Künstler*in | Kaizers Orchestra | |
Album | Maskineri | |
Label | Kaizers Orchestra | |
Erscheinungsjahr | 2008 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Beats International / Stian Andersen |
Zu den vielen Skurrilitäten in der Karriere von Kaizers Orchestra gehört die Gründungsgeschichte des Sextetts aus Norwegen. Denn damals, im Jahr 2000, studierte Frontmann Janove Ottesen noch Musik auf Lehramt. Mit Helge Risa (Tasteninstrumente) und Rune Solheim (Schlagzeug) konnte er auch gleich zwei Kommilitonen zum Mitmachen in seiner neuen Band bewegen. Dazu kamen dann noch zwei alte Freunde mit Gitarren (Geir Zahl und Terje Winterstø Røthing) und ein Typ am Bass namens Øyvind Storesund, den man ihnen im örtlichen Plattenladen empfohlen hatte.
Dass also die Hälfte dieser Band, die bis 2013 riesige Erfolge in Norwegen feiern, auch international viel Applaus einheimsen und sich dann vorübergehend auflösen sollte, ursprünglich einmal geplant hatte, sich als Lehrer vor eine Schulklasse zu stellen, ist eine ziemlich irre Vorstellung. Hört man das aus Anlass der Kaizers-Orchestra-Reunion neu aufgelegte Maskineri (alle acht Alben erscheinen bis Sommer sukzessive als Remaster auf Vinyl neu), ist ziemlich klar, was für eine Art von Lehrern diese Typen wohl geworden wären: Sie agieren mit viel Fantasie und Engagement, fordern von ihren Schüler*innen aber definitiv auch volle Konzentration und viel Offenheit für ungewöhnliche Ansätze.
Anders als die ersten drei Alben der Band klingt Maskineri nicht mehr auf urwüchsige Weise einnehmend, sondern setzt noch bewusster auf Ecken und Kanten. Die Platte erschien ursprünglich 2008 und erreichte wie alle Vorgänger Platz 1 der norwegischen Charts. Offensichtlich hatten Kaizers Orchestra aber sehr bewusst geplant, zusätzliche Risiken einzugehen. Sie wählten einen neuen Produzenten, nämlich Mark Howard (der zuvor unter anderem mit dem bekennenden Kaizers-Fan Tom Waits gearbeitet hatte) und einen anderen Aufnahmeort, nämlich die ehemaligen DDR-Rundfunkstudios in Berlin-Schöneweide.
Im Ergebnis ist das Album noch schräger als die vorherigen Werke und kann in einigen Momenten auch durchaus anstregend werden. Das zeigt schon der Auftakt Moment: Der Beat ist aggressiv, aber da lässt sich auch Wärme erkennen (durch die Orgel und das Xylophon), während Gitarre, Chor und Bläser für zusätzliche Akzente sorgen. Der Gesamteindruck ist vollkommen wild, sogar etwas überreizt. Kaizers 115. Drøm vereint später eine singende Säge mit Schlagwerk, das auch zu Industrial passen würde, und einer Gitarre, die mächtig heavy ist. Auch das dürfte Menschen, die Strophe-Bridge-Refrain und Formatradio mögen, vielleicht schon Kopfschmerzen bescheren.
Apokalyps Meg hat in der Strophe einen sehr ungewöhnlichen Takt, der Refrain wirkt derweil wie ein aufgeputschter Grizzly, der eindeutig auf Ärger aus ist. Der Rhythmus des komplexen, geheimnisvollen und einfallsreichen Titelsongs Maskineri enthält tatsächlich die Klänge einer Maschine, die im 18. Jahrhundert in Bergen in Betrieb genommen und deren Geräusche hier gesampelt wurden. Volvo i Mexico kombiniert eine fiese und finstere Strophe mit einer betont großen Geste im Refrain. Enden av November ist knapp viereinhalb Minuten lang und verwandelt sich in dieser Zeit mindestens fünfmal komplett.
Umso mehr fallen diesmal die Tracks auf, in denen Kaizers Orchestra etwas reduzierter agieren. In Den andre er meg, dem dritten Lied des Albums, wird zum ersten Mal die Temperatur etwas heruntergefahren. Es herrscht kein Fieber mehr, sondern eher Trübsinn, verstärkt durch die Gaststimme von Ragnhild, der Ehefrau von Gitarrist Terje Wintersto Röthing. Die Quasi-Klavierballade Med En Gong Eg Når Bånn bietet dann die vielleicht schönste Gesangsmelodie ihrer Karriere.
Parallelen zu anderen Acts zu finden, ist auch diesmal wieder schwer. Der schräge und schmutzige Reggae Bastard Sønn wäre von den Libertines vorstellbar, der mystische, sehr reizvolle Groove von Toxic blod scheint irgendwo zwischen den Südstaaten und Primal Scream entsprungen zu sein. 9mm klingt ein wenig wie The Hives, wenn sie ihre Vorlieben etwas weg aus der Garage und hin zum Blues verschieben würden, mit einem kurzen Umweg über Prince. Bei Ond Sirkel kann man nicht nur an Leierkasten, Zirkus und Theaterstücke von Brecht/Weill denken, sondern in der Gesangsmelodie auch eine Ähnlichkeit zu Nirvanas In Bloom erkennen.
So sehr Maskineri gerne abseitig und manchmal auch abstoßend sein möchte, so sehr bleibt der Sound des Kaizers Orchestra allerdings auch hier enorm reizvoll. Der Album-Schlusspunkt zeigt das besonders gut: Du og meg Lou kommt trunken, torkelnd und pöbelnd daher, bewahrt sich dabei aber doch ein Stück Eleganz.