Juse Ju – „Shibuya Crossing“

Künstler Juse Ju

Shibuya Crossing Juse Ju Review Kritik
Als sein erstes „richtiges“ Album sieht Juse Ju „Shibuya Crossing“.
Album Shibuya Crossing
Label Juse Ju
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

Madonna hat es in Jump getan, ebenso Kanye West (Stronger), die Killers (Read My Mind), die Black Eyed Peas (Just Can’t Get Enough) und die Manic Street Preachers (Motorcycle Emptiness): Sie alle haben ein Video in Tokio gedreht, mit Bildern der berühmten Kreuzung im Stadtteil Shibuya mitten in der japanischen Hauptstadt. Das Motiv voller Wolkenkratzer und Neonlichter steht, ähnlich wie der Times Square in New York oder Londons Piccadilly Circus, für die ultimative Urbanität, für den Glamour von Moderne und Metropole.

Juse Ju hat nun auch dort gedreht, sogar sein viertes Album Shibuya Crossing genannt. Es ist allerdings keineswegs der Versuch eines Mannes, dessen Heimatort Kirchheim ob Teck in der schwäbischen Provinz ist, sich mit etwas Großstadtflair interessanter zu machen. Der 1983 als Justus Hüther geborene Rapper hat als Kind tatsächlich mehrere Jahre in Tokio gelebt. Sein Vater hatte dort beruflich zu tun, im Titelsong Shibuya Crossing blickt er nun auf diese Familiengeschichte zurück, erinnert sich an „wunderbare Jahre“ und formuliert dabei vor allem ein Dankeschön an den großen Bruder.

Der Gegenpol dazu wird ebenfalls thematisiert, gleich zum Beginn der Platte. In Kirchheim Horizont (dieses „Kirchheim“ ist vielleicht der provinzigste aller deutschen Ortsnamen) thematisiert er Mopeds, Dorfjunkies, Fußball am Sonntag und Bongrauchen auf der Wiese. Es steckt darin keine Überheblichkeit des mittlerweile in Berlin lebenden Künstlers, aber auch keine Verklärung. Vielmehr wird ein Widerspruch zwischen Heimat und Wahlheimat skizziert, der sich etwa auch in den Songs von Zugezogen Maskulin immer wieder findet: Im Dorf gibt es Ordnung, Orientierung, Zuhause – zugleich empfindet man bei der Rückkehr dorthin Fremde und Anderssein, weil man mehr von der Welt gesehen hat als alle, die dort aufgewachsen und geblieben sind. Juse Ju hat wohl seinen Frieden mit Kirchheim gemacht: „Ich will zurück nach Hause“, lautet eine der Zeilen.

Bordertown ist der dritte Track, der schon im Titel geografisch verortet wird und eine weitere wichtige Station im Lebenslauf von Juse Ju in den Blick nimmt: Mit 17 landete er, wieder durch den Job des Vaters, in El Paso. Beinahe in Storytelling-Manier rappt er nun über die Präsenz von Gewalt und Mafia, von High-School-Freundschaft und den Verlockungen und Gefahren, die es dort, auf der anderen Seite der Grenze in Mexiko, nicht nur für Teenager gab. Diese Auswahl zeigt schon: Wenn Juse Ju im Interview erzählt, dies sei „sein persönlichstes Album“, ist das nicht gelogen. Das gilt allerdings nicht nur wegen der biografischen Verankerung, sondern gerade auch durch das, was zwischen den Stationen im Lebenslauf als Konstante und wohl auch als Matrix und Schmiermittel existierte: seine unbändige Leidenschaft für HipHop und Rap.

Seinen Status als Außenseiter, der wie bei den Vorgängern Yo, HipHop hat mein Leben zerstört (2009), Übertreib nicht deine Rolle (2014) und Angst & Amor (2015) nicht einverstanden ist mit den üblichen Spielchen im Deutsch-Rap und schon gar nicht dabei mitspielen möchte, pflegt Juse Ju auch hier wieder mit extrem scharfer Zunge und einem Höchstmaß an (Selbst-)Ironie. „Zu meinem Glück geht es im deutschen Rap nicht um Musik“, meint er im wunderbar mies gelaunten Justus BWL, das auch ein bisschen Lust auf Dada zeigt. In 7Eleven (mit den langjährigen Wegbegleitern Edgar Wasser und Fatoni) feiern sich die Beteiligten selbst, jeder für sich, vor allem aber als Team.

