Autor | John Niven | |
Titel | Gott bewahre | |
Originaltitel | The Second Coming | |
Verlag | Heyne Hardcore | |
Erscheinungsjahr | 2011 | |
Bewertung |
Im Jahr 1609 (nach irdischer Zeit) ist Gott gerade recht zufrieden mit seiner Schöpfung. Kunst und Wissenschaft florieren, die meisten Menschen sind halbwegs fromm und friedlich. Er beschließt also, eine Woche (nach himmlischer Zeit) Urlaub zu machen, schließlich hat er einen ziemlich stressigen Job. Jesus soll so lange ein wenig nach dem Rechten sehen. Als Gott wiederkommt, ist auf der Erde das Jahr 2011 erreicht (ein Tag im Himmel entspricht 57 Jahren auf der Erde). Er lässt sich von seinem Team im Himmel ein Update geben, was seitdem dort unten passiert ist – und ist schockiert. Jesus hat offensichtlich lieber gekifft und mit Jimi Hendrix gejammt („Weiß du, was dein Problem ist? Du bist inkompetent, faul und nicht bei der Sache. Du glaubst, du könntest dich mit ein paar freundlichen Worten und einem albernen Grinsen durchs Leben schlawinern“, muss er sich als Tadel vom Papa anhören) statt das Geschehen auf der Erde im Blick zu behalten. Der Mensch durfte ungehemmt seinen freien Willen ausleben und die Ergebnisse sind katastrophal: Die Natur wird systematisch zerstört, im Namen der Religion gibt es reichlich Manipulation, Gewalt, Diskriminierung und Bereicherung auf Erden, und in moralischer Hinsicht kann man der Menschheit auch nur ein vernichtendes Urteil ausstellen: „Selbst auf einem Kongress von Vergewaltigern und Wucherern würde man mehr Sitte und Anstand vorfinden.“
Gott ist mächtig wütend, nicht nur auf seinen Sohn, sondern auch auf die Menschheit. Gegen die totale Vernichtung des Planeten entscheidet er sich nur, weil er den Rock’N’Roll so gerne mag, den die Menschen erfunden haben. Stattdessen setzt er auf eine bewährte Methode, um für Besserung zu sorgen: Er schickt seinen Sohn auf die Erde, der die Menschen zum Guten bekehren soll.
Aus dieser Ausgangslage macht John Niven einen großartigen, rasanten, extrem witzigen Roman, der schamlos ist und doch zutiefst menschlich. So toll wie die grundlegende Idee ist, so wunderbar sind die Details. Insbesondere die Dialoge im Himmel (der manchmal einem Großraumbüro, manchmal einer Orgie gleicht) sind herrlich, ebenso die Szenen im Fernsehstudio, in dem Jesus schließlich landet. Denn seine Reinkarnation führt ihn nach New York, wo er als Frontmann einer vor sich hin dümpelnden Rockband aktiv ist. Auch sein Einsatz als Samariter ist seit seiner Rückkehr wenig erfolgreich – ohne Geld und fast ohne Unterstützung kann er kaum etwas ausrichten. Als er sich allerdings für eine Castingshow anmeldet, winken ihm ganz neue Möglichkeiten: Ruhm und Popularität will er nutzen, um das (wahre) Wort Gottes vor einem Millionenpublikum zu verkünden, das Geld aus Plattenverkäufen und Werbeverträgen soll helfen, die Ausgestoßenen und Abgehängten zu unterstützen.
Gemeinsam mit seinen Freunden macht er sich nach dem ersten Casting auf den Weg nach L.A. (natürlich zeichnet dieser Roadtrip die Reise nach Westen der ersten Siedler nach) und weist unterwegs und dann während der Show alle darauf hin, wie anmaßend es ist, in Gottes Namen irgendwelche Vorschriften erlassen (und damit meist auch ein paar Privilegien für sich selbst beanspruchen) zu wollen. Das ist erstaunlich aktuell in Zeiten, in denen die hier schon als unrettbar kaputt geschilderten USA zusätzlich noch eine Präsidentschaft von Donald Trump ertragen müssen, zu dessen Anhängern mit Evangelikalen, Waffenlobby und Abtreibungsgegnern einige der Gruppen gehören, die in Gott bewahre ihr Fett wegkriegen. Niven nutzt seinen Rockstar-Jesus für eine Botschaft, die natürlich auch seine eigene ist: Es geht um Nächstenliebe, Solidarität, Anstand und Integrität, zusammengefasst in den Worten „Seid lieb“, dem einzigen tatsächlich von Gott vorgesehenen Gebot.
Der oft brutale Sarkasmus, den man bei diesem Autor kennt, findet sich auch hier, er wird allerdings gepaart mit einem erstaunlichen moralischen Appell. Dieser bezieht sich sowohl auf die persönliche Ebene, wie man das etwa in Nick Hornbys How To Be Good erleben konnte, hinzu kommt bei John Niven aber viel stärker der Blick auf die gesellschaftliche und systemische Ebene. Nicht nur Religion und Kirche werden hier demontiert, sondern auch Musikindustrie und Fernsehbranche entlarvt, letztlich das gesamte kapitalistische Wertesystem. Natürlich wird auch die große Musik-Leidenschaft des Autors (Niven war vor seiner Laufbahn als Schriftsteller als A&R-Manager einer Plattenfirma in England tätig) hier wieder deutlich, besonders gerne als enttäuschte Liebe und mit vielen kleinen Bonbons für Indie-Fans. An vielen Stellen kann man hier die Kraft spüren, die Musik – im Himmel wie auf Erden – haben kann. Etwa die Performance von Bruce Springsteens Born To Run in einer Folge der Castingshow ist so fesselnd beschrieben, dass man das liebend gerne miterlebt hätte oder zumindest gerne ein YouTube-Video davon hätte. „Die Armseligkeit ihrer Erfahrungen fällt den meisten Menschen doch erst auf, wenn man sie mit der Nase auf etwas wahrhaftig Großartiges stößt. Den Rest der Zeit glauben sie, alles wäre gut so, wie es ist“, heißt es dazu an einer Stelle.
Der ultimative Pluspunkt an Gott bewahre ist, wie konsequent John Niven seine Idee verfolgt und wie großartig er dabei seine Lust auf Boshaftigkeit mit einem überzeugenden, sogar aufrüttelnden Plädoyer fürs Gutsein kombiniert, ohne dass es jemals nach erhobenem Zeigefinger klingt. Man kann hier oft herzlich lachen, auch auf Kosten der üblichen Übeltäter unserer Zeit, denen man sich dann moralisch überlegen fühlen kann. Beinahe genauso oft muss man sich allerdings ertappt fühlen bei der Beschreibung von Situationen oder Missständen, in denen man selbst dem einfachen Grundsatz von „Seid lieb“ nicht gerecht wird.
Bestes Zitat: „Politik. Geld. Ehrgeiz. Publicity. Ego. Die üblichen Gründe eben, aus denen etwas passierte.“