Julia Shapiro Zorked

Julia Shapiro – „Zorked“

Künstler*in Julia Shapiro

Julia Shapiro Zorked Review Kritik
Nahe an der Selbstauflösung ist Julia Shapiro auf „Zorked“.
Album Zorked
Label Suicide Squeeze
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Man hätte eigentlich den Eindruck haben können, es liefe ganz gut bei Julia Shapiro. Sie ist erfolgreich und umjubelt als Mitglied von Chastity Belt, Childbirth und Who Is She? Auch ihr erstes Soloalbum unter eigenem Namen fand 2019 viel Anklang. Der Musikexpress lobte Perfect Version als „berührend, antiquiert und tagesaktuell zugleich“, das Paste Magazine fand ihre Melodien „zugleich wunderschön als auch tastend“, Allmusic erkannte darin „mutige, kraftvolle Musik mit Herz und Verstand“.

Den Nachfolger hat sie nun dennoch Zorked genannt, sie sagt sogar, dass jeder andere Titel für diese zehn Songs ihr prätentiös vorgekommen wäre. Man kann dieses Adjektiv vielleicht als eine heftigere Variante von „die Arschkarte gezogen“ übersetzen, allerdings vermischt mit einem Element der Betäubung. Nichts stimmt mehr, wenn man zorked ist, es gibt ein Gefühl tiefer Verunsicherung und einen Kater, ohne dass es davor überhaupt ein High gegeben hätte.

So fühlte sich Shapiro auch, weil ihr Corona mächtig in die Quere kam. Aus Seattle zog sie im März 2020 nach Los Angeles – und landete dort mitten im Lockdown. „Mir ist klar, dass in dieser Zeit jeder das Gefühl hatte, seine Identität zu verlieren. Aber für mich war es noch extremer. Ich hatte keine Freunde. Ich war allein. Ich fragte mich: ‚Warum bin ich hier?‘ Einfach jeden Tag: ‚Warum bin ich hier?'“, erzählt sie über diese Phase. Wie schon auf Perfect Version fand sie einen Ausweg in der Musik, und wie damals spielte sie erneut fast alle Instrumente selbst zuhause ein. Ihre Mitbewohnerin Melina Duterte (Jay Som) hat dort ein Studio eingerichtet, sie hat Zorked auch co-produziert.

Der Eindruck einer tiefen persönlichen Krise wäre dabei auch ohne den drastischen Albumtitel unverkennbar. In Wrong Time sieht sich Shapiro “stuck inside this hole I’ve dug”, aber es wird mit so schönem Harmoniegesang intoniert, als sei dieses Loch der schönste Ort auf Erden. Ähnlich arbeitet Hellscape: Dort lautet die zentrale Aussage „Fuck it all“, sie wird allerdings so hübsch verpackt wie eine Einladung zum Nachmittagstee bei den alten Damen, die immer den Kuchen für den Kirchenbasar backen. “Take me to awful places now”, lautet die Bitte in der Single Come With Me, die nach einem (sehr unerfreulichen) Pilz-Rausch entstanden ist.

Die Musik dazu ist ohne Zweifel Rock, aber eben so, wie man das von ihr kennt: ohne Vorwärtsdrang, ohne Lust auf Posen und ohne das Versprechen permanenter Party. Der Album-Auftakt Death (XIII), benannt nach der gleichnamigen Tarot-Karte, zeigt das gut: Das Schlagzeug klingt, als müsse es sich durch ein Sirup quälen, die Stimme wird mit viel Hall entrückt, um den Wunsch nach „Holding on to something concrete“ noch etwas hoffnungsloser erscheinen zu lassen, die Gitarre ist maximal düster und heavy.

Someone erzählt von einem nur noch körperlich anwesenden Partner, der damit offenbart, dass er nie richtig committed war. „I’m just the means to your shitty end / someone to fuck, someone to call a friend / I know I’m not the one you want / a blank sheet for you to project on“, singt Julia Shapiro, die hier ihrem Twitter-Namen „cool_slut“ alle Ehre macht, denn die Schärfe dieses Texts lässt ebenso wie der trockende Sound in der Gitarre und dem Beat an Courtney Barnett denken. Wie die Australierin hat sie auch einen sehr wachen Blick für die kleinen Absurditäten und übergriffigen Anekdoten des Alltags, wie Do Nothing About It zeigt, das musikalisch wie eine träge und traumatisierte Version der Cardigans wirkt. “Some guy with a stupid face told me to smile more / such good advice, I’ve never thought of doing that before”, lauten zwei Verse darin, und natürlich weiß sie, dass dieser Tipp nicht funktioniert, denn sie hat mit ihrem Kummer die Erfahrung gemacht: “It’s not going away / because you want it to stay.” Pure Bliss würde wunderbar zu My Bloody Valentine passen mit seinem ungewöhnlichen Gitarrensound, der verwunschenen Atmosphäre und der wunderhübschen Melodie, die darin versteckt ist.

Hall Of Mirrors schließt die Platte mit einem akustischen, zerbrechlichen und selbstvergessen Arrangement ab, die Künstlerin äußert darin den Wunsch, sich selbst aufzulösen, und so klingt es auch. Auch Reptile Reptile wird ein eher reduzierter Moment, mit einer Trompete im Hintergrund und einem bloß geflüsterten Text. Passenderweise bringt der Titelsong Zorked die Wirkung des Albums perfekt auf den Punkt: Es ist komplex und sogar rätselhaft, trotzdem klar in seiner Wirkung und Aussage.

Ziemlich rätselhaft ist auch das Video zu Come With Me.

Julia Shapiro bei Bandcamp.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

Alle Beiträge ansehen von Michael Kraft →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.