Autor | John Niven | |
Titel | Kill ʼem all | |
Verlag | Heyne Hardcore | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Steven Stelfox, Fans von John Niven bestens bekannt als Musikmanager in Kill Your Friends (2008) und Juror in einer Castingshow in Gott bewahre (2012), lässt es mittlerweile – vermeintlich – etwas ruhiger angehen. Er ist 47 Jahre alt, genießt dank seines Vermögens von rund 300 Millionen Dollar die schönsten Orte der Welt, hat Alkohol und Drogen weitgehend abgeschworen, selbst seine Libido scheint ab und zu eine Verschnaufpause einzulegen. Wenn ein interessanter Auftrag oder ein exorbitantes Honorar winken, lässt er sich als Berater engagieren, um ein bisschen Spannung in seinen Alltag und noch ein bisschen mehr Geld auf sein Konto zu bringen.
So ist es auch jetzt, Anfang des Jahres 2017: Sein ehemaliger Kollege James Trellick bittet ihn in einer heiklen Angelegenheit nach Los Angeles. Bald gehört Stelfox zu den wenigen Eingeweihten einer pikanten Geschichte rund um Lucius du Pre, der bis vor wenigen Jahren der größte lebende Popstar war und nun kurz vor einem Comeback steht. Das Problem: In der Zeit dazwischen hat der Sänger, „ein etwas zu groß geratenes Kleinkind mit einem Gotteskomplex“, sich auf seiner riesigen Ranch vor allem mit Drogen, Disneyfilmen, verschreibungspflichtigen Medikamenten und minderjährigen Jungs die Zeit vertrieben. Bei einem dieser Missbrauchsfälle lief eine versteckte Kamera, und die Eltern des vergewaltigten Connor Murphy erpressen nun den Star. Wenn das entstandene Video an die Öffentlichkeit gelangt, sind nicht nur der Ruhm und die Karriere von Lucius du Pre ruiniert, sondern auch seine Plattenfirma. Stelfox soll eine Lösung finden und hat schon bald einen Plan.
John Niven macht aus dieser Ausgangssituation wieder ein grandios hinterfotziges Buch, bei dem es für Fans der Popkultur etliche Schmankerl gibt (nicht nur die offenkundigen Parallelen zwischen Lucius du Pre und Michael Jackson). Sein größtes Pfund ist die Hauptfigur: Steven Stelfox ist zwar 20 Jahre älter als bei seinem ersten Auftritt, aber er geht notfalls weiterhin über Leichen und ist auch hier wieder gierig, gemein, niederträchtig, homophob, mysogyn und missgünstig, was besonders zur Geltung kommt, weil er in Kill ʼem all als Ich-Erzähler auftritt.
Dass diese Figur – so brutal und schockierend wie das Metallica-Debütalbum, das denselben Titel wie dieser Roman trägt – nicht bloß 1996 so schillernd war, sondern auch im Jahr 2017 bestens aufgehoben ist, versteht sich von selbst. Stelfox ist glühender Fan von Donald Trump, der die Nachrichten dominiert und auf den gut 300 Seiten des Buchs immer wieder prominent auftaucht, genauso wie Banker, Killer, durchtriebene Anwälte, schamlose Karrieristen und Nazis. Es gibt keine einzige sympathische Figur in Kill ʼem all, nicht einmal mit dem missbrauchten Connor Murphy kann man richtig Mitleid haben.
Rund um diesen Helden in dieser Ära schafft es John Niven, hier besonders clever mit dem Lektürevertertrag zwischen Autor und Leser zu spielen: Sein Steven Stelfox macht uns mit jedem Satz deutlich, dass wir ihm alles zutrauen sollten und keinerlei Moral erwarten dürfen. Er ist überzeugt, dass sein Blick auf die Welt der richtige ist, dass er kein Extrem repräsentiert, sondern letztlich nur vernünftig (das meint in seiner Perspektive: maximal egoistisch) auf die Bedingungen reagiert, die er in der Welt vorfindet. Welche Kaltblütigkeit und Eskalation es dann zu erleben gibt, macht trotzdem fassungslos, und Stelfox (der den Leser in Kill ʼem all immer wieder auch direkt anspricht, besonders gerne mit Kalendersprüchen oder Ratschlägen für ein erfolgreiches Leben) würde dazu natürlich sagen: Lieber Leser, das ist dein Problem, du verfickter Loser.
Zugleich kann man natürlich beträchtliche Parallelen zwischen dem Autor und seinem Ich-Erzähler feststellen: Sie teilen Spott, Zynismus und Verachtung von Dummheit. Aber aus dieser Konstellation arbeitet John Niven meisterhaft, sehr subtil und stets nur implizit den entscheidenden Unterschied heraus: Er verfügt, anders als der von ihm erschaffene Romanheld, über Haltung und Interesse an seinen Mitmenschen. Wenn er, gebrochen durch das Stelfox-Prisma, die Taktiken von Donald Trump betrachtet, Populismus, Rassismus, Brexit, die Wirkungsweisen von Verschwörungstheorien oder Turbokapitalismus, dann sprechen daraus auch Fassungslosigkeit und nicht zuletzt Empörung. Als Zukunftsprognose wird in diesem Roman „ein endloser Fackelmarsch schreiender, Mistgabeln schüttelnder Weißer“ heraufbeschworen, „eine Welt, in der Macht sich nicht nur selbst rechtfertigt, sondern alles ist, was zählt. In der das Geld die Welt nicht nur regiert, sondern sie plattmacht. Sie in Schutt und Asche bombt.“ Natürlich ist das die Trennlinie: Stelfox freut sich auf so eine Welt, weil er sicher ist, darin zu den Gewinnern gehören zu können. John Niven fürchtet sie und möchte mit Büchern wie diesem wohl auch einen Beitrag dazu leisten, sie zu verhindern.
Die Geschichte, die er in Kill ʼem all rund um Inszenierung, Spekulation und Manipulation auf diversen Ebenen entwirft, ist so unterhaltsam und rasant, dass Plausibilität fast keine Rolle mehr spielt. Aber der postfaktische Zeitgeist hilft dem Autor, selbst die schrägsten Ideen und spektakulärsten Wendungen halbwegs glaubhaft erscheinen zu lassen, bis hin zu seiner sehr lässigen Schlusspointe. Auch da kann man in seinem Werk eine Parallele zu Steven Stelfox erkennen: Er testet Grenzen aus und überschreitet sie – und er kommt damit durch.
Bestes Zitat: „In Amerika wird man behandelt wie ein König. Das einzige Problem dabei ist, dass man wie ein Kaiser mit dem Geld um sich werfen muss, um in diesen Genuss zu kommen. Wer sein Geld nur wie ein König unter die Leute bringt, wird behandelt wie ein Prinz, und so geht es immer weiter, bis zu den Menschen, die kein Geld zum Verprassen haben und dementsprechend behandelt werden wie der letzte Dreck.“