Juse Ju, Distillery, Leipzig

Juse Ju Interview
Juse Ju ist mit „Shibuya Crossing“ erstmals als Headliner auf Solotour. Foto: Check Your Head

Die Distillery ist eine der legendärsten Locations in Leipzig. Seit mehr als 25 Jahren ein Garant für Party, eine Hochburg der Clubkultur. Ich wohne seit ungefähr 10 Jahren nur einen Kilometer von diesem Club entfernt, den viele Leipziger „Tille“ nennen. Und ich war trotzdem noch nie drin. Das liegt vor allem daran, dass ich keine Leute kenne, die Techno lieben (der traditionelle Schwerpunkt im Programm). Auch Events, die neuerdings dort stattfinden (wir alle wissen: ein durchschnittlicher Poetry Slam ist viel weniger unterhaltsam als die Lektüre eines beliebigen Textes auf Shitesite), haben mich nicht gerade unwiderstehlich angelockt.

Das gilt normalerweise auch für Rap-Konzerte. Natürlich gibt es famose Livekünstler im Rap wie Deichkind oder Cypress Hill oder Käptn Peng, aber seien wir ehrlich: Die Idee, dass da jemand in sein Mikro spricht, zu Beats aus der Konserve, erscheint für alle, die schon einmal The Who oder Arcade Fire oder wenigstens Scooter live erlebt haben, überschaubar reizvoll. Wie falsch diese Einschätzung ist, beweist Juse Ju an diesem Abend in Leipzig. Alles, was ein Konzerterlebnis bieten sollte, steckt hier drin: Atmosphäre, Euphorie, Spontaneität, Gemeinschaft und Überraschung.

Juse Ju Leipzig Konzertkritik
Juse Ju verwandelt die Distillery in eine Sauna.

Es ist eine doppelte Premiere. Ich bin zum ersten Mal in der Distillery, für Juse Ju ist es das erste Konzert einer Solo-Tour als Headliner. Dass er dafür mittlerweile längst eine ausreichend große Zahl an Fans hat, war schon beim Kosmonaut klar, wo wir uns zum Interview getroffen hatten. „In dieser Festivalsaison merke ich wirklich den Unterschied zu früher. Da kannten mich die meisten Leute nicht, oder höchstens einen Song. Heute war das ganz anders. Gleich beim ersten Song gab es ein Moshpit!“, hatte Juse Ju damals erkannt. Dieser Trend bestätigt sich in Leipzig, die Show ist ausverkauft, die Fans sind auch bei älteren Tracks (Rebound Boy kündigt Juse Ju an als „einen Klassiker, das heißt: ein Stück, das niemand kennt“) textsicher und praktisch durchweg aus dem Häuschen.

Schon Curly Man hatte zum Beginn des Abends für beste Stimmung gesorgt und seinen Job als Warm-Up sehr wörtlich genommen: Als Juse Ju um Punkt 21 Uhr auf die Bühne kommt, ist in der Distillery schon ein reichlich fieser Temperaturbereich erreicht. „Ziemlich heiß hier“, stellt Juse Ju nach dem Opener German Angst fest und zitiert ganz kurz The Heat Is On. Freilich führen ca. 45 Grad Celsius keineswegs dazu, dass in der Distillery weniger hart gefeiert wird. Nach einer guten halben Stunde will Juse Ju wissen, wer noch mit ihm in die Sauna kommt, verwirft diese Idee dann aber wieder, weil die Rückmeldung aus dem Publikum eher eine Sausage-Party befürchten lässt.

Die Show beschränkt sich lange Zeit weitgehend auf einen feinen Mix aus Tracks vom aktuellen Album Shibuya Crossing und älteren Favoriten wie Übertreib nicht deine Rolle, das als zweiter Song des Konzerts erklingt. Nach Pain Is Love gibt es ein bisschen mehr Action: Juse Ju lässt sich vom Merch-Stand sein Skateboard auf die Bühne bringen und probiert dort einen Kickflipp. Es klappt zwar erst im dritten Versuch und auf Kosten eines schmerzendes Mittelfußes, unterstreicht aber eine wichtige Komponente für seinen Appeal, denn die Botschaft lautet: Die Sachen, die ich mache, liebe ich wirklich – egal, ob skaten oder rappen. Ich will sie immer machen (deshalb nehme ich mein Skateboard mit auf Tour) und sie dürfen auch wehtun. Es ist sogar okay, wenn ich dabei manchmal wie ein Honk aussehe.

Es ist diese Attitüde, die am meisten zum Spaß an diesem Abend beiträgt, denn genau diese Leidenschaft zeigt sich auch im Publikum. Eine verschworene Community, natürlich mit eigener Mode, eigenen Moves und eigenen Codes, feiert in der Distillery ihren Zusammenhalt – so ausgeprägt lässt sich das sonst allenfalls noch bei Punkshows beobachten. Die Bereitschaft, sofort und voll mitzugehen, ist riesig, kein Mensch besteht darauf, cool zu bleiben oder sich abzuheben, genau deshalb entsteht eine Stimmung, die überraschend herzlich ist und umso angenehmer.

Das wird besonders deutlich, als die Überraschungen einsetzen. Propaganda wird auch ohne Danger Dan hart gefeiert, Justus BWL wird ein Höhepunkt, ebenso Lovesongs, der Cloudrap klingt in der reduzierten Liveversion noch wirkungsvoller als auf Platte. Und dann kommt für 7Eleven tatsächlich Fatoni auf die Bühne, der die Stimmung (und die Temperaturen) dann auch mit Modus und Gravitationswellen (die Videos zu diesen beiden Tracks hat übrigens der Leipziger Arvid Wünsch gemacht, der heute auch vor Ort ist, verrät Juse Ju) noch einmal in neue Höhen bringt, inklusive Crowdsurfing.

Juse Ju Fatoni Leipzig Distillery
Guckt mal Leute, dieser krasse Typ macht für mich den Roadie: Juse Ju begrüßt Fatoni.

Dass Fatoni und Juse Ju dicke Buddys sind, weiß wohl jeder im Publikum. Auf einen besonderen Freundschaftsbeweis weist Juse Ju dann aber noch hin, was noch ein Beleg dafür ist, dass er zwar alles gibt, wenn es um Battle-Rap geht, aber sonst wunderbar uneitel ist: Zur Show in Leipzig hatte er vergessen, sein MPC einzupacken. „Das ist so, als ob Grönemeyer auf der Bühne steht und dann plötzlich merkt: Oh, meine Band ist ja gar nicht da“, erklärt er. Die Lösung hieß Fatoni: Der bekam einen Anruf, packte das Gerät kurzerhand ein und kam die gut 160 Kilometer aus Berlin angereist, sodass die Fans in Leipzig sich dank der Verpeiltheit des Haupt-Acts jetzt noch unverhofft über ein ziemlich spektakuläres Feature freuen dürfen.

Die nächste Überraschung ist ein neuer Song, den Juse Ju zum Abschluss des regulären Sets mit Curly Man performt, passend zu diesem Abend hat er den Titel Sweaty Dudes With Attitudes und ist, kurz gesagt, mega. Als Zugabe gibt es Berliner Partybullen und Shibuya Crossing – und die Gewissheit: Rap im Konzert funktioniert bestens, wenn man einen Act auf der Bühne hat, der mit so viel Herz und Hirn agiert, und ein Publikum am Start ist, das genau diese beiden Zutaten möglichst hart feiern will.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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