Autor | John Niven | |
Titel | Die Fuck-It-Liste | |
Verlag | Heyne Hardcore | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Im wundervollen Film Broken Flowers erstellt die von Bill Murray gespielte Hauptfigur eine Liste, auf der fünf Namen stehen. Er will diese Menschen besuchen, um sein einigermaßen verkorkstes Leben besser zu verstehen, vielleicht auch so etwas wie Wiedergutmachung zu betreiben oder Versöhnung zu finden. Daraus werden ein Trip in die eigene Vergangenheit und eine sehr ereignisreiche Reise durch die USA.
Man kann darin einige Parallelen zu Frank Brill erkennen, der Hauptfigur im neuen Roman von John Niven. Auch Brill hat nicht allzu viel Glück in Liebesdingen gehabt, seine drei Ehen sind nicht so zu Ende gegangen, wie er es sich gewünscht hätte, zwei Kinder hat er verloren. Auch er schreibt deshalb eine Liste, auf der fünf Namen stehen. Doch bei ihm handelt es sich nicht wie in Broken Flowers um ehemalige Geliebte, die erklären sollen, warum es damals nicht geklappt hat (und ob sie vielleicht die Mutter eines Sohnes sind, von dem er bisher nichts wusste). Auf der Liste stehen stattdessen Männer, denen es Frank Brill heimzahlen will. „Fünf Namen. Die Auswahl war teils persönlich, teils politisch motiviert, obwohl selbst das Politische noch ziemlich persönlich war.“
Wie man als Leser nach und nach erfährt, hat der ehemalige Zeitungsjournalist aus Indiana allen Grund, diese fünf Männer zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Wie man schon auf den ersten Seiten des Romans erfährt, hat er auch nichts mehr zu verlieren. Die Fuck-It-Liste beginnt mit der Szene eines Arztbesuchs, bei dem Frank Brill erfährt, was er schon ahnte und bisher verdrängt hatte: Er leidet an Krebs im Endstadium und hat maximal noch ein halbes Jahr zu leben. Wo andere Menschen nun eine „Bucket List“ erstellen mit all den schönen Dingen, die sie im Leben unbedingt noch erleben wollen, will er die ihm verbleibende Zeit nutzen, um Rache zu nehmen. Auch bei John Niven wird daraus so etwas wie eine turbulente (und bei ihm natürlich ebenso witzige wie blutige) Odyssee quer durch die USA, in deren Verlauf wir immer mehr über die Biographie des Protagonisten erfahren.
An einer Stelle im Buch wird auf Der Sportreporter von Richard Ford verwiesen, und mit dessen Hauptfigur teilt Frank Brill nicht nur den Vornamen. John Niven hat hier sehr bewusst einen Charakter erschaffen, an dem sich prototypisch der Kern seines Anliegens zeigen lässt: die Abrechnung mit den USA im Allgemeinen und Donald Trump im Besonderen.
Frank Brill ist Jahrgang 1966 (wie John Niven), lebt im uramerikanischen Mittleren Westen, vertritt den Mittelstand, den es in Amerika zunehmend nicht mehr gibt, und repräsentiert als ehemaliger Chefredakteur der Lokalzeitung eine sterbende Branche: Die Zahl der Printjournalistinnen und -Journalisten hat sich in den vergangenen zehn Jahren in den USA halbiert, ebenso die Zahl der Haushalte, die ein Zeitungsabo haben. Natürlich illustrieren diese Zahlen den Niedergang von Werten, auf die man in den Vereinigten Staaten eigentlich so stolz ist: Transparenz und Rechenschaft in der politischen Kultur, Meinungsfreiheit und respektvoller Umgang in der öffentlichen Debatte, Stolz auf den Zusammenhalt in der Region. John Niven siedelt seine Handlung im Amerika des Jahres 2026 an und macht damit überdeutlich, in welch rasantem Tempo diese Werte momentan erodieren, und welche Folgen das haben kann. „Frank Brill war einmal Chefredakteur einer Zeitung gewesen. Heute schätzte er sich glücklich, nicht mehr lange leben zu müssen“, heißt ein Satz gegen Ende seines Buches, und für diesen Fatalismus sind die gesellschaftlichen Entwicklungen mindestens genauso entscheidend wie die persönlichen Tragödien.
