wäre – und er ist auch noch so unklug, das vor einem Millionenpublikum zu offenbaren.

Ein ähnlicher Effekt stellt sich auch ein, wenn man A Conversation With America von Jim Kroft hört. Mit seinem Werk als Singer-Songwriter bin ich bisher ohnehin nicht sonderlich warm geworden. Jetzt kann man erst recht den Eindruck haben: Vielleicht sollte der in Berlin lebende Schotten die Sache mit der Musik sein lassen und sich (wie Tom Buhrow) auf das konzentrieren, worin er wirklich gut ist. Und das scheint bei ihm klar die Arbeit als Dokumentarfilmer zu sein. Für dieses Projekt ist er während des Wahlkampfs zu den Präsidentschaftswahlen 2016 drei Monate lang durch die USA gereist. Der entstandene Film hat 50 Nominierungen und 14 Awards bei US-Filmfestivals eingeheimst. Jim Kroft hat dafür 8000 Meilen zurückgelegt und neben Regie, Kamera und Schnitt eben auch den Soundtrack gemacht. Schon für die vorangegangene Journeys-Reihe hatte er diese Kombination aus Album und Film umgesetzt.

Als musikalisches Werk ist A Conversation With America dabei weit davon entfernt, mit Auszeichnungen überhäuft zu werden. 5th Avenue setzt beispielsweise auf einen angedeuteten HipHop-Beat und ein prominentes Klavier als Basis, was zusammen überhaupt nicht funktioniert. Billboards By Brooklyn Bridge beschließt das Album mit großen Ambitionen und wenig Fokus. Colorado Bound erweist sich als im Grunde klassisches Singer-Songwriter-Material, das nicht immer ganz unfallfrei mit den sehr komplexen Streicherparts dieses Songs zusammenspielt.

Für ein Stück wie The World Is On Fire ist Bluesrock natürlich ein passendes Genre, trotzdem bleibt die Frage im Raum, ob er aus diesem Gedanken nicht lieber einen Essay hätte machen sollen. Dem Opener Colours Of The Fall wird die dünne Stimme von Jim Kroft zum Verhängnis: Man hört, wie aufgewühlt er ist, aber es gibt weder ein Ventil dafür noch eine Einladung zur Gemeinschaft, um vielleicht zusammen aufzubegehren. Auch Never Ending Blues probt die große Geste mit einer ordentlichen Portion Pathos, aber genau das liegt ihm am wenigsten.

Natürlich bietet A Conversation With America auch genug Passagen, die einen versierten Musiker erkennen lassen. Vor allem die Arrangements sind überzeugend und ideenreich, Lieder wie Freedom State erwecken den Verdacht, dass sie vielleicht einfach bloß einen anderen Sänger gebraucht hätten, um wirklich einnehmend zu werden. JFK wirkt, als seien MGMT politisch geworden, American Man ist Folk mit Tendenz zum Hymnischen und funktioniert recht gut — auch, weil Jim Kroft hier rund um die Zeile „I know it’s hard to be an American man“ sein Talent zur Empathie ausspielen kann.

Das weitgehend akustische What Will You Decide, America? ist über-explizit, aber das muss es vielleicht auch sein, um dem Aktivismus gerecht zu werden, die hier unzweifelhaft dahinter steckt. Ähnliches gilt für All New Revolution Of Love, das beinahe mitreißend wird und zugleich zeigt, wie individuell die Songs von Jim Kroft sind: So sehr hier immer etwas fehlt, um sie brillant zu machen, so wenig könnte man jemanden benennen, zu dem sie besser passten. Trotzdem zeigt auch diese Platte: Sein Interesse an Menschen und ihren Geschichten ist ungleich größer als seine Fähigkeit, daraus packende Songs zu machen.

A Conversation With America als Film.

Website von Jim Kroft.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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