Künstler*in | Jon Hopkins | |
Album | Music For Psychedelic Therapy | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Domino / Steve Gullick |
Man kann diesen Albumtitel sicher etwas angeberisch finden. Musik als Therapie? Und diese dann auch noch psychedelisch? Selbst für einen preisgekrönten Produzenten und Komponisten wie den 1979 in London geborenen Jon Hopkins dürfte das etwas hoch gegriffen sein. Allerdings darf man auch anmerken: Viele Künstler*innen empfinden die Möglichkeit, sich kreativ ausdrücken zu können, selbst als heilsam beim Umgang mit der Welt. Die Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft hat rund 1500 Mitglieder, und auch die Idee, zur Heilung insbesondere psychischer Leiden auch auf psychedelische Mittel zu setzen, wird derzeit durchaus seriös verfolgt. So gibt es momentan eine Praxis in Berlin, die sich für Therapien mit LSD einsetzt und derzeit schon Ketamin kontrolliert verabreicht. In Mannheim und an der Charité laufen Studien, in denen die von sogenannten Zauberpilzen gebildete Substanz Psilocybin zur Behandlung von Depressionen eingesetzt wird.
Was Jon Hopkins auf seinem sechsten Soloalbum als heilsam betrachtet, ist angesichts seiner früheren Veröffentlichungen nicht allzu überraschend. Man kann das Wesen von Music For Psychedelic Therapy zusammenfassen mit: Ruhe, Natur und Klavier. Die neun hier enthaltenen Stücke haben eine Durchschnittslänge von mehr als 7 Minuten, viele Passagen haben dabei so wenig Struktur, dass man die Frage stellen kann, ob dies überhaupt schon/noch Musik ist. Aber die Ergebnisse haben auch immer genug Schönheit, um darauf letztlich eine klare Antwort zu geben.
Welcome eröffnet das Album mit einer Glocke, vielleicht einer Harfe, später einem Synthie-Bass und dazu einem Ton, der immer wieder in einer Spirale höher wird. Es ist eines von drei Stücken auf Music For Psychedelic Therapy, das er mit dem Ambient-/Esoterik-Duo 7Rays produziert hat. Dazu gehören auch Ascending, Dawn Sky, das sich rund um eine verlorene Klaviermelodie anordnet, und Arriving, in dem man ausnahmsweise eine menschliche Stimme hören kann, die allerdings bloß summt statt singt.
Als zentrales Stück der Platte kann man wohl Tayos Caves, Ecuador betrachten, das aus drei ineinander übergehenden Teilen mit insgesamt rund 19 Minuten Spielzeit besteht. Die drei Stücke setzen neben der reduzierten Geige von Emma Smith auch auf Field Recordings wie Wasserrauschen, Vogelzwitschern, Regen, Wind und Insektengeräusche, auch dadurch scheinen sie mit dem sanften Beginn, den tieferen Sounds im zweiten Teil und dem Gefühl von erwachendem Leben zu Beginn des dritten Teils den Wechsel von Tag-Nacht-Tag in der namensgebenden Höhle in den Anden darzustellen.
Dazu kommen Love Flows Over Us In Prismatic Waves, das wie viele Songs von Jon Hopkins schwebend, wohlig, zerbrechlich und abstrakt klingt, und dabei ganz weit hinten auch irgendetwas Verstörendes zu verstecken scheint. Die Synthie-Flächen von Deep In The Glowing Heart scheinen tatsächlich mit einem Herzschlag aus einer Ultraschall-Aufnahme kombiniert worden zu sein.
Den Abschluss der Platte bildet Sit Around The Fire, das auch den deutlichsten Hinweis auf den Albumtitel enthält. Denn das Stück ist a) mit East Forest produziert und enthält b) Samples einer Vorlesung aus dem Jahr 1975, die Ram Dass (ein ehemaliger Psychologie-Professor aus Harvard und Weggefährte von Timothy Leary, der sich dann nach seinem Rauswurf aus der Elite-Uni dem Hinduismus und dem Thema Bewusstseinserweiterung zuwandte) gehalten hat. Der Vortrag, hier untermalt von Klavierakkorden, die diesmal etwas mehr Präsenz und Nachdruck haben, enthält Weisheiten wie „You aren’t who you thought you were, you just aren’t that person“, „The real work you have to do is in the privacy of your own heart“ oder „Everything in you that you don’t need, you can let go.“ Ob das als Therapie besser funktioniert als chemische Hilfsmittel, sollen vielleicht lieber dafür qualifizierte Forscher*innen herausfinden. Music For Psychedelic Therapy funktioniert zum Runterkommen und Genießen in jedem Fall besser als Lagerfeuer-Fernsehen oder Entspannungs-Apps.