K. Flay, Werk 2, Leipzig

K. Flay Leipzig Werk 2
Fast alle Lieder vom neuen Album „Solutions“ spielt K. Flay.

Ganz in weiß kommen K. Flay und ihre beiden Mitstreiter auf die Bühne des Werk 2 in Leipzig. Man kann diese Farbwahl vielleicht für ein Symbol von Unschuld und Sauberkeit halten, passend zum betont konstruktiven Ansatz, der das aktuelle Album Solutions prägt. Vielleicht ist es auch eine Reminiszenz an die sommerliche Leichtigkeit der kalifornischen Heimat, nach der die Sängerin, ihr Schlagzeuger und der Gitarrist/Bassist hörbar Sehnsucht haben. Nach einer Weile wird aber klar, woran diese Outfits wirklich erinnern. Die Hose hat Risse, das T-Shirt steckt ziemlich chaotisch darin, einen Gürtel gibt es auch nicht: Das sind Klamotten für die Psychiatrie.

Dass man damit nicht ganz falsch liegt, macht der Abend in Leipzig mehr als deutlich. Schon im Intro gibt eine Stimme aus dem Off dem Publikum ein paar Verhaltensanweisungen, später während der Show betont K. Flay gleich zweimal, was sie sich (und ihren Fans) von diesen knapp anderthalb Stunden verspricht: Relief. Die möglichen Übersetzungen treffen alle zu: Linderung, Befreiung, Hilfe. Dieser Abend soll eine Therapie für gequälte Seelen sein, und das wird er auch.

K. Flay Konzert Leipzig
Auf der Bühne lässt K. Flay alle Hemmungen fallen.

Was die 34-Jährige bietet zwischen dem Auftakt Not In California und Blood In The Cut, das als zweite Zugabe das Set beschließt, sorgt für nicht weniger als ein perfektes Konzert. Die Show in Leipzig hat alles, was man von so einem Abend erhofft: Persönlichkeit, Witz, Intelligenz, Wucht, Sex, Frust, Charme, Euphorie. All das entsteht wegen 18 großartigen Songs (die Hälfte davon vom neuen Album). Vor allem aber entsteht es, weil K. Flay dieses „Relief“, dem sie gerne ein „express yourself“ folgen lässt, vor allem für sich selbst in Anspruch nimmt. Was man im Werk 2 auf der Bühne erleben kann, ist eine Frau, die alle Hemmungen ablegt.

Sie flippt aus, sie schreit, sie bangt, sie springt, sie kauert, sie kümmert sich nicht darum, dass die Schminke verläuft oder das Haar zerzaust ist. Es ist einerseits schlimm, dass das noch immer ein so spektakuläres Erlebnis ist, schließlich tun Männer auf der Bühne das schon seit Generationen, mit größter Selbstverständlichkeit, von Jerry Lee Lewis über Mick Jagger bis Zack de la Rocha. Andererseits ist es befreiend, vor allem wohl für den weiblichen Teil des Publikums, die Souveränität zu erleben, mit der K. Flay diese Freiheit auch für sich und ihr Geschlecht in Anspruch nimmt.

K. Flay Konzert Kritik
Die Show im Werk 2 wird ein perfektes Konzerterlebnis.

Wie schwierig das nach wie vor ist, zeigt das Vorprogramm in Leipzig, das Your Smith beisteuert. Ihr Auftritt wird von etlichen technischen Pannen beeinträchtigt, aber auch davon, dass sie es in keinem Moment schafft, die Bühne ganz alleine auszufüllen, mit Stimme, Präsenz oder Charme. Dass ihre Lieder wohl so einzigartig und innovativ wie die von Robyn sein wollen, aber manchmal eher so anbiedernd klingen wie die von Shania Twain, erweist sich auch nicht als besonders hilfreich.

Bei K. Flay gibt es von solchen Schwächen keine Spur. Ihre Show kann zum Rave werden, wenn sie sich stärker in Richtung Elektronik bewegt wie in Black Wave, puren Optimismus verströmen wie in Good News, das nach einer knappen halben Stunde zum ersten Höhepunkt des Konzerts in Leipzig wird, oder nahe an die unterhaltsame Randale rücken, die man etwa von den Beastie Boys kennt, wie es am Ende von Champagne passiert, das zuvor durch einen Hochgeschwindigkeits-Rap und das Zusammenspiel mit den Fans als Chor begeistert.

Für Can’t Sleep, das als sehr schöne Ballade neu interpretiert wird, und das direkt davor platzierte Nervous nimmt K. Flay den Fuß vom Gaspedal und gönnt sich einen Sitzplatz auf einem Barhocker. Danach sind ein paar Tränen zu erahnen, die sie unter ihrem rechten Auge wegwischt. Vielleicht ist es auch nur Schweiß. Womöglich weint sie aus Kummer nach diesem ergreifenden Liebeslied. Vielleicht ist es auch nur Heimweh.

Der Liebeserklärung eines besonders euphorischen Fans begegnet sie kurz zuvor mit einem schlichten „Dankeschön“. Für alle, die für die romantischen Momente der Show nicht die passende Begleitung dabei haben, hat die Künstlerin einen Profitipp aus ihrer eigenen Erfahrung als Konzertgängerin parat: Man kann auch seinen eigenen Hintern befummeln. Solche Gags sind, ebenso wie andere Momente der Leichtigkeit, durchaus wichtig für diesen Abend, denn sie sorgen dafür, dass man sich bei all der Intensität keine Sorgen um das körperliche und geistige Wohlbefinden von K. Flay machen muss, jedenfalls keine großen. Bei So Fast, So Maybe stockt einem der Atem, so spektakulär ist es. Blood In The Cut, das Lied, mit dem sie für den Grammy nominiert war, ist der erwartete Abschluss und weiterhin ein Highlight. Zugleich zeigt das Konzert in Leipzig aber auch, wie wenig K. Flay nach mittlerweile drei Alben auf diesen Song angewiesen ist – sie hat längst weitere von gleicher und sogar besserer Qualität in ihrem Repertoire.

High Enough beschließt den regulären Teil des Konzerts mit einer Anekdote, die K. Flay womöglich jeden Abend erzählt, die deshalb aber nicht weniger treffend erscheint für die aktuelle Phase ihrer Karriere und für die umwerfende Performance in Leipzig: Ihr wurde vor dem Konzert von ihrer Tourmanagerin eine Flasche Tequila, Whisky oder Bier aus der Region angeboten, erzählt sie da. Sie hat all das ausgeschlagen, denn sie setzt jetzt auf ein noch viel besseres Rauschmittel: die eigene Musik und die Begeisterung ihres Publikums.

Die komplette Setlist von K. Flay in Leipzig:

1 Not In California

2 This Baby Don’t Cry

3 Bad Vibes

4 Black Wave

5 Giver

6 Make Me Fade

7 Good News

8 Champagne

9 I Like Myself

10 Nervous

11 Can’t Sleep

12 DNA

13 FML

14 Ice Cream

15 So Fast, So Maybe

16 High Enough

Zugabe 1 Sister

Zugabe 2 Blood In The Cut

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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