Im Szenario der Fuck-It-Liste, das vor der jüngsten Präsidentschaftswahl erschienen ist, hat Donald Trump gegen Joe Biden gewonnen, seine zweite Amtszeit zu Ende gebracht und danach die Präsidentschaft an seine Tochter Ivanka übergeben. Nach zehn Jahren Trumpism erkennt Frank Brill sein eigenes Land nicht wieder: Es gibt Quasi-Konzentrationslager für illegale Migranten, grassierende Polizeigewalt, Korruption, Chauvinismus und eine explodierende Kriminalität, getrieben von Armut und sozialer Spaltung.
Man könnte nun meinen, der schottische Autor arbeite sich hier wieder an seinen Lieblingsfeinden (quasi seiner persönlichen Fuck-It-Liste) ab, schließlich hat er Trump, Waffenfetisch, Fremdenfeindlichkeit, die Empörungsspiralen von Social Media, Homophobie und Bigotterie schon an anderer Stelle genüsslich auf die Schippe genommen. Natürlich können John-Niven-Fans auch hier ein paar seiner typischen Motive erkennen, auf Seite 11 wird erstmals eine Band erwähnt, auch Religionskritik findet sich wieder reichlich, ebenso Bezüge zu Golf und nicht zuletzt ein herrlich spöttischer Blick auf das Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten („Das war der Vorteil, wenn man in Amerika verrücktspielte: Immer gab es jemanden, der den eigenen Wahnsinn locker übertraf.“). Die Fuck-It-Liste unterscheidet sich in Tonalität und Setting aber erheblich von seinen letzten Romanen. Die größte Leistung dabei ist der auf genauer Kenntnis des politischen Klimas und aktueller Trends in den USA basierende Hinweis: Es braucht nur ein paar Jahre und eine angemessen pessimistische Fantasie, um aus diesen sehr realen Entwicklungen eine Dystopie zu machen.
„John Niven versteht unsere Ära besser als fast jeder andere“, hat Douglas Coupland über seinen schottischen Kollegen gesagt, und wenn man dieses Buch liest, versteht man dieses Kompliment mehr denn je. Niven trifft phänomenal (auch noch in der Übersetzung von Stephan Glietsch) den Duktus von Donald Trump in Reden und Interviews, ebenso den Tonfall von Locker-Room-Talk oder arrogantem Schwadronieren, den man bei seinen Anhängern findet. Dazu gehört etwa der Polizist Bob „Chops“ Birner, die zweite Hauptfigur dieses Romans. Auch er ist – wie alles in Die Fuck-It-Liste – nicht gerade facettenreich, aber die Kapitel über seine Ermittlungsarbeit werden im Plot ein wichtiges Gegenstück zum Rachefeldzug von Frank Brill. Noch ein Aspekt rettet dieses Buch davor, zu eindimensional zu sein: Brill ist keineswegs ein überzeugter Linker, der sich nun für seine Ideale opfern will. Er hat einst Reagan gewählt und sich in seinem gesamten Leben nie politisch aufgelehnt. Auch aus dem Wissen um diese Passivität und Duldsamkeit, durch die er sich mitschuldig an den gesellschaftlichen Zuständen gemacht hat, erwächst jetzt seine Wut. „Es war wirklich so: Der Prozess geschah schleichend, Stückchen für Stückchen, bis man eines Morgens an einem Ort erwachte, wo das Undenkbare erst denkbar, dann machbar und schließlich alltäglich geworden war“, stellt er fest.
Diese Warnung vor einem gefährlichen Wandel und der Blick auf unser aller Rolle (und Verantwortung) darin steht im Zentrum dieses Buches, das man durchaus als Plädoyer begreifen kann, denn Trumps gibt es natürlich auch anderswo auf der Welt, wo sie dann Farage, Orban, Le Pen oder Höcke heißen. Wie in vielen seiner bisherigen Romane ruft John Niven hier letztlich wieder (aber politisch expliziter) dazu auf, selbst zu denken und Dinge nicht hinzunehmen, die moralisch empörend sind. Auch wenn Die Fuck-It-Liste nicht so vulgär, hinterfotzig oder radikal ist wie manche seiner früheren Werke, so ist auch dieses Buch trotzdem wieder schockierend, nämlich durch seine tief verwurzelte Menschlichkeit, die mit einer unmenschlichen Realität kollidiert.
Bestes Zitat: „Auch das war etwas, das man erst mit zunehmendem Alter erkannte: Nur im Rückspiegel sah man sein Leben durch die rosarote Brille. Blickte man nach vorne, durch die Windschutzscheibe, dann waren da nur Panik und Chaos, weil alles viel zu schnell passierte.“