Kaizers Orchestra Ompa til du dør Review Kritik

Kaizers Orchestra – „Ompa til du dør“

Künstler*in Kaizers Orchestra

Kaizers Orchestra Ompa til du dør Review Kritik
Nach mehr als 20 Jahren ist „Ompa til du dør“ wieder auf Vinyl verfügbar.
Album Ompa til du dør – Reiusse Vinyl Edition
Label Kaizers Orchestra
Erscheinungsjahr 2001
Bewertung

Stell dir einmal vor: Du magst eine Band, die seit zehn Jahren nicht mehr existiert. Du bist vielleicht ein Fan der ersten Stunde, vielleicht hast du ihre Musik auch erst kürzlich entdeckt. Du siehst ein T-Shirt dieser Band in einem Second-Hand-Shop. Du kaufst es, du trägst es mit Stolz. Du wäschst es und stellst fest: Da ist etwas auf der Innenseite des Shirts, was da nicht hingehört. Ein QR-Code. Du scannst ihn, du wunderst dich schon wieder. Denn er führt zu einem Ticket. Für ein Konzert der Band, die es eigentlich gar nicht mehr gibt. Wenig später gibt diese Band ihr Comeback bekannt, kündigt eine Tour mit 56 Terminen an – und der QR-Code in deinem gebrauchten T-Shirt ermöglicht dir den Eintritt zu einem Konzert deiner Wahl.

Genau so ist es einigen Menschen in Norwegen jüngst mit Kaizers Orchestra ergangen. Das 2000 gegründete und 2013 aufgelöste Sextett hätte solch wunderbares Guerilla-Marketing natürlich gar nicht nötig: Jedes ihrer acht Studio-Werke wurde ein Nummer-1-Album in Norwegen, das ursprünglich 2001 veröffentlichte Debütalbum Ompa til du dør hielt sich mehr als ein Jahr lang in den Charts. Als sie ihre Reunion-Tour ankündigten, waren die 80.000 verfügbaren Tickets in weniger als fünfzehn Minuten ausverkauft.

„Es ist rührend, wieder zusammen zu sein. Wir haben diese Band als sechs junge Typen gegründet, die sich wie Brüder nahe standen, und jetzt habe ich das Gefühl, dass ich meine Familie wieder habe“, erklärt Janove Ottesen zum Comeback, das die Band 2024/25 auch für Konzerte nach Deutschland führen soll. „Unsere Musik hat uns so viele Geschenke gemacht. Sie hat uns mit einem wunderbaren Leben gesegnet, und wir sind sehr dankbar dafür.“

Um die Vorfreude zu steigern, veröffentlichen er und seine Bandkollegen Geir Zahl (Gitarren, Gesang, Backing Vocals, Ölfass), Terje Winterstø Røthing (Gitarren, Backing Vocals, Ölfass), Helge Risa (Orgel, Piano, Akkordeon, Backing Vocals), Rune Solheim (Schlagzeug, Percussion) und Øyvind Storesund (Kontrabass, Bassgitarre) ihr gesamtes Oeuvre neu und remastered auf Vinyl. Zwischen März und August (wenn die Tour beginnt) kommen die Alben neu heraus, vielleicht auch, damit das Kaizers Orchestra selbst wieder voll und ganz ins eigene Werk eintauchen kann. „Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Es ist viel passiert“, weiß Ottensen. „Gleichzeitig fühlt es sich an, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Es fühlt sich an, als hätten wir erst gestern zusammen gespielt!“

Die Wiederveröffentlichung von Ompa til du dør wird am Freitag den Auftakt machen und zeigt, dass die Musik dieser Band nicht nur zeitlos klingt, sondern aktuell – und vor allem auch nach mehr als 20 Jahren noch einzigartig. Kontroll på kontinentet eröffnet das Debütalbum, Akkordeon und Kontrabass lassen es zunächst nach einem Stück à la Brecht/Weill klingen, dann wird eine erschütternde Härte erkennbar. Aus jeder Note spricht Ausgelassenheit und die tiefe Überzeugung: In der Musik darfst du einfach dein Ding machen. Du kannst Instrumente kombinieren, die noch nie zusammengespielt haben, du kannst Rythmen brechen, du kannst alles von Blues über Jazz bis Industrial vermengen (Resistansen), du kannst wild sein und sensibel, auch innerhalb eines einzigen Lieds (Bøn fra helvete).

Es sei daran erinnert, dass sich Kaizers Orchestra nach Keyser Söze benannt haben, der von Kevin Spacey verkörperten Figur in Die üblichen Verdächtigen (1995). Er ist ein Gangsterboss, so durchtrieben und brutal, dass er im Film einmal als „der Teufel höchstpersönlich“ bezeichnet wird, und zugleich ein Phantom, das so gut wie niemand jemals zu Gesicht bekommen hat. Die Idee des Flirts mit dem Bösen und zugleich Unsichtbaren trägt einen großen Teil zum ungebrochenen Appeal des Sextetts bei.

Das rasante Bak et halleluja wirkt deshalb, als würden ein paar zum Tode Verurteilte noch Polka tanzen auf dem Weg zum Galgen. Der Titelsong Ompa til du dør klingt spannend und gefährlich, nach Schmutz, ansteckenden Krankheiten und verdorbenen Seelen, er wird im Refrain zwar elegant und am Ende brachial, ist letztlich aber nichts anderes als die Einladung zu einem Tanz mit dem Teufel, auf heißen Kohlen und mit Schwefelfeuern als Beleuchtung. Dr. Mowinckel wirkt, als seien Wikinger wie in der TV-Serie Beforeigners in der Jetzt-Zeit gelandet und hätten dort nichts Besseres zu tun gehabt, als sich sämtliche Werke der Einstürzenden Neubauten anzuhören. In Dekk bord scheint jemand Gogol Bordello als Militärkappelle für Wallensteins Lager verpflichtet zu haben. Und 170 zeigt: Country geht auch skandinavisch, morbide und fatalistisch.

Genau deshalb konnten sich die Norweger auch eine internationale Fangemeinde erspielen, denn ihre Themen sind uralt und ihre Umsetzung allgemeinverständlich. In einem Lied wie Rullett ist erstaunlich, wie experimentell das ist, und wie ursprünglich es trotzdem klingt, im weinseligen Walzer Mr Kaizer, hans Constanse og meg als Album-Abschluss will man unbedingt mitsingen, nicht nur weil man darin ein paar Wörter wie Wodka, Kaviar und Zigarre verstehen kann, sondern weil man sich von diesem Sound angesprochen, abgeholt und verstanden fühlt, weil er einem aus dem Herzen spricht.

„Ich lebe mein Leben, schaffe meine Kunst und verstelle mich dabei nicht“, erklärt Janove Ottesen den Erfolg seiner Band jenseits der Landesgrenzen und Sprachbarrieren. „Es ist, als ob ich auf einem Ölfass stehe und eine Botschaft schreie, die vielleicht nicht jeder versteht, aber sie spüren die Energie. Manchmal kann man Gefühle auch ohne Worte vermitteln. Ich liebe zum Beispiel französische und lateinamerikanische Musik, aber ich spreche diese Sprachen nicht. Um authentisch zu sein, singe ich auf Norwegisch. Aber die Stimmung und das, was ich zu vermitteln versuche, ist universell.“

Kaizers Orchestra spielen Ompa til du dør live.

Website von Kaizers Orchestra.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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