Für Knete teilen schaltet er in den Battle-Modus. „Vielleicht kommt ja mal der Tag, bei einem Label zu signen / doch ich hab bisher keinen Bock, meine Knete zu teilen“, ist eines der Argumente für sein Bestehen auf Unabhängigkeit und Souveränität, später folgt der schönste Zweizeiler des Albums: „Rap ist wie Jackass: Wer die dümmste Scheiße macht, gewinnt / und ich werde euch allen beweisen, dass ich das bin.“ Große Festivals, Charts, Majorlabel – all das erscheint in Fake it ‘till you make it verlockend nah und wäre vielleicht um den Preis einer kleinen Lüge, eines bisschens Verbiegen zu erreichen. Passend dazu ertönen dann gleich eine niedliche Spieluhr und Autotune. Ohne es zu sagen, zeigt Juse Ju damit: Ich bin real.

Dass dies auf Shibuya Crossing auch jenseits von Credibility-Prahlerei zutrifft, beweisen gleich mehrere Tracks, die den persönlichen Charakter der Platte unterstreichen. In Ansätzen gilt das schon für Pain Is Love, seine Hymne aufs Skateboardfahren. Noch deutlicher wird es in Milka Tender, in dem Juse Ju – begleitet vom himmlischen Background-Gesang von Luko – von einer Horrornacht mit Absturz, Drohungen und Liebeskummer erzählt. Lovesongs nimmt bei seinen Schwierigkeiten mit Frauen sehr hellsichtig den Anteil in den Blick, den er selbst daran hat, und kommt zum paradoxen Schluss: „Ich bin so emotionslos, ich könnte heulen.“ Juse Ju erkennt: Nicht nur im Rap, sondern auch in einer Beziehung soll für ihn alles möglichst echt sein, aber das ist schwierig, wenn er selbst Angst davor hat, sich zu binden und zu offenbaren.

Der Song zeigt eine seiner größten Stärken: Die Fähigkeit zur Analyse richtet sich bei Juse Ju auf die Schwächen der Gegner, viel mehr aber auf ihn selbst, auf seine eigenen Fehler. Auch beim kritischen Blick auf gesellschaftliche Phänomene steht er nicht über den Dingen, sondern ist Teil der Maschinerie – zwar nicht ignorant wie viele andere, aber trotzdem mitschuldig. Propaganda beweist das, ein Track, der nicht nur wegen der Mitwirkung von Danger Dan zum Highlight des Albums wird: Verschwörungstheoretiker werden auch in einigen anderen Momenten von Shibuya Crossing lächerlich gemacht, aber hier zeichnet Juse Ju sehr präzise den Weg nach, der von Fake-News-Gläubigkeit zur Verweigerung von Fakten führt, damit auch zur Verweigerung von Wissen – und damit letztlich dazu, dass Debatten unmöglich werden und damit die Möglichkeit zur Erweiterung des eigenen Horizonts, zur Persönlichkeitsentwicklung ausgeschlossen ist.

Im Sound fährt der Cloudrap als Schlusspunkt der unter anderem von Dexter, Torky Tork und Yourz produzierten Platte am meisten auf. Plötzlich bekommt das Album in diesem Moment eine große Eleganz, sehr passend zur ironisch entrückten Perspektive, mit der Juse Ju behauptet: „Jungs, die schweben / können nicht gewogen werden.“ Da ist im Cloudrap aber noch etwas, und auch das passt zum besonders introspektiven Ansatz von Shibuya Crossing, weil es immer wieder auch in den vorherigen Songs schon durchschien: Es gibt eine gespielte Hysterie, aus der man eine ziemlich echte Traurigkeit heraushören kann.

Pünktlich zum Refrain kommen im Video zu Shibuya Crossing die Neon-Reklamen.

Website von Juse Ju.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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