Künstler | John Cale | |
Album | Fragments Of A Rainy Season | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2016 | |
Bewertung |
Zwei Aspekte machen Fragments Of A Rainy Season besonders. Die ursprünglich 1992 veröffentlichte Platte war schon das vierte Livealbum von John Cale, der damals bereits auf weit mehr als ein Vierteljahrhundert als Musiker zurückblickte. Anders als auf Sabotage/Live (1979), John Cale Comes Alive (1984) und Even Cowgirls Get The Blues (1991) ist er hier solo zu erleben, meist allein an einem Steinway-Klavier, gelegentlich auch mit einer akustischen Gitarre. Die 20 Aufnahmen entstanden an verschiedenen Orten im Verlauf seiner vorangegangenen Tour. Für die Neuauflage werden diese um acht bisher unveröffentlichte Outtakes ergänzt.
Die zweite Besonderheit ist Hallelujah. Von dem Lied von Leonard Cohen existieren mittlerweile mehr als 300 Aufnahmen, die Version von John Cale spielt in diesem Pool aber eine herausragende Rolle, denn sie hatte entscheidenden Anteil an der Popularisierung des ursprünglich 1984 veröffentlichten Stücks. John Cale hat einst erlebt, wie Leonard Cohen diesen Song live im Beacon Ballroom in New York gespielt hat. Er war so fasziniert, dass er sich vom Autor den Text faxen ließ. Mit einigen Kürzungen und Überarbeitungen nahm er dann seine eigene Version auf. Diese landete auf dem Tribut-Album I’m Your Fan, das über ein paar Umwege dann wiederum die Ohren von Jeff Buckley erreichte. Der nahm 1994 schließlich die Version von Hallelujah auf, die bis heute als die ultimative gilt. Das Lied beschließt hier CD1 – es ist unverkennbar, dass die John-Cale-Version zur Blaupause für Jeff Buckley wurde. Kurz davor erklingt mit Heartbreak Hotel (Elvis Presley) noch ein anderer Klassiker, der vom Waliser Avantgarde-Helden aber deutlich stärker bearbeitet wird und im Prinizip nur noch über den Text zu erkennen ist.
Der Velvet-Underground-Mitgründer zeigt sich auf Fragments Of A Rainy Season sonst häufig von seiner eher zugänglichen Seite. On A Wedding Anniversary eröffnet die Platte mit einer ordentlichen Dosis Romantik, das könnte fast auch von Billy Joel sein. Do Not Go Gentle Into That Good Night ist verspielt und trotzdem energisch, das intensive Chinese Envoy wird ein Highlight, für das exaltierte Fear (Is A Man’s Best Friend) gibt es Szenenapplaus. Bei Lie Still, Sleep Becalmed rückt der Gesang mehr in den Vordergrund, das Klavier ist nur noch Beiwerk.
Bei fünf Liedern dieser Neuveröffentlichung (die Reihenfolge der Lieder wurde gegenüber der 1992er Version verändert) erklingt statt des Klaviers die akustische Gitarre. In Ship Of Fools, Leaving It Up To You, The Ballad Of Cable Hogue, Thoughtless Kind und Amsterdam wird dann besonders deutlich, dass John Cale nicht nur ein Pionier ist, sondern auch ein Storyteller, irgendwann zwischen Paul Simon und Bob Dylan.
Etwas extremer sind die Outtakes, die sich hier auf CD2 finden. Bei Fear (Is A Man’s Best Friend) muss man um seine geistige Gesundheit bangen. I’m Waiting For The Man löst vom ersten Ton an Ekstase im Publikum aus, was sich dann vorrangig im Mitklatschen wie in der ZDF-Hitparade äußert – natürlich ein skurriler Effekt bei einem Lied aus der Perspektive eines Junkies. Die bisher unveröffentlichten Stücke rücken oft die Viola als weiteres John-Cale-Markenzeichen in den Mittelpunkt: Bei Heartbreak Hotel sorgt sie für Störgeräusche, bei Fear (Is A Man’s Best Friend) wird sie ein Gegengewicht zum Chaos, bei Paris 1919 trägt sie tatsächlich zu Schönklang bei, in Antarctica Starts Here wird sie tatsächlich dominant.
Zwei weitere Live-Alben kamen (bisher) in der Karriere von John Cale noch hinzu, nämlich Circus Live (2007) und Live im Rockpalast (2010 veröffentlicht, basierend auf einer Aufzeichnung aus dem Jahr 1984). Dort kann man erleben, was auch für Fragments Of A Rainy Season gilt: Es geht darum, den Künstler zu feiern – auch ihm selbst.